Traum oder Albtraum?

Traum oder Albtraum?
Rezension Andreas Eschbach „Eine Billion Dollar“

Es ist schon eine sensationelle Geschichte, die Andreas Eschbach in seinem 2001 erschienen Roman „Eine Billion Dollar“ erzählt. Eine Geschichte, von der vermutlich sehr viele Menschen träumen. Für John Salvatore Fontanelli wird dieser Traum wahr. Er ist am 23. April 1995 der jüngste Nachfahre des Kaufmanns Giacomo Fontanelli und damit der Erbe eines vor genau 500 Jahren angelegten Vermögens. Und dieses Vermögen ist gigantisch, größer als ein Mensch es sich vorstellen kann: Eine Billion Dollar. Damit wird John Fontanelli auf einen Schlag zum reichsten Mann der Erde.

John erfährt von dieser Erbschaft in einer Zeit, in der er in seinem noch jungen Leben ganz unten angekommen ist. Nach einer unglücklichen Liebe findet er Unterschlupf bei seinem Freund Marvin, einem recht eigenwilligen Musiker. Er fährt Pizzen aus, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Darum kann er sein Glück kaum fassen, als er von der italienischen Anwaltsfamilie Vacchi, die das zu Beginn noch recht bescheidene Vermögen des Giacomo Fontanelli seit 1495 bewahrt und dafür gesorgt hat, dass es sich reichlich mehrt, in einem nobel New Yorker Hotel von der Erbschaft erfährt. Eduardo Vacchi, dessen Vater Gregorio und Onkel Alberto sowie Großvater Cristoforo Vacchi, der Padrone der Familie, führen John während der Testamentseröffnung kurz nach dem 23. April 1995 behutsam an die tatsächliche Höhe seines Erbes heran. Es dauert eine ganze Weile, bis John das Ausmaß begreift. Und auch mit der Prophezeiung, die sich an das Erbe knüpft, kann er lange nichts anfangen. Giacomo Fontanelli hat in seinem Testament festgeschrieben, dass der Erbe mit dem Geld der Menschheit die verlorene Zukunft zurückgegen soll. John reist mit den Vacchis nach Florenz und genießt erst einmal seinen Reichtum. Alles könnte so schön sein, wäre da nicht die Prophezeiung. Ausgerechnet er, der arme Schlucker aus New York, der noch nie mit Geld umgehen konnte, soll der Menschheit ihre Zukunft zurückgeben? Und dann taucht Malcom McCaine in Johns Leben auf und behauptet, einen Plan für die Erfüllung der Prophezeiung zu haben.

Andreas Eschbach versteht es, den Leser mit seiner Hauptfigur mitleiden zu lassen. Über fast 900 Seiten lang fürchtet der Leser, dass der sympathische John Salvatore Fontanelli sein Vermögen wieder verlieren könnte. Und tatsächlich finden sich außer den Geheimnissen um McCaine weitere Neider, die ihm sein Vermögen abjagen wollen und jede Menge Ungereimtheiten, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Erbschaft aufkommen lassen. Die Geschichte bleibt spannend bis zum Schluss und entführt den Leser in die Welt der Reichen und Mächtigen. Sehr deutlich wird die umfassende Macht großer Konzerne, die mit ihrem Geld Staaten in die Knie zwingen und über das Wohl und Wehe ganzer Völker entscheiden können. Dazu liefert Eschbach in den Seitenzahlen Informationen über riesengroße Geldbeträge, wie etwa die Gesamtausgaben im Gesundheitswesen in Deutschland oder die Auslandsschulden Mexikos. Eigentlich interessante Informationen, die aber den Lesefluss unterbrechen und deshalb eher störend wirken. Dennoch sollte man „Eine Billion Dollar“ unbedingt lesen, es lohnt sich! /sis

Bibliographische Angaben
Andreas Eschbach: Eine Billion Dollar
Roman, Lübbe, 2001, 896 Seiten
ISBN 3-7857-2049-1

Klare Sprache für eine klare Position

Klare Sprache für eine klare Position
Rezension Peter Hahne: Seid ihr noch ganz bei Trost! Schluss mit Sprachpolizei und Bürokraten-Terror

„Seid ihr noch ganz bei Trost“ fragt Journalist und Autor Peter Hahne in seinem neuesten Büchlein und zielt dabei auf all die kleinen und großen Ärgernisse ab, die uns Politiker und andere Institutionen beinahe täglich bescheren. Der Frage kann man sich nur anschließen! Sind unsere Politiker denn wirklich noch ganz bei Trost, wenn sie die schleichende Islamisierung verdrängen und verharmlosen? Erkennen sie nicht, was sie anrichten, wenn etwa Weihnachtsmärkte plötzlich zu Wintermärkten, St. Martin zum Lichterfest oder auch Schweinefleisch von den Speiseplänen gestrichen werden? „Bunt“ wird hier mit „bekloppt“ verwechselt, meint Peter Hahne und ermahnt seine Journalistenkollegen wachsam und kritisch zu sein, statt die Augen zu verschließen etwa vor Erdogans Einfluss auf die hier lebenden Muslime. Sie sollten nicht verharmlosen, sondern anprangern, was gegen die Freiheit unseres Grundgesetzes steht.

Nicht nur der Islamisierung widmet sich der Autor, sondern auch der Tatsache, dass in unserem Land nur noch die Mainstream-Meinung gelte. Die Intoleranz der angeblich Toleranten mache nicht einmal vor der Wissenschaft halt. Und er fragt sich, wie es soweit kommen konnte, dass bestimmte Meinungen zu Gender, Islam, Globalisierung und Umweltpolitik einfach ausgegrenzt würden. Keiner wolle mehr mit Streitfragen oder gar irritierenden Ideen belastet werden. Hahne aber findet, eine echte Persönlichkeit brauche den Meinungsstreit nicht zu fürchten. Er verweist auf Harald Schmidt, dessen Satire heute gar nicht mehr möglich wäre: „Die Sprachpolizei“ hätte ihn längst geköpft. Die Deutschen wollten Exportweltmeister der Hochmoral werden. Dabei hätten die Bürger längst das Vertrauen zum Beispiel auch in die Justiz verloren. Richter, Staatsanwälte und Beamte in den Ausländerämtern hätten inzwischen mehr Angst vor Araber-Clans als vor dem jüngsten Gericht. Dabei ist ihm als bekennender Christ insbesondere auch die zunehmende Christenverfolgung rund um den Globus ein Dorn im Auge.

Auch die Überheblichkeit der Gesellschaft prangert Hahne an. Ehrliche Handwerks- und Lehrberufe zählten nicht mehr. Metzger und Bäcker stürben aus und wir wunderten uns über Industrielebensmittel auf unseren Tellern, die den Namen Lebensmittel gar nicht verdienten. Ebenso fragwürdig sind für den Autor Politiker, die in die Wirtschaft gehen, dort horrende Gehälter, Abfindungen und Pensionen kassierten und Abgeordnete, die ihre Diäten erhöhten, während der kleine Sparer sein Geld durch die Null-Zins-Politik verliere. Er moniert den Frust der Eliten, die das Land verließen, weil politische Fehlentscheidungen und die Ansprüche der Integrationspolitik sie überforderten. Deutschland, meint Hahne, habe einst auf Maß und Mitte gesetzt, heute sei es nicht einmal mehr Mittelmaß.

Überheblich findet der Autor auch die neue Umweltbewegung. Er spricht gar von einer „Infantilisierung der Politik“. Und er wehrt sich entschieden gegen die Beschimpfung seiner Generation als Umweltsünder von technisch hochgerüsteten und mit Flugreisen verwöhnten Kindern. Keine andere Generation habe je so nachhaltig gelebt wie die in den 1950er Jahren geborene: Kleider wurden geflickt, den Weg zur Schule ging man zu Fuß, gespielt wurde auf der Straße, gegessen wurde was die Natur gerade hergab und Urlaubsreisen gab es höchstens mit dem Fahrrad. Recht hat er! Besser wäre es, die jugendlichen Umweltaktivisten würden die Freitage für ein doppeltes Lernpensum verwenden, um durch Bildung die Probleme der Zukunft zu lösen, so sein durchaus bedenkenswerter Vorschlag.

Besonders hart geht Hahne mit der irrsinnigen “Sprachpolizei” ins Gericht, für die letztlich die Steuerzahlen aufkommen müssten. Ihr Genderwahn mache vor Pipi Langstrumpf genauso wenig halt wie vor der Bibel, die selbsternannten Missionare der politischen Korrektheit gäben absurde sprachliche Empfehlungen und beschäftigten nicht selten gar die Gerichte mit ihrem Unfug. All das hätte uns die angeblich wissenschaftliche Genderforschung eingebracht. Dabei wollten 73 Prozent der Deutschen diese Sprachanpassungen gar nicht. Das Ziel von Sprache sei es, zu verstehen. Ohne klare Sprache könne man keine klare Position beziehen. Selbst die Medien verschanzten sich hinter Fachchinesisch und Expertensprech.

Peter Hahne tut das nicht. Er sagt klar war Sache ist und mahnt zu Respekt, Anstand und Haltung, an denen es nicht nur den Politikern in unserem Land mangele. Nach der Lektüre bleibt in der Tat nur eine Frage übrig: “Sind die denn alle noch ganz bei Trost“? /sis

Bibliographische Angaben:
Peter Hahne: Seid ihr noch ganz bei Trost! Schluss mit Sprachpolizei und Bürokraten-Terror
Quadriga Verlag 2020, 128 Seiten
ISBN 978-3-86995-096-9

Wie viel mehr “weniger” sein kann!

Wie viel mehr “weniger” sein kann!
Rezension Anne Weiss „Mein Leben in drei Kisten“

Endlich ausmisten, alles los werden, was nicht mehr gebraucht wird und nur Platz beansprucht! Wie oft nimmt man sich das vor, schafft aber angesichts der Krempelberge einfach den ersten Schritt nicht. Die Autorin Anne Weiss hat es geschafft, sie hat nicht nur den ersten Schritt gemacht und sich von allem getrennt, was sie nicht wirklich mehr braucht, sondern sie hat nach der Wohnung auch ihr Leben ausgemistet und sich so viel mehr Freiräume geschaffen, nicht nur in ihrem Umfeld. Anne Weiss wirft in ihrem Buch nicht nur einen Blick auf die Unordnung in unseren Schränken, sondern auch in unseren Köpfen, sie schaut auf unsere Konsumdenkweise, unser Reiseverhalten und das berufliche Hamsterrad, das uns zielsicher an den Abgrund eines Burn-outs katapultiert. Sie legt den Finger in all unsere Alltagswunden, bleibt dabei aber nicht stehen, sondern zeigt Alternativen auf, Wege, die sie gegangen ist, die auch jeder andere gehen kann. Und sie schafft es mit ihrer begeisternden Art von sich zu berichten, genug Motivation zu entfesseln. Am liebsten möchte man das Buch aus der Hand legen und selbst gleich mit dem Ausmisten beginnen, wollte man nicht vorher wissen, wie sich das lebensentscheidende Jahr, von dem Anne Weiss in ihrem Buch erzählt, weiterentwickelt, wie es endet. Anne Weiss verzichtet nicht nur auf jeden Krempel in ihren Leben, sie verzichtet auch auf einen gutdotierten Job, nachdem ihr bewusst geworden ist, was sie wirklich glücklich macht: ein freies, selbstbestimmtes Leben.

Nun mag es nicht jedem gelingen, sein Leben in nur drei Kisten zu packen. Doch selbst wenn der Erfolg nicht so durchschlagend ist, kann man nach der Lektüre des Buches sehr deutlich erkennen, wie viel mehr „weniger“ sein kann. Es ist der Wechsel der Perspektive, mit dem man auf all den Tand und Tinnef schaut, den man im Laufe seines Lebens angehäuft hat. Braucht man das alles wirklich? Macht der bloße Besitz glücklich? Die Autorin gibt auf diese und viele andere Fragen brauchbare Antworten und dazu viele nützliche Tipps und Informationen, wie man mit dem Ausmisten anfängt und vor allen Dingen auch wie man all den Krempel nachhaltig wieder los wird! /sis

Bibliographische Angaben:
Anne Weiss „Mein Leben in drei Kisten. Wie ich Krempel rauswarf und das Glück reinließ“
Knaur Verlag 2019, 288 Seiten
ISBN 978-3-426-79060-1

Vorsicht vor rührseliger Empfindsamkeit

Vorsicht vor rührseliger Empfindsamkeit
Rezension Alexander Grau, Politischer Kitsch – eine deutsche Spezialität

Der deutsche Philosoph, Publizist und Autor Alexander Grau führt seinen interessierten Lesern mit seinem Essay „Politischer Kitsch – eine deutsche Spezialität“ vor Augen, wie mit zur Schau getragene Empfindsamkeit Politik gemacht wird, wie sich diese Art, autoritäre Politik zu legitimieren, im Laufe der Geschichte entwickelt hat und wie wichtig es ist, diese manipulative Kommunikation zu verstehen. Dabei ist politischer Kitsch ganz einfach zu entlarven, wenn Politiker mit purer Berechnung an die Rührseligkeit der Zuhörer appellieren, dann hat das nichts mit der Realität zu tun. Die schwere Jugend, Armut, Ungerechtigkeit – ist gibt viele Themenfelder, die sich dafür eigenen. Auch die Medien machen eifrig mit, sie führen verzweifelte Menschenmassen vor und ersticken damit jede Diskussion im Keim. Wer will sich schon gegen Empfindsamkeiten stellen, wenn Mahnwachen und Lichterketten Solidarität verlangen. Diese Art politischer Kitsch wird, so der Autor, zum tragenden Element der Gesellschaft, kühle Vernunft dagegen als Zynismus abgetan. Es sei zwar nicht verboten, große Gefühle zu seinen Gunsten zu nutzen, es könne indes in der Politik verheerende Folgen haben, wenn der moderne Mensch die manipulative Form der Kommunikation nicht durchschaut. „Wenn das Herz spricht, ziemt es sich nicht, dass der Verstand etwas dagegen einwendet“, zitiert Alexander Grau den tschechisch-französischen Schriftsteller Milan Kundera. Und tatsächlich hat man den Eindruck, dass zur Schau getragene Empfindsamkeit den Verstand der Massen benebelt.

Seinen Ursprung hat politischer Kitsch nach Alexander Grau im Christentum, in dem die reale Welt ins Transzendentale abdriftete, ins Übernatürliche, Metaphysische also. Kitschiges Denken entstand dort, wo die Realität idealisiert wurde. Im 19. Jahrhundert setzte sich Kitsch schließlich als Mittel der politischen Kommunikation auch in Deutschland durch. Säkulare Institutionen überzeichneten profane Botschaften und suggerierten so Überweltlichkeit. Im 20. Jahrhundert wurde das kitschige Denken gar Programm. Emotionen spielten die entscheidende Rolle, das subjektive Empfinden wurde zum Maßstab, der Wohlfahrtsstaat fand seine Daseinsberechtigung in der Befriedigung der subjektiven Bedürfnisse statt der Beseitigung von Mangel. Alle Menschen sind gut, die Welt ist schön. Wer das anders sieht, begeht Verrat an der guten Sache und an der Menschlichkeit. Die Welt hat sanft und gut zu sein und das wird mit aller Brutalität durchgesetzt. Gerade der Deutsche ist verliebt in Ideen, nicht in die Wirklichkeit. Er will die Welt retten, den Frieden, das Klima.

In seinem kurzen Essay gelingt es Alexander Grau die Entstehung und Bedeutung von politischem Kitsch anschaulich und nachvollziehbar herauszuarbeiten und vor ihren Gefahren nachdrücklich zu warnen. Diese kitschigen Leidenschaften seien es, die die Menschen unbedacht, rücksichtslos und selbstgerechten machten. /sis

Bibliographische Angaben:
Alexander Grau: Politischer Kitsch – eine Spezialität
Essay, Claudias Verlag, München 2019, 59 Seiten
ISBN 978-3-532-60042-9

Menschliche Grausamkeit in Worte gefasst

Menschliche Grausamkeit in Worte gefasst
Rezension Sebastian Fitzek „Der Insasse“

Wer ein Buch von Sebastian Fitzek in die Hand nimmt, weiß, dass er mit vielen Überraschungen rechnen muss. So auch in seinem Thriller “Der Insasse”, der einen Vater unter falscher Identität in eine geschlossene psychiatrische Anstalt führt, um dem vermeintlichen Mörder seines fünfjährigen Sohnes Max dessen Schicksal zu entlocken.

In der Anstalt trifft der Leser auf zahlreiche merkwürdige Gestalten, nicht nur völlig irre Insassen, sondern auch korrupte Ärzte, hörige Pfleger und eine undurchschaubare Leiterin. Alle menschlichen Schwächen sind hier vertreten. Als Leser überkommt einem gelegentlich das Gefühl, all das Ekelhafte, das Fitzek in genüsslicher Ausführlichkeit beschreibt, eigentlich gar nicht lesen zu wollen. Doch die Neugierde überwiegt, ob es dem Protagonisten Till Berkhoff trotz aller Widrigkeiten nicht doch noch gelingt, den bis ins Mark absonderlichen, mehrfachen Kindermörder Guido Tramnitz, der natürlich selbst eine grausame Kindheit durchlebt hat, dazu zu bringen, den Mord an Max zu gestehen und den Ort, wo er die Leiche des Jungen versteckt hat, zu verraten. Denn Till und seine Frau Ricarda brauchen Gewissheit, müssen Abschied nehmen von ihrem Kind. Nur erlebt der Leser eine überraschende Wendung und am Ende ist rein gar nichts so wie es scheint.

Auch wenn der Schluss des Buches, der alles auf den Kopf stellt, dem Leser schon einiges an Fantasie abverlangt, weil er nicht unbedingt nachvollziehbar scheint, so ist dem Autor eine atemberaubende Geschichte gelungen, die die tiefsten Niederungen menschlicher Grausamkeit in Worte fasst. Die Geschichte macht betroffen und wirkt mitunter abstoßend, fesselt den Leser aber dennoch bis zur letzten Seite. /sis

Biographische Angaben:
Sebastian Fitzek: Der Insasse, Knaur Taschenbuch, 2020, 365 Seiten, ISBN 978-3-426-51944-8

Begegnung zwischen Zukunft und Vergangenheit

Begegnung zwischen Zukunft und Vergangenheit
Rezension „Herr aller Dinge“ von Andreas Eschbach

Man muss viel Geduld mitbringen, bis in Andreas Eschbachs „Herr aller Dinge“ Spannung aufkommt. Das erste Drittel des Buches geht es nur um eine romantische Teenagerliebe zwischen Hiroshi Kato, Sohn einer Wäscherin und Charlotte Malroux, Tochter des französischen Botschafters in Tokio. Die beiden begegnen sich auf ungewöhnliche Weise und treffen im Verlauf ihres Lebens immer wieder aufeinander. Der technisch hochbegabte und vor allen Dingen an Robotern interessierte Hiroshi will Charlottes Herz gewinnen, kämpft aber gegen die Standesunterschiede. Er erkennt, es gibt nur einen Weg, um die gesellschaftliche Kluft zu überwinden: Er muss dafür sorgen, dass alle Menschen reich sind. Und dafür entwickelt er schon früh einen detaillierten Plan, der aber erst einmal in seinem kleinen Notizbüchlein ruht, bis er später während seines Studiums in den USA einen Gönner findet, der ihm den Weg in die Erforschung der Nano-Technologie öffnet. Charlotte verliert er nicht aus den Augen und sie ist es, die Hiroshi und sein Wissen über die Möglichkeiten der neuen Technologie ins Spiel bringt, als plötzlich auf einer einsamen Insel im Polarmeer Naniten scheinbar von Außerirdischen gesteuert ihr Unwesen treiben. Hiroshi kann die Katastrophe aufhalten, nimmt aus der direkten Begegnung mit den Naniten aber so viel Wissen mit, dass er am Ende gar Krankheiten heilen kann. Plötzlich ist er der „Herr aller Dinge“. Er möchte seine Entdeckungen mit der Welt teilen, erläutert sie in einer Videobotschaft und lässt die Naniten zum Beweis eine gigantische Arche Noah bauen, die um die Erde kreist. Doch das ruft die Geheimdienste auf den Plan, denn die Technologie eignet sich natürlich auch für militärische Zwecke und so beginnt ein Spießrutenlauf, an dessen Ende Hiroshi einen ehrenvollen Tod stirbt.

Abgesehen von dem etwas zähen Anfang, der gewiss auch kürzer zu erzählen gewesen wäre, liefert Andreas Eschbach mit „Herr aller Dinge“ doch noch eine fantastische und ungemein spannende Geschichte. Es ist die Mischung aus Wissenschaft und Utopie, aus einem Blick in die nahe Zukunft und zugleich in eine unendlich weit entfernte Vergangenheit der Menschheit, die den besonderen Reiz dieses Thrillers ausmacht, der sich auf jeden Fall zu lesen lohnt. /sis

 

Bibliographische Angaben:
Andreas Eschbach: „Herr aller Dinge“
Bastei Lübbe, 688 Seiten
ISBN 978-3785724293

Atemberaubende Spannung mit unnötigen Abwegen

Atemberaubende Spannung mit unnötigen Abwegen
Rezension Sebastian Fitzek „Achtnacht“

Es ist schon eine spannende Geschichte, die Sebastian Fitzek seinen Lesern mit “AchtNacht” vorlegt. Inspiriert von dem amerikanischen Horrorklassiker “The Purge”, lässt Fitzek in seinem Thriller einen durch eine Art Todeslotterie auserkorenen, verhassten und deshalb für die “AchtNacht” nominierten Menschen, eine Nacht lang – am 8.8. von acht Uhr abends bis acht Uhr in der Früh – durch Berlin hetzen. Wer diesen „Achtnächter“ egal wie zu Tode bringt, erhält eine satte Belohnung, vorausgesetzt er hat sich vorher auf der Internetseite der “AchtNacht” angemeldet und seinen Jagdobulus entrichtet.

In Fitzeks Thriller sind gleich zwei Menschen in der „AchtNacht“ vogelfrei: Benjamin Rühmann, ein gescheiterter Musiker und in jeder Hinsicht geborener Loser und Arezu Herzsprung, eine noch junge Psychologiestudentin. Es ist aber nicht nur der Mob, der außer Rand und Band hinter den beiden her ist, sondern auch noch zwei völlig durchgeknallte Gestalten auf der Suche nach den ultimativ-spektakulären Videos, die Klicks und damit Bares bringen. Die beiden schicken Ben und Arezu mit einer üblen Erpressung durch die nächtliche Hölle. Nicht nur ihr eigenes Leben steht auf dem Spiel, Bens Tochter wurde von einem der Irren vergiftet und Ben hängt einmal mehr in seinem Leben an der Strippe eines anderen, muss tun, was von ihm verlangt wird, anstatt eigenverantwortlich zu entscheiden und handeln. Er und – wie es lange Zeit scheint – in seinem Schlepptau auch Arezu haben keine Chance, in einem sicheren Versteck das Ende der “AchtNacht” abzuwarten. Stattdessen müssen sie sich dem Willen der verrückten Erpresser beugen und ein ums andere Mal der blutrünstigen Masse gegenübertreten. Doch der Urheber der “AchtNacht” ist überhaupt nicht damit einverstanden, dass plötzlich andere die Spielregeln bestimmen und schlägt zurück.

Über 400 Seiten atemberaubende Spannung erwartet den Leser, typisch Fitzek mit Höhen und Tiefen, aber manchmal leider auch mit einem völlig unnötigen Abdriften ins allzu Brutale und Perverse. Zwar spiegelt Fitzek menschliche Skrupellosigkeit in all ihren Facetten, aber ob man das unbedingt in dieser Deutlichkeit lesen möchte, bleibt fraglich. Und so ist man am Ende der Lektüre irgendwie unzufrieden, denkt aber noch lange über die Geschichte nach, die nur scheinbar mit dem Tod des „Achtnächters“ ihr Ende findet. /sis

Bibliographische Angaben:
Sebastian Fitzek: AchtNacht
Verlag Knaur Taschenbuch, 7. Auflage 2017, 416 Seiten
ISBN 978-3426521083

“Ausgebrannt” zwingt zum Weiterlesen

“Ausgebrannt” zwingt zum Weiterlesen
Rezension Andreas Eschbach „Ausgebrannt“

Spannend und erschreckend zugleich ist Andreas Eschbachs Thriller „Ausgebrannt“ aus dem Jahr 2007. Eschbach versteht es, mit einer klaren, gut les- und verstehbaren Sprache auch komplizierte Sachverhalte unterhaltsam darzulegen, ohne den Leser allzu sehr mit langatmigen Detailbeschreibungen zu langweilen.

Nicht ganz so einfach ist indes ist das erste Drittel des Buches, zu oft wechseln Zeiten, Personen und ihre Geschichten und die Orte des Geschehens, so dass man fast die Übersicht zu verlieren droht, auch wenn in den einzelnen Abschnitten recht interessante historische Ereignisse und ihre Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft erzählt werden. Vieles wäre sicher entbehrlich gewesen. Nach diesem etwas zähen Einstieg aber wird es ungemein spannend. Der Autor bleibt im Wesentlichen bei seinem Helden Markus Westermann und beschreibt seinen Überlebenskampf nach einem aufreibenden Jetset-Leben mit seinem Partner Karl Block und seiner Geliebten Amy-Lee.

Markus Westermann liebt Amerika und tut alles, um nach einer zeitlich begrenzten Anstellung in den USA bleiben zu können. Zufällig begegnet er dem österreichischen Erdöl-Experten Karl Block, gründet mit ihm eine Firma zur Erkundung von Ölvorkommen, scheitert grandios und steht nach einem schweren Autounfall plötzlich wieder zurück in Deutschland mit einer Millionen-Klage da. Einzig Blocks Unterlagen können ihm den Hals retten. Also macht er sich wieder auf ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, um die Unterlagen aus dem vermeintlich sicheren Versteck zu holen – zur einer Zeit, als gerade das größte Ölfeld in Saudi Arabien versiegt ist und politische und wirtschaftliche Unruhen den Globus überziehen.

Andreas Eschbach beschreibt, wie das Leben nach dem Versiegen des Erdöls aussehen könnte, in der Abgeschiedenheit eines kleinen Dorfes, in den fast ausgestorbenen Großstädten und in der deutschen Provinz, in der Markus Westermanns Schwester einen kleinen Laden betreibt, der von den Veränderungen der Welt profitiert.

Fazit: Der Autor versteht es, den Leser in den Bann seiner Geschichten zu ziehen und ihn zum Weiterlesen geradezu zu zwingen. Man kann dieses Buch einfach nicht aus der Hand legen. Nur der letzten Seiten 50 Seiten hätte es nicht bedurft, die eine mögliche Zukunft nach dem Ende des Erdölzeitalters und der Anpassung der Menschheit an die neuen Bedingungen skizzieren. Diese Vision hätte Andreas Eschbach getrost der Fantasie seiner Leser überlassen können.

Bibliographische Angaben:
Andreas Eschbach: Ausgebrannt, 2007, Bastei Lübbe Taschenbuch, 752 Seiten, ISBN 978-3-404-15923-9

Spannender Krimi mit überraschenden Wendungen

Spannender Krimi mit überraschenden Wendungen
Rezension Charlotte Link “Die Suche”

Zugegeben, es dauert eine Weile, bis man sich in den Kriminalroman „Die Suche“ von Bestseller-Autorin Charlotte Link eingelesen hat. Das liegt an der durchweg düsteren Stimmung, dem nicht enden wollenden Wehklagen der Protagonisten und der dazu durchaus passenden Novembertristesse. Wenn man sich aber darauf einlässt, entwickelt sich „Die Suche“ zu einem spannenden Krimi mit überraschenden Wendungen.

Wieder spielt die Geschichte im Norden Englands, in Scarborough an der rauen Nordseeküste. Im Mittelpunkt steht Detective Sergeant Kate Linville, 42 Jahre alt und mit ihrem Leben extrem unzufrieden. Sie sucht verzweifelt nach dem Mann fürs Leben, hält sich selbst aber für völlig unattraktiv und einfach nicht interessant genug, um einen Mann nachhaltig zu beeindrucken. Wie bei Selbstprophezeiungen geradezu zwingend wird ihr das im Verlauf der Geschichte auch tatsächlich zum Verhängnis. Sie hält sich gerade in Scarborough auf, um das von Mietnomaden völlig verwüstete Haus ihrer verstorbenen Eltern zu renovieren und dann endlich zu verkaufen. Weil sie in ihrem Haus nicht übernachten kann, mietet sie sich in der Pension der Goldsbys ein, just zu der Zeit, als deren 14-jährige Tochter Amelie verschwindet. Das ruft Detective Chief Inspector Caleb Hale auf den Plan, denn am selben Tag wird die Leiche der seit einem Jahr vermissten Saskia Morris gefunden, zum Zeitpunkt ihres Verschwindens ebenfalls 14 Jahre alt. Kate kennt DCI Hale von den gemeinsamen Ermittlungen im Zuge des Mordes an ihrem Vater. Als Amelies völlig verzweifelte Mutter Kate um Hilfe bittet, will sie sich zwar nicht in Hales Arbeit einmischen, kann aber nicht umhin, ein wenig zu recherchieren. Dabei stößt sie auf einen weiteren Vermisstenfall, Hannah Caswell, die vor einigen Jahren im gleichen Alter verschwunden ist. Hängen die Fälle zusammen? Gibt es den Hochmoor-Killer, von dem die Presse rasch spricht?

Charlotte Link ist mit „Die Suche“ ein spannender Krimi gelungen, den man – wenn man sich erst einmal auf die Geschichte eingelassen hat – nicht mehr aus der Hand legen mag! /sis

Biographie
Charlotte Link „Die Suche“
Taschenbuch Blanvalet Verlag, 2018, 656 Seiten
ISBN 978-3-7341-0742-9

Exoribtanter Umfang macht das Lesen wahrhaft schwer

Exoribtanter Umfang macht das Lesen wahrhaft schwer
Rezension Frank Schätzing „Limit“

Fesselnd ist er schon, der 1394 Seiten starke Wälzer „Limit“ aus der Feder von Frank Schätzing. Aber eben im wahrsten Wortsinn auch schwergewichtig, wie die hohe Seitenzahl schon vermuten lässt, da hilft auch das hauchdünne Papier nicht viel, auf dem das Taschenbuch gedruckt wurde. Und so ist das Buch in erster Linie unhandlich und – wohl auch dem exorbitanten Umfang geschuldet – streckenweise sehr langatmig. Zu sehr geht Schätzing ins Detail bei der Beschreibung seiner Figuren, der Spielorte und der dazugehörigen Hintergrundgeschichten, die bis hin zu den politischen Umbrüchen in afrikanischen Kleinstaaten reichen. Die Kerngeschichte hätte sich sicher gut auf der Hälfte der Seitenzahl dann ungebrochen packend erzählen lassen. Und so quält man sich unter anderem durch die ausführlichen Autobiographien eines Dutzend äußerst finanzstarker Prominenter mit obendrein nicht gerade einfach zu merkenden Namen, die im Jahre 2024 ein spektakuläres Orley-Hotel auf dem Mond besuchen und so dazu bewegt werden sollen, dem Firmengestrüpp von Orley Enterprises unter der Leitung von Julian Orley und seiner Tochter Lynn zu einer weiteren Expansion zu verhelfen. Orley baut auf dem Mond Helium 3 ab, das künftig die umweltverträgliche Energieversorgung der Erde übernehmen soll. Und genau da liegt der Ausgangspunkt der Geschichte, denn die Erdölgesellschaften wollen sich ihr Geschäft, auch wenn es nur noch wenige Jahre bestehen wird, nicht kaputt machen lassen. Skrupellose, mit allen Wassern gewaschene und mit allen erdenklichen technischen Hilfsmitteln ausgestattete Gangster stehlen Atombomben, schaffen sie auf den Mond und wollen so Orley und seinen futuristischen Fahrstuhl ins Weltall zerstören. Auf die Schliche kommt ihnen aber ein in Shanghai lebender amerikanischer Cyberermittler namens Owen Jericho, der eigentlich nur die chinesische Dissidentin Yoyo im Auftrag ihres Vaters finden soll. Sie hat durch Zufall verschlüsselte Hinweise auf die bevorstehende Katastrophe für Julian Orley und seine Gäste auf dem Mond entdeckt. Für Yoyo, Jericho und Tu Tiang, einem Freund der Familie, beginnt eine wahrhaft mörderische Spurensuche rund um den Globus.

Die außergewöhnliche Geschichte verliert durch die teils langatmigen Ausführungen sehr an Anziehungskraft und auch das Gewicht des Buches zwingt den Leser immer wieder zu Pausen. „Limit“ ist ein echter Fall für einen E-Reader und wenn man die für den normalen Leser doch eher uninteressanten Stellen einfach großzügig überfliegt, lohnt sich die Lektüre auf jeden Fall. /sis

Bibliographie
Frank Schätzing: Limit, Fischer Taschenbuchverlag, 4. Auflage 2018, 1394 Seiten
ISBN 978-3-596-18488-0

Unprofessionelle Optik trifft auf recht konstruierten Inhalt

Unprofessionelle Optik trifft auf recht konstruierten Inhalt
Rezension Dushan Wegner „Talking Points“

Ein Politikbuch nennt Dushan Wegner sein 328 Seiten starkes Buch mit dem Titel „Talking Points“ mit zahlreichen, leider nicht durchnummerierten Anmerkungen. Ein Buch, das auf den ersten Blick einen äußerst unprofessionellen Eindruck macht. Der Grund: Es erschien im Selbstverlag und das merkt der Leser auf beinahe jeder Seite. Allein schon der Flattersatz ohne Silbentrennung reißt große Lücken in den Text, die das Lesen unnötig erschweren. Außer einem guten Layout hätte dem Buch darüber hinaus auch ein professionelles Lektorat sehr gutgetan.

Abgesehen von den optischen Mängeln und sprachlich mitunter gewagten Klimmzügen lässt leider auch der Inhalt zu wünschen übrig. Was der Autor beschreibt, sind Effekte, die aus psychologisch wirksamen Formulierungen entstehen können mit dem Ziel, den Wähler dazu zu bringen, einem bestimmten Politiker und damit auch gleich der Partei, die er vertritt, seine Stimme zu geben. Dafür führt er unzählige, ziemlich wahllos zusammengesuchte Beispiele an, die diese Effekte beschreiben sollen. Die Beispiele reichen von Gandhis Güte über Helmut Schmidts Weisheit, Putins Potenzdarstellung bis hin zum Thema “Nudging (1)”, das der Autor ziemlich treffend als “mentale Hundeleine” bezeichnet – um nur einige wenige zu nennen. Nicht immer ist aber der Zusammenhang zwischen beschriebenem “Effekt” und angeführtem “Beispiel” erkennbar. Der Mensch, so behauptet Wegner, folgt dem Gütigen, dem Weisen, dem Echten, dem Starken und einigen anderen Anführern mit vergleichbaren positiven Charaktereigenschaften. Letztlich aber geht es nur um Gefühl. Wer es schafft, die jeweils vorherrschenden Gefühle in der Gesellschaft zu erkennen und möglichst klug zum Ausdruck zu bringen hat – in Verbindung mit einer entsprechenden Ausstrahlung – die Nase vorn im Politiker-Wettstreit.

Sicher sind Politikerauftritte in jeder Situation gut durchdachte PR-Maßnahmen. Politiker spielen mit den Ängsten der Menschen und inszenieren sich als einzig fähige Problemlöser. Ob sie das allein durch „Talking Points“ erreichen können, ist mehr als fraglich, das erkennt der Autor am Ende selbst. Dennoch liefert Wegner einige brauchbare Ratschläge für Politikerneulinge, gibt Tipps für wirkungsvolle Selbstdarstellung und vergisst auch nicht die Fettnäpfchen zu benennen, die sich entlang des Weges zu höchsten Politikämtern dicht an dicht aneinanderreihen. Für den normalen, lediglich politikinteressierten Leser aber bietet das Buch kaum nennenswerte Erkenntnisse, er kann sich die mühevolle Lesearbeit durch das optisch wenig ansprechende „Werk“ also getrost sparen. /sis

Biographische Angaben
Dushan Wegner: Talking Points oder Die Sprache der Macht
Version Februar 2019, Selbstverlag, 328 Seiten
ISBN 978-1-79-021214-9

(1) Zum Thema “Nudging” siehe auch Nudge Teil I: Nur ein Schubs in die richtige Richtung? und Nudge Teil II: Wie die Bundesregierung “wirksam regieren” will

Sie konnten zusammen nicht kommen

Sie konnten zusammen nicht kommen
Rezension Charlotte Link „Das andere Kind“

Charlotte Linke gilt als eine der besten deutschen Autoren – und das zu Recht. Ihr Stil ist flüssig, sie verzichtet auf ausschweifende Beschreibungen, konzentriert sich auf das Wesentliche ihre äußerst geschickt konstruierten Geschichten. Das mündet in einem wahren Leserausch. „Das andere Kind“ aus ihrer Feder mag man nicht aus der Hand legen. Es handelt sich dabei eigentlich nur in zweiter Linie um einen Kriminalroman, im Vordergrund steht die ungewöhnliche Lebensgeschichte von Fiona Barnes und Chad Beckett, die sich im Zuge der Landverschickung Londoner Kinder nach Yorkshire Ende 1940 in der rauen Küstenstadt Scarborough noch als Kinder kennen und lieben lernen und ein Leben lang nicht mehr von einander lassen können. Und dass, obwohl den beiden kein klassisches Happyend beschert ist, jeder einen anderen Partner heiratet und eigene Kinder bekommt. Was sie verbindet ist eine grausame Schuld, ein Vergehen an einem Kind, eben dem „anderen Kind“, wie der kleine Brian von Fiona und Chad genannt wird. Brian gerät mehr zufällig in das Geschehen, wird aber zum zentralen Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, die mit dem Mord an einer Studentin ihren Ausgang nimmt und in Fionas Ermordung gipfelt. Für die ehrgeizige Kommissarin Valerie Almond sieht es so aus, als ob die beiden Morde von ein- und demselben Täter begangen wurden. Nach und nach aber taucht sie, zusammen mit Dr. Leslie Cramer, Fionas Enkelin, immer tiefer in die Geschichte von Fiona und Chad ein, die ihre dunklen Schatten bis in die Gegenwart wirft, denn Fionas Mörder kennt plötzlich kein Halten mehr.

Das 672 Seiten umfassende Buch erzählt nicht nur die eigentliche Geschichte um den Mord der beiden Frauen, sondern wirft auch einen bemerkenswerten Blick auf die Geschichte des Zweiten Weltkrieges in London, den vom Überlebenskampf geprägten Alltag der Menschen und die Nachwirkungen, die das grausame Geschehen auf ihr Leben hatte. /sis

Bibliographische Angaben:
Charlotte Link: Das andere Kind
Verlag Blanvalet, Erstveröffentlichung 2009, Ausgabe 2019, 672 Seiten
ISBN 978-3-7341-0793-1

Für dumm verkauft?

Für dumm verkauft?
Rezension Vincent Kliesch/Sebastian Fitzek „Auris“

Hochgelobt wird der Thriller „Auris“ von Vincent Kliesch nach einer Idee von Sebastian Fitzek. Allerdings wird das 352 Seiten umfassende Buch diesen Vorschusslorbeeren nicht gerecht. Es ist in der Tat zwar eine äußert ungewöhnliche und auch sehr spannende Geschichte, deren Ende aber den Leser geradezu verhöhnt. So stellt Kliesch seiner Protagonistin Jula Ansorge bei der Suche nach dem Entführer ihres Halbbruders Elyas einen genialen Fallanalytiker an die Seite, der durch seine Fähigkeit, aus der Stimme eines Menschen seine Herkunft, sein Aussehen und die psychische Verfassung des möglichen Täters herauszulesen, für die Polizei schon viele Fälle gelöst hat. Nur sitzt dieser akustische Profiler namens Matthias Hegel, genannt “Auris” (lateinisch “das Ohr”), selbst wegen Mordes im Gefängnis – unschuldig. Das jedenfalls macht der Autor seinen Lesern weis bis zum Schluss. Dann nämlich stellen sich alle Bemühungen, den jungen Elyas aufzuspüren, als eine einzige Intrige heraus, die nur dazu dienen soll, Hegel selbst aus dem Gefängnis zu befreien. Hegel, der über 300 Seiten lang als absolut integer, ehrlich und zurückhaltend geschildert wird, entpuppt sich ohne jede Vorwarnung als Monster, das aus dem Gefängnis heraus das Geschehen um Elyas’ Entführung inszeniert haben soll – aber nur vielleicht. Ob das tatsächlich so ist, bleibt letztlich offen. Hegel bestreitet glaubwürdig jede Schuld, will aber aus den Drohanrufen die Stimmen seines besten Freundes und seiner Schwiegermutter nicht herausgehört haben. Der Leser nimmt dem Erzähler diese Wendung nicht ab. Sie wirkt unglaubwürdig und führt das gesamte Geschehen ad absurdum. Und dann taucht zu guter Letzt und ganz nebenbei auch noch Julas richtiger Bruder Moritz wieder auf, der sich zu Beginn der Geschichte bei einer gemeinsamen Reise in Argentinien das Leben genommen haben soll. Hegel will ihn aus dem Gefängnis heraus in einem Zeugenschutzprogramm, von dem zuvor nie die Rede war, aufgespürt haben. Was Moritz getan hat, um in dieses Schutzprogramm aufgenommen zu werden, bleibt genauso im Dunkeln wie die Frage, was das alles mit Julas Vergewaltigung in Argentinien zu tun haben soll. Ein einziges Chaos, aus dem der Autor mit fragwürdigen Erklärungen zu entkommen sucht. Schade!

Vincent Kliesch gibt in seiner seitenlangen Dankesrede am Ende des Buches an, drei Jahre an diesem Thriller gearbeitet zu haben. Man hätte ihm ein weiteres Jahr gegönnt, um vielleicht doch noch einen durchdachten, logischen Schluss für seine an sich packende Geschichte zu finden. So beschleicht den Leser am Ende nur das ungute Gefühl, für dumm verkauft worden zu sein. /sis

Bibliographische Angaben:
Vincent Kliesch/Sebastian Fitzek: „Auris“
Droemer Verlag, 2019, 352 Seiten
ISBN 978-3-426-30718-2

Spannender Blick in die Überwachungszukunft

Spannender Blick in die Überwachungszukunft
Rezension Tom Hillenbrand „Drohnenland“

Wer den Zugriff auf die Daten hat, der hat die absolute Macht. Und um diese Macht zu erhalten, schrecken Menschen auch vor massenhaftem Mord nicht zurück. Das ist der Kern des futuristischen Thrillers „Drohnenland“ von Tom Hillenbrand, der 2014 veröffentlicht, mit dem Friedrich-Glauser-Preis als bester Kriminalroman ausgezeichnet wurde und inzwischen in der 12. Auflage erschienen ist.

In Hillenbrands Geschichte wird das Europa der Zukunft von den unterschiedlichsten Drohnen überwacht, die alles sehen, alles hören und alles aufzeichnen. Diese Aufzeichnungen kann man sich nicht nur anschauen, man sich auch direkt in sie hineinspiegeln lassen, erfährt die Situation quasi als unsichtbarer Geist direkt und hautnah mit. So jedenfalls löst Kriminalhauptkommissar Arthur van der Westerhuizen vorzugsweise seine Fälle in Brüssel. Keiner entkommt dieser allumfassenden Überwachung, ein Computer weiß jederzeit, wo wer ist und was er gerade tut, mehr noch, er kann sogar voraussagen, was der jeweilige Mensch in Zukunft tun wird, mit einer gewissen Schwankungstoleranz. Um diesen Zustand totaler Kontrolle abzusichern, haben sich Kommission, Polizei und Geheimdienst in einer neuen, in Kürze zur Abstimmung stehenden Verfassung umfangreiche Rechte festschreiben und durch den allwissenden Polizeicomputer Terry auch gleich die eventuellen Neinsager unter den Abgeordneten bestimmen lassen. Sie sind ein unkalkulierbares Risiko für die machtbesessenen Chefs der drei Institutionen und so stirbt ein potentieller Neinsager nach dem anderen unbemerkt eines mehr oder minder natürlichen Todes, bis Kommissar Westerhuizen und seine Datenanalystin Ava Bittman den Verschwörern auf die Spur kommen, selbstverständlich nicht ohne selbst in höchste Lebensgefahr zu geraten.

Tom Hillenbrand erzählt aus der „Ich-Perspektive“ des Kommissars in der Gegenwart, was anfangs ein wenig gewöhnungsbedürftig ist. Von der ersten bis zur letzten Seite begleitet der Leser den ungewöhnlichen Polizisten durch die spannende Geschichte, die durch diese Erzählweise aber naturgemäß sehr dialoglastig ist. Das stört nicht weiter, außer vielleicht, dass Westerhuizens Mitarbeiterin Ava nahezu jeden ihrer Sätze mit einem liebevollen „Aart“ enden lässt, wie sie den Kommissar nennt. Trotzdem ist das Buch uneingeschränkt beste Krimiunterhaltung, die einen Blick in eine Zukunft gewährt, die hoffentlich niemals kommen wird. /sis

Bibliographische Angaben:
Tom Hillenbrand: „Drohnenland“
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014, 423 Seiten, 12. Auflage 2019, ISBN978-3-462-04662-5

Von zäh zu spannend, aber viel zu unglaubwürdig

Von zäh zu spannend, aber viel zu unglaubwürdig
Rezension Sebastian Fitzek “Flugangst 7A”

Es sind schon recht gemischte Gefühle, die die Lektüre von Sebastian Fitzeks „Flugangst 7A“ hinterlässt. Anfangs findet man keinen rechten Zugang zur Geschichte und den handelnden Figuren. Immer wieder ist das Ende eines Kapitels auch das Ende der Lesezeit. In der Mitte schließlich wird es plötzlich ganz spannend, ein Buch, das man nicht aus der Hand legen mag. Und am Ende folgt die totale Übertreibung, die das Lesevergnügen doch sehr trübt. Jeder, wirklich jeder, der im Laufe der Geschichte aufgetauchten Figuren ist in irgendeiner Form in die Ereignisse verstrickt, es gibt keine „Guten“, nur komplett durchgeknallte Zeitgenossen, die vor keine Grausamkeit zurückschrecken. Das, und die Art und Weise, wie zur Auflösung ein Komatöser mit den Behörden kommuniziert, macht die gesamte Geschichte leider viel zu unglaubwürdig.

Der Psychiater Dr. Mats Krüger fliegt von Buenos Aires nach Berlin, um bei der Geburt seines Enkelkindes dabei zu sein. Krüger leidet unter extremer Flugangst, die erst wortreich beschrieben, dann aber urplötzlich nebensächlich wird, als er einen Anruf erhält mit der Nachricht, dass seine Tochter Nele entführt wurde und er sie nur retten kann, indem er eine der Flugbegleiterinnen, eine ehemalige Patientin, dazu bringt, das Flugzeug, in dem mit ihm weitere 600 Passagiere sitzen, abstürzen zu lassen. Es beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Krüger bittet seine Ex-Geliebte Feli, ebenfalls Psychiaterin, um Hilfe, die sich zusammen mit dem cleveren Kleinganoven Livio auf die Suche nach Nele macht. Krüger selbst versucht die Flugbegleiterin zu manipulieren, muss am Ende aber feststellen, dass er selbst manipuliert wurde. Er überlebt den Flug nicht, kann aber mit Hilfe eines Wunderarztes trotz „Locked-in-Syndrom“ der Polizei noch verraten, was er über den Entführer herausgefunden hat. Und dann macht Livio, der weit mehr Anteil am Geschehen hat, als zu Beginn zu vermuten wäre, einen entscheidenden, man könnte fast schon sagen, viel zu dummen Fehler, der zu Nele, dem Baby und Feli führt. Alle drei sind trotz der Höllenqualen, die sie erleiden mussten, wie durch ein Wunder unverletzt. Sie werden gerettet, alle anderen kommen um.

Blutrünstig geht es über die 380 Seiten zu, wobei die letzten 50 nur der Auflösung und Erläuterung vorbehalten sind. Streckenweise kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass so manche Wendung und Überraschung einfach nur Seiten füllen soll und deshalb vieles konstruiert und wenig ansprechend wirkt. Und zu guter Letzt hätte der Autor sicher ein glaubwürdigeres Ende finden können. Schade, denn die Geschichte an sich, ist sehr gut. Wie gesagt, es bleiben gemischte Gefühle! /sis

Bibliographische Daten
Sebastian Fitzek, Flugangst 7A
Knaur Taschenbuch, 2019, 400 Seiten
ISBN 978-3-426-51019-3

Sie haben wirklich nichts zu verbergen?

Sie haben wirklich nichts zu verbergen?
Rezension Andreas Eschbach: NSA

Das ist schon ein in jeder Hinsicht ungewöhnlicher Roman, den Andreas Eschbach vorgelegt hat: Er verlegt eine düstere Zukunftsvision in eine noch düstere Vergangenheit und erzählt auf 796 Seiten nicht nur in der Hardcoverversion alles andere als eine “leichte” Kost. Dennoch verliert der Leser über die lange Distanz nie das Interesse an den beiden Hauptfiguren, Helene Bodenkamp und Eugen Lettke, deren Schicksal sie für eine kurze Zeit im „NSA“, dem „Nationalen Sicherheits-Amt“ in Weimar in der Zeit der Naziherrschaft zusammenführt. Dieses Sicherheitsamt hat nun eigentlich wenig mit Sicherheit zu tun, sondern ist eine mit modernster Technik ausgestattete Spionageeinrichtung. Und modernste Technik ist hier wörtlich zu nehmen, denn in Eschbachs Buch verfügen die Menschen in der Nazizeit bereits über Fernsehen, Mobilfunk und intelligente Informationstechnologie. Zwar heißt der Computer zeitgemäß Komputer, Serverfarmen sind Datensilos, Handys Volkstelephone, E-Mail Elektropost und das World Wide Web heißt Weltnetz. Auf den ersten Blick klingt das alles ungewöhnlich, tatsächlich aber schaffen die konsequent deutschen Begriffe einen wesentlich leichteren Zugang zu der sonst so schwer verständlichen Materie. Auch Social Media-Plattformen gibt es schon, in Form vom „Deutschen Forum“ und ausländischen Entsprechungen. Außerdem wurde Bargeld bereits abgeschafft und durch eine Geldkarte ersetzt. Jede finanzielle Transaktion wird aufgezeichnet. Termine beim Arzt, Eintrittskarten für Konzerte, Fahrkarten für die Bahn können nur noch elektronisch über das Telephon gebucht werden, von denen es ganz unterschiedliche Modelle gibt, vom einfachen Volkstelephon bis hin zu technischen Wunderwerken namhafter Hersteller. Das NSA hat Zugriff auf alle Daten, die dadurch jemals erzeugt wurden und täglich werden und es kann sie nutzen, um jeden einzelnen Bürger engmaschig zu überwachen, ungehemmt im Ausland zu spionieren, in fremde Netzwerke einzudringen und so etwa die Herstellung von Rüstungsgütern zu sabotieren. Das erledigen Analysten in enger Zusammenarbeit mit sogenannten „Programmstrickerinnen“. Letztere sind bezeichnender Weise ausschließlich Frauen, die Abfrageroutinen in Komputer-Programme umsetzen. Eugen Lettke ist Analyst, Helene Bodenkamp Programmstrickerin. Gemeinsam beeindrucken sie Reichsführer Heinrich Himmler durch das Aufspüren von in Amsterdam versteckten Juden, in dem sie die verbrauchten Kalorien eines Haushalts mit der Anzahl der in diesem Haushalt gemeldeten Personen in Beziehung setzen. Durch einen glücklichen Zufall gelingt es den beiden sogar, amerikanische Pläne zum Bau der Atombombe aufzuspüren und der Reichsführung zugänglich zu machen. Beide nutzen das System aber auch privat: Lettke, um hinter schmutzige Geheimnisse von Frauen zu kommen, die ihn in jungen Jahren einmal bloß gestellt haben. Mit diesem Wissen zwingt er sie zu sexuellen Gefälligkeiten. Helene ist durch ihre umfassenden Kenntnisse der Funktionsweise von Komputern sogar in der Lage, das System selbst zu manipulieren und so ihren bei Freunden versteckten Liebsten zu schützen, der desertiert ist und von einer Flucht nach Brasilien träumt.

Um es vorweg zu nehmen: Es gibt kein Happyend für Helene und Eugen, denn auch ihre gesamten Aktivitäten, beruflich wie privat, wurden aufgezeichnet. Das ist es auch, was der Autor seinen Lesern klar vor Augen führt: Alles, was über die modernen Kommunikationskanäle läuft, bleibt erhalten und kann irgendwann gegen einen verwendet werden. In „NSA“ gewinnen die Nazis den Zweiten Weltkrieg, weil sie über dieses gesammelte Wissen verfügen, das ihnen unumschränkte Macht einräumt. Eschbach macht deutlich, dass es keine unwichtigen Daten gibt und solch umfassendes Wissen über die Menschen und ihre Lebensgewohnheiten in den Händen eines totalitären Staates unweigerlich in die Katastrophe führt.

Fazit: Ein unbedingt lesenswertes Buch mit einer fesselnden Geschichte, die einen noch lange nach der Lektüre beschäftigt und zugleich die Datensammelwut unserer Tage in ein ganz anderes Licht rückt. /sis

Bibliographische Angaben:
Andreas Eschbach: NSA
Bastei Lübbe, 2018, 796 Seiten
ISBN 978-3-7857-2625-9

 

Nicht so spektakulär wie “Blackout”

Nicht so spektakulär wie “Blackout”
Rezension Marc Elsberg: Gier – Wie weit würdest du gehen?

Der mathematischen Formel für Wohlstand für die gesamte Menschheit ist Bestseller-Autor Marc Elsberg in seinem neuen Roman „Gier – Wie weit würdest du gehen?“ auf der Spur. Mitunter nicht immer auf Anhieb nachvollziehbar, handelt es sich doch um einen gelungenen Thriller, der es sehr gut versteht, Empathie für die Protagonisten zu erzeugen. So geht der Leser mit dem ungleichen Paar Jan Wutte und Fitzroy Peel, ein Pfleger und ein Spieler, auf die Jagd nach dem Geheimnis des ermordeten Nobelpreisträgers und seines Co-Autors, die die Formel entwickelt haben und sie auf dem Gipfeltreffen der Reichen und Mächtigen in Berlin öffentlich machen wollten. Dabei geraten Jan und Fitzroy ein ums andere Mal in höchste Lebensgefahr, denn sowohl die Killer als auch eine Polizistin sind ihnen immer dicht auf den Fersen. Wir lernen mit ihnen eine Gruppe junger Studenten kennen, die für eine bessere Welt demonstrieren, wir tauchen ein in die Welt der Superreichen und erleben ihre grenzenlose Gier nach noch mehr Geld und Macht. Jan und Fitzroy ziehen zusammen mit der attraktiven Investmentbankerin Jeanne Dalli aus den wenigen Informationen, die sie durch ihre gefährliche Recherche über die Arbeit des Nobelpreisträgers erlangen konnten, die richtigen Schlüsse. Am Ende können sie die Formel für grenzenlosen Wohlstand entschlüsseln und schaffen es sogar, die versammelte Wirtschafts- und Politelite beim Berliner Gipfeltreffen zumindest zum Nachdenken zu bewegen. Und wie lautet die Formel nun? Nicht überraschend ist sie einfach und uralt: „Teilen“ bringt langfristig mehr für alle, getreu dem Kern der christlichen Lehre “Liebe deinen Nächsten wie dich selbst”.

Es dauert eine Weile, bis man sich an Elsbergs Schrumpfsätze gewöhnt. Wenn man sich aber erst einmal in die Geschichte vertieft hat, mag man das Buch nicht mehr aus den Händen legen, auch wenn es sich am Ende nicht als ganz so spektakulär entpuppt wie die Vorgänger aus der Feder von Marc Elsberg, allen voran natürlich „Blackout“. /sis

Bibliographische Angaben
Marc Elsberg: Gier – Wie weit würdest du gehen?
Blanvalet Verlag, 2019, 448 Seiten, ISBN 978-3-7645-0632-2

Wer durchhält, wird belohnt

Wer durchhält, wird belohnt
Rezension “Operation Rubikon” von Andreas Pflüger

Man braucht schon etwas Geduld, bis man sich in den Thriller „Operation Rubikon“ aus der Feder des bekannten Drehbuchautors Andreas Pflüger eingelesen hat. Zu viele Figuren sind im Spiel, deren jeweilige Lebensgeschichte ein wenig zu breit erzählt wird. Zu viele Schauplätze mit zum Teil schwierigen ausländischen Namen erschweren den Durchblick. Und nicht zuletzt eine Flut von Abkürzungen machen es dem Leser nicht leicht, sich in der Vielzahl von staatlichen Behörden zurecht zu finden, die gegen organisierte Kriminalität mit all ihren Auswüchsen wie Geldwäsche, Korruption, Erpressung und Mord, antreten. Am Ende des fast 800 Seiten umfassenden Wälzers findet sich zwar ein Abkürzungsverzeichnis, allerdings macht es das Lesen nicht zu einem Vergnügen, wenn man ständig nachschauen muss, was denn gleich noch mal „ST“ bedeutet. Und so quält man sich förmlich durch die ersten 400 Seiten, blättert zurück, sucht Zusammenhänge, fängt ganze Kapitel immer wieder von vorne an, natürlich in der Hoffnung, dass noch etwas Überraschendes kommt. Zu oft wechselt der Autor die Perspektive, die zum Ausdruck gebrachte Brisanz einzelner Situationen vermittelt sich dem Leser zu häufig nicht. Und dennoch wird der Leser nicht enttäuscht, denn die restlichen 400 Seiten sind aller Mühe wert. In der zweiten Hälfte des Buches gelingt es dem Autor dann doch noch, eine emotionale Bindung zwischen seinen Figuren und dem Leser herzustellen, die es möglich macht, mit den Protagonisten zu leiden und zu hoffen, dass am Ende doch noch alles gut ausgeht. Das Ende allerdings ist nach fast 800 Seiten Beschreibungen bis ins kleinste Detail etwas zu knapp geraten.

Die Geschichte rankt sich um die bei der Bundesanwaltschaft tätige junge Staatsanwältin Sophie Wolf, die mit ihrem ersten richtigen Fall in einen Strudel internationaler organisierter Kriminalität gezogen wird, die bis in höchste Regierungskreise reicht. Dabei trifft sie auf ihren Vater, den mächtigen und allseits verehrten Präsidenten des Bundeskriminalamtes Richard Wolf. Das Verhältnis der beiden ist denkbar schlecht. Als dann aber Sophies Spezialeinsatz, bei dem illegale Waffengeschäfte gestoppt werden sollen, in einem wahren Desaster endet, hält Vater Richard seine schützende Hand über sie. Gemeinsam kämpfen sie gegen ein neues Kartell, das den internationalen Waffen- und Drogenmarkt erobern will. Der Chef des Kartells schafft es dabei bis in die Spitze der Bundesregierung und es gelingt ihm, alle wichtigen Schaltstellen der Verbrechensbekämpfung mit seinen Leuten zu infiltrieren. BKA-Präsident Wolf gründet die geheime Gruppe Rubikon, in der eine handvoll vertrauenswürdige Mitarbeiter zusammen mit Sophie gegen den skrupellosen Verbrecher und seine Schergen antreten.

Das Buch „Operation Rubikon“ erschien 2004 im Herbig Verlag und wurde 2016 vom Suhrkamp Verlag neu aufgelegt. Andreas Pflüger arbeitete fünf Jahre an diesem Buch und er schrieb auch das Drehbuch zum gleichnamigen Film.

Biographische Angaben
Andreas Pflüger: Operation Rubikon
Suhrkamp Taschenbuch, 2016, 798 Seiten
ISBN: 978-3-518-46740-4

Ein beinahe gelungener Thriller

Ein beinahe gelungener Thriller
Rezension Marc Elsberg: Helix – Sie werden uns ersetzen

Nach “Blackout” und “Zero” legt Marc Elsberg mit „Helix – Sie werden uns ersetzen“ sein drittes Buch vor. Nach den dramatischen Folgen eines europaweiten Stromausfalls und einem Abstecher in die Welt der Manipulation von jungen Menschen durch intelligente Computerprogramme ist es diesmal das Menschsein selbst, zumindest wie wir es kennen, das der Autor in seinem über 670 Seiten starken Thriller attackiert. Es geht um Genmanipulation bei Pflanzen, Tieren und letztlich den Menschen.

Der amerikanische Außenminister bricht auf der Sicherheitskonferenz in München tot zusammen. Herzprobleme, die sich aber bei der Obduktion als durch einen von Menschenhand geschaffenen Killervirus verursacht entpuppen. Zeitgleich werden an unterschiedlichen Orten auf der ganzen Erde äußerst robuste und krankheitsresistente Pflanzen und Tiere entdeckt. Das ruft natürlich die Regierung und sämtliche amerikanischen Geheimdienste und sonstige Spezialeinheiten auf den Plan. Jessica Roberts, von der Präsidentin der Vereinigten Staaten zur Sonderermittlerin in diesem Fall berufen, kommt mit Hilfe von Wissenschaftlern und einem Heer von Einsatzkräften dem Geheimnis um Killervirus und Genmanipulationen auf die Spur. Zur selben Zeit muss sich ein amerikanisches Ehepaar für die künstliche Befruchtung entscheiden zwischen einem ganz normalen Kind oder einem “modernen” Kind mit besonderen Eigenschaften nach Wunsch: Aussehen, Größe, Intelligenz sind nur einige der Wahlmöglichkeiten. Und dann wird auch noch die zehnjährige Jill vermisst, die wie 15 aussieht, bereits studiert und durch ihr außergewöhnliches Wissen, ohne dass es jemand gemerkt hätte, ein Vermögen an der Börse gemacht hat, das sie für die Weiterentwicklung “moderner Kinder” einsetzt. Das alles läuft zusammen in New Garden, einer Forschungseinrichtung, in der eben diese “modernen Kinder” bereits Wirklichkeit sind. Kinder, die sich schneller entwickeln, weit intelligenter sind und über ungeheure Kräfte verfügen, wie der zehnjährige Eugene, der unter anderem über eine enorme Sprungkraft verfügt.

Elsberg erzählt auch dieses Mal seine Geschichte dramatisch und ungemein spannend, spart auch ethischen Fragen nicht aus und legt ein Buch vor, das man nicht mehr aus den Händen legen mag. Das ändert sich aber ab der Hälfte der Geschichte. Dann nämlich, als eine Handvoll Kleinkinder ein Heer von bis an die Zähne bewaffnete Soldaten, die Wissenschaftler und Sonderermittler mitsamt Jessica Roberts und der Präsidentin in New Garden überwältigt, die Präsidentin als Geisel nimmt und sich mit einem Hubschrauber, den eben jener Eugene fliegt, aus dem Staub macht. Man ahnt es schon, die Absichten von Wunderkind Eugene sind eher negativer Natur. Von da an läuft die Geschichte bis zu ihrem spektakulären Ende am Flughafen Sao Paulo einige Mal gehörig aus dem Ruder, gleitet ab in unglaubwürdige Science-Fiction eingebettet in unsere reale Gegenwart. Schade, hätte der Autor die unterschiedlichen Erzählstränge zu einem soliden Ende geführt, wäre das Buch vielleicht nur halb so dick, dafür aber spannend von der ersten bis zur letzten Seite geworden. /sis

Bibliographische Angaben
Marc Elsberg, Helix. Sie werden uns ersetzen
Blanvalet Verlag, 2018, 672 Seiten
ISBN 978-3734105579

Europa liegt nicht in Brüssel!

Europa liegt nicht in Brüssel!
Rezension Hans Magnus Enzensberger „Sanftes Monster Brüssel oder die Entmündigung Europas“

„Brüssel liegt in Europa, aber Europa nicht in Brüssel“ ist die Kernaussage in Hans Magnus Enzensbergers Essay  über die Irrungen und Wirrungen der Brüsseler Bürokraten, die die Allwissenheit für sich gepachtet zu haben scheinen und mithin am besten wissen wollen, was für die europäische Bevölkerung gut ist und was nicht. Ein Mitspracherecht gehört definitiv nicht dazu. Denn in den entscheidenden Institutionen Rat und Kommission sitzen nicht gewählte und damit auch nicht abwählbare Vertreter aus den Mitgliedstaaten, ein Heer von Räten, Kommissaren, Generaldirektoren und Verwaltungsräten in einer unüberschaubaren Zahl von Einzelinstitutionen mit ebenso unverständlichen Abkürzungen als Namen. Enzensberger listet eine Vielzahl auf, die erschrocken macht. Und er weist darauf hin, dass die Spitzenpositionen nicht nach Eignung, sondern nach Proporz vergeben werden, während die Beamten in der zweiten Reihe ihre Kompetenz in einem komplizierten Ausschreibungsverfahren unter Beweis stellen müssen: ohne entsprechende Ausbildung und Berufserfahrung kein Job in Brüssel.

Die Brüsseler Stellvertreter sind unbeliebt und das kommt nicht von ungefähr, denn ihr Normierungswahn kennt keine Grenzen, betont der Autor. Und wie das so ist mit einer machtbesessenen Institution, versucht sie ihre Kompetenzen immer weiter auszudehnen, obwohl das nicht im Sinne der Gründungsväter sein dürfte. Diese wollten die „Vereinigten Staaten von Europa“ viel eher unter ein Subsidiaritätsprinzip gestellt sehen, soll heißen, was in der Region entschieden werden kann, wird auch genau dort entschieden. Die Gemeinschaft hingegen sollte sich um Probleme kümmern, die kein Land alleine lösen kann, wie etwa die Luftfahrtkontrolle oder Fischfangquoten. Doch die europäischen Bürokraten haben sich durch Flexibilitätsklauseln auch da Eingriffsmöglichkeiten geschaffen, wo sie eigentlich nichts zu suchen haben. Nur die Kultur blieb bisher von ihren Normierungsversuchen verschont, zu vielfältig zeigt sich dieser Bereich. Wobei Enzensberger deutlich macht, dass die Ideen für neue Normen in den Villen und Büroetagen der Lobbyisten entstehen und nicht etwa in den Köpfen der Brüsseler Abgeordneten und Beamten.

Trotz aller Ausdehnungsbemühungen ist die Europäische Union aber eine Wirtschaftsgemeinschaft geblieben, meint der Autor, denn die Wirtschaft bestimmt das Schicksal und nicht etwa die Politik. Dabei sei aber die wirtschaftliche Integration ohne Rücksicht auf die unterschiedlichen Kulturen der Länder vorangetrieben worden. Das trifft etwa auch auf die Eurozone zu, in die Länder aufgenommen wurden, die die Stabilitätskriterien gar nicht erfüllten, oder deren geschönte Zahlen nicht einmal überprüft wurden. Und so sei ein weiterer Grundsatz der Gründungsväter ausgehebelt worden, dass nämlich kein Mitgliedsstaat für die Schulden des anderen haften soll. Dank Gummiklauseln konnten diverse Rettungsschirme aufgespannt werden, die die Regelungen des Währungs- und Stabilitätspaktes schlicht umgehen und die Eurozone in eine Transferunion verwandelt haben, in der jedes Mitglied für alle anderen unbegrenzt zu haften hat. Die Spekulanten lachen sich ins Fäustchen, während der Europarat der Bevölkerung versichert, seine Entscheidungen seien „alternativlos“, was einem Denkverbot gleichkommt.

In der Trias von Parlament, Rat und Kommission verschwindet die Demokratie und wer dagegen aufbegehrt, wird als antieuropäisch denunziert. Aber das aus der Ohnmacht der Bevölkerung resultierende Desinteresse kommt den in Brüssel, Strasburg und Luxemburg kunstvoll geschaffenen Institutionen gerade recht, erklärt der Autor gut nachvollziehbar, denn die Brüsseler Bürokraten wollen und brauchen die Aufmerksamkeit der Bevölkerung nicht. Selbstkritik und Demut sind ohnehin nicht ihre Stärke. Sie leiden an Größenwahn, der keine Grenzen mehr kennt, attestiert Enzensberger und dem Leser bleibt nur die Erkenntnis, dass dies gewiss nicht das Europa ist, von dem die Völker auf dem europäischen Kontinent einst geträumt haben! /sis

Bibliographische Angaben:
Hans Magnus Enzensberger „Sanftes Monster Brüssel oder die Entmündigung Europas“
Sonderdruck Edition Suhrkamp
11. Auflage 2015, Suhrkamp Verlag Berlin, 73 Seiten
ISBN: 978-3-518-06172-5

Verstehen, was auf der Welt vor sich geht

Verstehen, was auf der Welt vor sich geht
Rezension Gabor Steingart „Weltbeben – Leben im Zeitalter der Überforderung“

Die Welt ist verrückt geworden, das denken wohl die meisten Menschen angesichts von Krieg und Terror, politischen und wirtschaftlichen Skadalen und anderen alltäglichen Unabwägbarkeiten. Die Suche nach einer Antwort auf die Frage nach dem „Warum“ aber ist ungemein kompliziert, so kompliziert wie die Welt selbst. Gabor Steingart ist es mit seinem Buch „Weltbeben – Leben im Zeitalter der Überforderung“ gelungen, die scheinbar unentwirrbaren Zusammenhänge von Politik und Wirtschaft aufzuräufeln und seinen Lesern mit klaren Worten gut nachvollziehbar offenzulegen. Er beschreibt die „Besinnungslosigkeiten des ökonomischen Größenwahns“, die Instrumente der Manipulation, mit denen uns die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft hinters Licht führen und wie sie statt nach Lösungen zu suchen, medientaugliche Geschichten erzählen. „Die Eliten kultivieren das Weghören“, konstatiert Steingart und hält den großen Knall für möglich. Aber, da ist er sicher, die Phänomene seien vom Menschen gemacht und könnten deshalb auch verändert werden. Deshalb schließt seine Analyse mit „einer hohen Dosis Zuversicht“, die allerdings nach der Lektüre des Buches nicht von jedem geteilt werden wird.

Steingarts Weltenschau beginnt mit der Überforderung und Selbstüberschätzung Amerikas. Amerika beschwört seine Größe und Einzigartigkeit, sieht sich als unverzichtbare Weltmacht und kann nicht glauben, dass nicht alle Welt das genauso sieht. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg Amerika zur mächtigsten Nation der Welt auf und dominierte alle anderen Staaten politisch, wirtschaftlich und militärisch. Doch Amerika ist schon lange keine Schutzmacht und kein Garant für Sicherheit mehr. Die Amerikaner können sich aber nicht damit abfinden, dass ihre Kultur eben nicht universell ist. Aus den vielen Lektionen des Scheiterns hat Amerika nichts gelernt und „die Misserfolge haben die USA nicht demütig, sondern rachsüchtig gemacht“.

Besondere Aufmerksamkeit widmet der Autor Europa, das von den frühen Anfängen bis 1945 nur Krieg und Gräueltaten vorzuweisen hat. Keine Seuche habe je so viel Tod gebracht, wie die mörderische Kriegslust der europäischen Völker. Erst mit der Kapitulation von Hitler-Deutschland sei Europa zur Besinnung gekommen und habe die Europäische Union als „Besserungsanstalt für fehlgeleitete Patrioten“ begründet. Ziel war die Nation zu überwinden, um Krieg zu verhindern. Dieses vernünftige Unterfangen aber sei von machtbesessenen Bürokraten in Brüssel gekapert worden. Nationalstaat und Patriotismus seien so diskreditiert worden, dass sich heute niemand mehr wage, ihnen Bedeutung beizumessen. Das einst geplante Europa in Vielfalt werde von der „europäischen Normierungsanstalt“ in einen europäischen Einheitsstaat umgewandelt. Brüssel normiert alles, von der Glühbirne bis zum Menschen. „Das Europa der Brüsseler Apparate ist ein Monster“, schreibt Steingart. Ein Monster im Übrigen, das auch Pöstchen-Selbstbedienung zu besten Konditionen beinhaltet. Politiker, die Zuhause ihren Posten verloren haben, können in Brüssel. Luxemburg oder Strasburg ein zweites Leben beginnen, ohne je wieder einem aufmüpfigen Wähler ausgeliefert zu sein. Nur wollten die Menschen sich nicht länger in diesen Schmelztiegel geworfen sehen, der alles und jeden glatt zu schleifen versuche. Brexit und Flüchtlingskrise seien nur zwei der Sollbruchstellen, die die Überforderung deutlich machten. Die europäische Idee indes sei die wertvollste, die dieser Kontinent in den letzten 100 Jahren hervorgebracht habe. Sie ermutige auch zum Widerstand gegen dieses nur halbdemokratische System, das sich als alternativlos ausgebe.

Den weltweiten Terrorismus bezeichnet der Autor als neuen Krieg der religiös motivierten Terrornetzwerke gegen die westlichen Gesellschaften. Wobei in diesem Krieg nicht etwa die Neuordnung der Welt das Ziel sei, sondern ihre Erschütterung. Wir seien nicht Opfer, sondern Beteiligte dieses globalen Krieges. Und die Regierenden, die mit ihren öffentlichen Beileidsbekundungen für die Opfer nach einem Terroranschlag auch gleich die Grundlage für die nächste Attacke bereiteten, hätten keinen Plan, wie sie dem radikal-islamistischen Terror begegnen sollen, darum redeten sie ihn klein und unterschätzten ihn damit. Die globale Organisation des extremistischen Islam und sein kulturelles Hinterland, das bis tief in die deutsche Migrantenszene reiche, werde verharmlost. Die Ursache des Terrors sieht Steingart in der jüngeren Geschichte der internationalen Politik, bei der es nicht um Demokratie und Menschenrechte, sondern einzig und allein um Interessen von Staaten gehe –im Nahen Osten um den Zugang zu Erdöl. Deshalb habe Amerika den Iran mit einem Staatsstreich zu seiner „Tankstelle“ gemacht. Während der durch den Staatsstreich an die Macht gekommene Shah Reza Pahlevi und seine Frau Farah Diba nach außen hin Glanz und Glamour verbreiteten, herrschte im Innern des Landes Folter und Unterdrückung. Der Terror habe viele Wurzeln, betont Steingart, ein dicker Strang aber führe direkt in die USA. Im Nahen Osten seien sich die Kulturkreise zu nahegekommen. Sie müssten jetzt mit Dialog wieder auf Abstand gebracht werden.

Weltweite Zerstörung löse nicht nur der Terrorismus, sondern auch die Dynamik des Kapitalismus aus. Das Vertrauen in die Selbstheilungskräfte der Märkte sei längst verschwunden. Und der Staat komme aus dem Retten, Regulieren und Bestrafen der Großkonzerne gar nicht mehr heraus. Die soziale Marktwirtschaft sei von den Grundlagen eines Ludwig Erhard Lichtjahre entfernt. Umsatz-, Steuer- und Sozialgesetze würden nicht mehr als Gesellschaftsvertrag verstanden, sondern als zu überwindende Zumutung. Der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts sei der Augenblicksgier verfallen, auch im Ausland. In der Finanzindustrie gar zahle man lieber Strafen, als sich an Gesetze zu halten. Und die Kreditsucht der Staaten sei dem Finanzsektor außerordentlich gut bekommen, Banken wiesen eine historische Prosperität auf. Notenbanken seien längst schon keine Währungshüter mehr, sondern Gelddruckmaschinen. Irgendwann, so Steingart, hätten die Staaten gar keine andere Wahl mehr, als die „steuerliche Leistungskraft der Leistungsfähigen“ und der Sparer anzuzapfen.

Mit Blick auf die digitale Gesellschaft rät Steingart den politischen und wirtschaftlichen Eliten lieber auf die Störgeräusche der Unzufriedenen zu hören, statt sie nur als Populismus abzutun. Industrie 4.0 bedeute für viele Menschen eine Erniedrigung und gerade gering Qualifizierte seien chancenlos. Letztlich aber verlören auch die Eliten mit der Digitalisierung ihr Monopol auf die Massenkommunikation. Konnten die Politiker ihre Überforderung bislang gut verbergen und so ihre Position sichern, ändere sich das mit der zunehmenden Zahl an Kommunikationskanälen. Als Gegenmaßnahme habe sich eine ganze Industrie von Beratern formiert, die das Image der Politiker aufbessern sollen, in dem sie schlicht die Wahrnehmung der Wähler manipulieren. (Siehe dazu auch die Artikel zu “Nudging” Teil I und II sowie die Rezension Thaler/Sunstein). „Wir alle sind die Kaninchen bei dem Versuch, diese psychologischen Techniken der Manipulation und des Verkaufens auf die Demokratie zu übertragen“, meint Steingart und nennt Bio, Öko und Nachhaltigkeit „Tarnnamen der Scharlatanerie“. Neue Europaabgeordnete etwa lernten in eigens etablierten Kursen, wie man den Wähler durch Sprache und nicht mit Taten beeinflusst. Der Ablenkungspolitiker hätte seinen großen Auftritt.

Der Autor glaubt, dass die Bürger dem Treiben der politischen und wirtschaftlichen Eliten nicht länger gleichgültig zuschauen werden. Stattdessen werde er die bisherigen Eliten in ihrem Machtanspruch begrenzen, Transparenz, Mitbestimmung Teilhabe und Kommunikation einfordert und damit die Demokratisierung der Demokratie in Gang setzen.

Fazit: Gabor Steingart stellt Politik und Wirtschaft ein sehr schlechtes Zeugnis aus. In klaren Worten zählt er auf, was schief läuft bei uns und in der Welt, wobei er auch sein eigenes Umfeld – die Medien – nicht von harscher Kritik ausnimmt. Jeder Bereich hat offenbar seine eigenen Instrumente entwickelt, um die Überforderung zu vertuschen und diese Instrumente macht der Autor in seinem Buch sichtbar. Bei seinem Blick auf die Zukunft, für die er eine stille Revolution bereits in vollem Gange sieht, ist er aber wohl zu optimistisch. Denn die Menschen haben sich längst eingerichtet in der von Politik und Wirtschaft erzeugten, überaus bequemen Hängematte der großen Illusion. /sis

Bibliographische Angaben:
Gabor Steingart: Weltbeben. Leben im Zeitalter der Überforderung
Knaus Verlag, 2016, 240 Seiten
ISBN 978-3-8135-0519-1

Viel zu kurz gedacht

Viel zu kurz gedacht
Rezension Mary Beard: Frauen und Macht

Das entscheidende Buch zu Feminismus und Gleichberechtigung, ein leidenschaftlicher Aufruf an Frauen, sich jetzt die Macht zu nehmen, ein Buch, das weltweit Furore macht – so und ähnlich lauten die Schlagzeilen zu Mary Beards Büchlein „Frauen und Macht“. Das macht natürlich neugierig, doch leider ist die Enttäuschung nach der Lektüre auch entsprechend groß. Denn das gerade einmal 112 Seiten umfassende Heftchen, eine Zusammenstellung aus Vorträgen der sehr bekannten britischen Historikerin Mary Beard, verfängt sich in Geschichten einer längst vergessenen Zeit, sucht den Ursprung für die bis heute nachwirkende Frauenfeindlichkeit ausschließlich im Leben der Frauen im antiken Griechenland und Rom. Frauen, denen Dichter wie Homer in der Odyssee das Recht auf die öffentliche Rede absprachen, Frauen, die die Macht an sich gerissen, sie missbraucht und ein entsprechend großes Chaos angerichtet haben. Wahre Monsterfrauen, die von den Männern in ihre Schranken gewiesen werden mussten. Frauen, deren gespenstische Abbilder noch heute dazu benutzt werden, um führende Politikerinnen wie Theresa May, Hillary Clinton oder auch Angela Merkel zu diskreditieren: Das drastischste Beispiel dafür ist die Abbildung einer Medusa, die die Gesichtszüge von Hillary Clinton trägt und deren abgeschlagener Kopf von Donald Trump siegessicher in die Höhe gereckt wird.

Unser kulturelles Modell einer mächtigen Persönlichkeit ist männlich, Schwachheit ist weiblichen Ursprungs, schreibt die Autorin. Und so ist es schon die schrille, winselnde Stimme der Frau, die ihr das Recht auf freie, öffentliche Rede seit der Antike abspricht und damit den Zugang zur Macht verwehrt. Äußert eine Frau eine abweichende Meinung, dann schreibt man das ihrer Dummheit zu. Machen Frauen einen Fehler gibt man sie zum Abschuss frei, männliche Patzer hingegen werden mit Nachsicht behandelt, hatte er eben einen schlechten Tag. Frauen, die das Rederecht fordern, gelten noch heute als Mannweiber. Und tatsächlich präsentieren sich mächtige Frauen meist in Hosenanzügen. Ein Fehler, wie Mary Beard meint. Es gelte vielmehr gerade nicht dem männlichen Muster zu entsprechen. Als positives Beispiel für diese These führt sie Margaret Thatcher mit ihrem Handtaschen-Tick an, die sich damit klar von ihren männlichen Konkurrenten abzugrenzen wusste. Die Autorin kommt zu dem Schluss, der Ausschluss der Frauen von der Macht sei tief in Kultur, Sprache und Geschichte des Abendlandes verwurzelt. Als Lösung bietet sie an, den Begriff der Macht vom damit verbundenen Prestige zu trennen und neu zu definieren. Wie das zu erreichen und was damit gewonnen wäre, bleibt die Autorin ihren Lesern aber schuldig.

Mein Fazit: Das Buch ist eine sicher interessante Zusammenstellung weiblicher Diskriminierung in der Antike. Nur greift es viel zu kurz, wenn die Autorin deren Auswirkungen noch heute im defizitären Verhältnis von “Frau und Macht” sieht. Denn im Laufe der Jahrtausende gab es immer wieder und immer mehr Frauen, die Gehör fanden und über erhebliche Macht verfügten ohne zerstörerische Absichten, Herrscherinnen, Kämpferinnen, Wissenschaftlerin und Forscherinnen, unzählige Beispiele von Cleopatra über Hildegard von Bingen bis Katharina die Große ließen sich anführen. Wer sich für  Geschichte und Geschichten antiker Frauen interessiert, wird nicht enttäuscht. Wer neue Ideen und Ansätze für Gleichberechtigung und Feminismus erwartet, sollte sich nach anderer Literatur umschauen. /sis

Bibliographische Angaben:
Mary Beard: Frauen und Macht: Ein Manifest gegen das Schweigen
S. Fischer Verlag, 2019, 112 Seiten
ISBN 978-3-10-397399-0

Jedem seine eigene Meinung!

Jedem seine eigene Meinung!

Rezension zu Volker Kitz: Meinungsfreiheit. Demokratie für Fortgeschrittene

Fakenews, alternative Fakten und Lügenpresse nimmt der deutsche Sachbuchautor und Jurist Volker Kitz in seinem mit 125 Seiten recht überschaubaren Büchlein zum Anlass, die Meinungsfreiheit und ihre Grenzen herauszuarbeiten. „Meinungsfreiheit. Demokratie für Fortgeschrittene“ klärt aber nicht nur über die zahlreichen widersprüchlichen Ansichten auf, was denn Meinungsfreiheit nun eigentlich genau ist, sondern gibt auch Hilfestellung, wie ein „echter Demokrat“ mit unterschiedlichen Meinungen optimalerweise umgeht.

Meinungsfreiheit, das weiß jeder, ist ein hohes Gut der Demokratie. Sie ist eine Freiheit gegenüber dem Staat. Jeder kann und darf seine persönliche Meinung und Überzeugung auch öffentlich kundtun, ohne dass er dafür vor Gericht belangt werden kann. Jedenfalls solange sich seine Äußerungen im strafrechtlich unbedenklichen Rahmen bewegen. Was Meinungsfreiheit aber gewiss nicht ist und auch nicht sein will, ist „Wahrheit“. Wahrheit lässt sich anhand von Fakten überprüfen, Meinung ist immer subjektiv und deshalb weder falsch noch richtig. In einer Demokratie hat eine Meinungspolizei nichts zu suchen und es gibt auch keine Meinungsrichter. Meinungen stehen gleichberechtigt nebeneinander. Das wird aber heutzutage leider allzu oft vergessen, und weil Meinung heute viel zu schnell etikettiert wird – als „linksversifft“ oder „rechts“ – kommt kein echter Austausch der Argumente mehr zustande. Allerdings sind Argumente, wenn sie auf Meinung treffen, für den Autor durchaus entbehrlich, denn er stellt fest, dass Meinungen auf Emotionen gründen, die Fakten schlicht nicht zugänglich sind. Tatsächlich sieht jeder Mensch die Welt aus seiner ureigensten Perspektive, die selbstverständlich in engem Zusammenhang mit Herkunft, Bildung und Umwelt steht. Diese einmal gefasste Meinung lässt sich, wenn überhaupt, nur durch Ereignisse ändern. Kitz erinnert in diesem Zusammenhang an die Änderung der Einstellung zur Atomkraft nach der Fukushima-Katastrophe. Sämtliche Bemühungen, Meinungen durch Fakten und Argumente zu verändern, können deshalb nur fehlschlagen. Vielmehr geht es den Menschen in der Diskussion nur darum, den anderen von seiner vermeintlich falschen Meinung abzubringen, ihn zu einer Meinungsänderung zu überreden. Es geht dabei auch gar nicht um falsch oder richtig, sondern nur ums “recht haben wollen”. Ein Fehler, den nicht nur Politiker viel zu häufig machen. Auch die viel beklagte Politikverdrossenheit resultiert laut Kitz nicht zuletzt aus dem Versuch, den politischen Diskurs durch Rechthaberei zu ersetzen. Dagegen besteht die Hauptaufgabe der Demokratie für den Autor in erster Linie darin, das möglichst reibungslose Zusammenleben unterschiedlicher Meinungen zu organisieren! Und daran kann jeder tagtäglich mitwirken, indem er zwar Unwahrheiten entlarvt und nicht unwidersprochen hinnimmt, zugleich aber andere Meinungen akzeptiert, ohne sie ändern oder gar vernichten zu wollen. /sis

Bibliographische Angaben:
Volker Kitz, Meinungsfreiheit – Demokratie für Fortgeschrittene
Fischer Verlag, Frankfurt 2018, 125 Seiten, ISBN 978-3-596-70224-4

Über Vergangenheit und Zukunft der Menschheit

Über Vergangenheit und Zukunft der Menschheit
Rezension Stephen W. Hawking: Kurze Antworten auf große Fragen

Kurz bevor er starb, hat Stephen W. Hawking noch mit der Zusammenstellung dieses Buches aus seinen Archiven begonnen. Die Veröffentlichung erlebte er nicht mehr. Stephen Hawking, einer der ganz großen Naturwissenschaftler und Forscher, Visionär und Mahner unserer Zeit, schwerstbehindert, aber nie hoffnungslos, starb am 14. März 2018 im Alter von 76 Jahren in Cambridge, dem Ort, an dem er lange gelehrt und geforscht hatte.

Seine Fachgebiete waren Theoretische Physik und Astrophysik. Und deshalb nimmt der Weltraum in seinem Buch auch den breitesten Raum ein. Tatsächlich sah Hawking, der seit seinem 20. Lebensjahr unter einer ALS-Erkrankung (Amyotrophe Lateralsklerose) litt, die ihn am Ende gänzlich bewegungsunfähig machte, die Zukunft der Menschheit nur durch Verlassen des Planeten Erde gesichert. Zu weit ist seiner Meinung nach die Ausbeutung und Zerstörung fortgeschritten, als dass die Erde noch auf die Evolution warten könnte, die den Menschen endlich klug macht. Und das wird sie. Hawking war sicher, es erwartet uns eine Explosion an Intelligenz, die nicht zuletzt die Wissenschaft dazu befähigen wird, Krankheiten zu heilen, perfekte Menschen zu designen, durch den Weltraum zu reisen und ferne Planeten zu besiedeln. Sie wird in der Lage sein, Künstliche Intelligenz zu erschaffen, die den Menschen schon bald übertreffen könnte. In all diesen Bereichen kommt es laut Hawking darauf an, dass der Mensch die Kontrolle behält und dafür sorgt, dass die Entwicklung zum Vorteil der Menschheit gereicht. Kommt beispielsweise Künstliche Intelligenz in Hände von Terroristen und Verbrecher, könnte sie ohne weiteres die Menschheit auslöschen. Doch dafür reicht allein schon das Atomwaffenarsenal, das wir noch immer horten. Mag manche Entwicklung in der Zukunft auch ethisch verwerflich sein oder sogar verboten werden, so wird es doch immer Menschen geben, die zu neugierig sind und sich solchen Verboten widersetzen. Demnach ist alles möglich. Und das gilt auch für alle anderen großen Fragen, denen sich Hawking in seinem Buch widmet. Er beschäftigt sich mit der Frage, woher wir kommen, ob es einen Gott gibt, ob wir die Zukunft vorhersagen können, ob Zeitreisen eines Tages möglich sein werden, ob wir die Erde überleben werden und den Weltraum besiedeln. Letztlich hat er auch keine Antworten, aber die sehr eindringliche Warnung, endlich auf dem – doch recht dümmlichen – Weg, den die Menschheit eingeschlagen hat, umzukehren, sich mit der Rettung unseres Planeten zu beschäftigen und im Weltraum nach Planeten zu suchen, auf denen die Menschheit weiter existieren kann. Die größten Bedrohungen führt er seinen Lesern vor Augen, warnt vor Atomkrieg, Klimawandel, Zerstörung der Ozeane und Wälder und auch vor der weiteren Zunahme der Weltbevölkerung. Gerade im letzten Punkt verweist er darauf, dass die Menschen auf unserer Erde schon in absehbarer Zukunft Schulter an Schulter stehen werden, wenn hier nicht endlich gegengesteuert wird. Die einzige Chance auf Veränderung sieht Hawking in der Bildung. Nur sie kann zukünftige Generationen mit dem erforderlichen Wissen ausstatten, das eventuell doch noch die Rettung bringt.

Fazit: Natürlich kann Stephen Hawking nicht auf alle Fragen eine befriedigende Antwort liefern. Denn diese Antworten liegen zum Teil einfach noch nicht vor. Es sind noch immer sehr viele Fragen offen, etwa wie die Milchstraße und damit die Erde nun wirklich entstanden sind, wie es zu den unzähligen Zufällen gekommen sein mag, die auf unserem Planeten letztlich Leben entstehen ließen und ob es doch eine Gott gibt, der bei all dem die Hand im Spiel hatte. Aber es gelingt ihm, den Stand der Wissenschaft verständlich darzulegen und zugleich für sein Wissensgebiet zu werben, nicht zuletzt auch, indem er immer wieder auf den bislang größten aller Wissenschaftler und Forscher dieser Welt zu verweisen: Albert Einstein.

Bibliografische Angaben:
Stephen W. Hawking: Kurze Antworten auf große Fragen
Verlag Klett-Cotta, 3. Auflage 2018, 252 Seiten, ISBN 978-3608-9637-62

 

Entscheidungen erleichtern oder doch vorschreiben?

Entscheidungen erleichtern oder doch vorschreiben?
Nudge Teil III: Besprechung des Buches von Thaler und Sunstein „Nudge – Wie man kluge Entscheidungen anstößt

Es ist schon starker Tobak, womit der Wirtschaftswissenschaftler Richard H. Thaler und der Rechtswissenschaftler Cass R. Sunstein 2008 in ihrem Buch „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ die mangelnde Entscheidungsfähigkeit der Menschen begründen. Zumindest werden es die wenigsten Leute glauben wollen, wenn die beiden Autoren behaupten, dass der „normale“ Mensch bei komplexen Sachverhalten, deren Ergebnisse auch noch weit in der Zukunft liegen, überhaupt nicht in der Lage ist, die für ihn beste Entscheidung zu treffen. Darum ist es wichtig, passende Anreize zu setzen, die ihn in die richtige Richtung schubsen. Das Autorenduo erläutert das eindrucksvoll an ökonomischen Entscheidungen, etwa Altersvorsorge, Hypothekendarlehen und Kreditkarten, deren Bedingungen alles andere als leicht zu verstehen und langfristige Auswirkungen kaum vorhersehbar sind. Da hilft auch keine Vielzahl von Optionen. Jedenfalls dann nicht, wenn es sich um Menschen handelt, die leicht zu beeinflussen sind – die Autoren nennen sie „Humans“ -, und die sind im Gegensatz zu den „Econs“, die sich zu nichts zwingen lassen, eindeutig in der Mehrheit. Ein Econ ist der weitsichtige Planer, ein Human dagegen der kurzfristige Macher. Im Alltag geht es nun darum, Strategien zu entwickeln, wie der Planer den Macher in Schach halten kann.

Ursächlich für die Entscheidungsschwäche sind nach Thaler und Sunstein, die sich hierbei auf eine Vielzahl von Untersuchungen und Studien berufen, kurz zusammengefasst drei menschliche Charakterzüge: beschränkte Rationalität, mangelnde Selbstkontrolle und Empfänglichkeit für soziale Einflüsse. Diese drei quasi schon angeborenen Eigenschaften sind – verbunden mit einer gehörigen Portion Gier und Korruption – etwa auch die Ursachen für die Finanzkrise 2008 gewesen, behaupten die Autoren. Thaler und Sunstein führen auf rund 390 Seiten zahlreiche Argumente an, warum der Mensch mit passenden Anreizen in die „richtige“ Richtung geschubst werden muss, das aber offen und ehrlich und unter Beibehaltung einer größtmöglichen Entscheidungsfreiheit. Sie nennen das „libertären Paternalismus“, eine auf den ersten Blick unvereinbare Paarung aus „freier Wille“ und „Bevormundung“. Denn unter Paternalismus versteht man eine Herrschaftsordnung, die auf Autorität gründet. „Libertäre Paternalisten“ hingegen wollen durch passende Anreize dafür sorgen, dass die Menschen länger, gesünder und besser leben. Das halten die Autoren für erforderlich, weil der Mensch in erster Linie träge ist und Entscheidungen gar nicht oder aus dem Bauch heraus trifft. Die Grundlage für diese meist schlechten Entscheidungen sind zum Teil über Generationen weitergereichte Faustregeln. Hinzu kommen neben gewichtigen, sozialen Einflüssen – darunter der berühmte Gruppenzwang – ein unrealistischer Optimismus, die Angst vor Verlust, Gedankenlosigkeit und die Bereitschaft sich verführen zu lassen. Immer und überall will der Mensch gefallen, bloß nicht anecken! Er passt sich lieber der Mehrheit an, auch wenn das für ihn selbst von Nachteil ist.  Deshalb haben Gruppen, die eine Meinung hartnäckig vertreten, eine gehörige Anziehungskraft. Außerdem halten Menschen gerne an einer einmal etablierten Meinung oder Tradition fest, weil sie denken, andere tun das auch. Es ist ihnen wichtig, was andere von ihnen denken und sie passen sich den Erwartungen anderer an. Das aber ist falsch, denn, so behaupten die Autoren, andere widmen einem gar nicht so viel Aufmerksamkeit, wie man selbst annimmt. Für andere ist es beispielsweise ganz und gar nicht interessant, wie wir aussehen. Deshalb, so ihr Fazit, kann man auch ruhig mit einem bekleckerten Hemd aus der Mittagspause kommen, niemand wird es merken.

Soziale Einflüsse wirken sich also besonders stark auf das aus, was wir denken, sagen oder tun! Und genau dieser Umstand kann wunderbar dazu benutzt werden, uns bei unseren Handlungen und Entscheidungen in eine bestimmte Richtung zu schubsen. Grundsätzlich neigen Menschen dazu, sich für die Option zu entscheiden, die am wenigsten Aufwand erfordert. Man geht den einfachsten Weg und hält an ihm fest, auch wenn er sich als unbrauchbar erwiesen hat. Deshalb ist größtmögliche Wahlfreiheit nicht immer oberstes Gebot, vielmehr ist es nützlich, Empfehlungen auszusprechen, insbesondere bei den bereits erwähnten komplexen Situationen. Dieses „Schubsen in die richtige Richtung“ raten Thaler und Sunstein ganz offen auch der Politik, bestehen dabei aber auf Transparenz. Die Maxime bei Nudges jeder Art ist Öffentlichkeit und Respekt als Sicherung gegen Manipulation. Die Autoren geben dabei durchaus zu, dass es Grenzfälle gibt und unterschwelliges Verhalten – wie aus unterschwelliger Werbung wohlbekannt – abzulehnen ist. Solches Verhalten nämlich ist unmöglich zu kontrollieren. “Nudges” – übersetzen wir den Begriff der Einfachheit halber mit “einflussnehmende Maßnahmen” – gibt es sowieso schon lange und überall. Sie können bei komplexen Fragen, die etwa ein spezielles Fachwissen voraussetzen, durchaus helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Dabei dürfen aber Inkompetenz und Eigennutz nicht ins Spiel kommen. Wie dies aber verhindert werden kann, darauf haben Thaler und Sunstein leider keine überzeugende Antwort.

Mein Fazit: Das Buch ist eine hochinteressante Zusammenstellung all der Schwächen, denen wir alle tagtäglich begegnen und gegen die wir uns nicht wehren können, weil wir sie im entscheidenden Augenblick gar nicht bewusst wahrnehmen. Vielleicht können wir uns aber besser gegen ungewollte Beeinflussung – auch und gerade durch Nudges – schützen, wenn wir uns dieser Schwächen stellen. Nicht nur dafür liefert das Buch wertvolle Hilfestellung.

Bibliografische Angaben:
Richard H. Thaler, Cass R. Sunstein: Nudge – Wie man kluge Entscheidungen anstößt
13. Auflage, Ullstein Verlag 2010, 389 Seiten, ISBN 978-3-548-37366-9

Lesen Sie dazu auch:

 

Nudge Teil I: Nur ein Schubs in die richtige Richtung?

 

Nudge Teil II: Wie die Bundesregierung “wirksam regieren” will

Kommissar Selig ist zurück

Kommissar Selig ist zurück

Da ist er endlich, der dritte Kriminalroman mit Kommissar Paul Selig aus der Feder des bekannten deutschen Drehbuchautors Markus Stromiedel. Wie schon in den beiden Vorgängerbänden “Zwillingsspiel” und “Feuertaufe” bezieht Selig zwar auch in “Nachtfrost” wieder ordentlich Prügel, ist diesmal aber nur indirekt in die eigentliche Geschichte involviert. Er wird weder verdächtigt noch verfolgt, sondern findet endlich die Anerkennung, die ein Ermittler seiner Güte verdient und das ist richtig angenehm nicht nur für die Leser. Auch seine Kollegen, die hübsche Maria und der noch immer arbeitsscheue Wagner, freuen sich über die Bewunderung für ihren Chef, die diesmal sogar von ganz oben kommt.

Die Geschichte spielt im Cyberspionage-Milieu und wie die ersten beiden Bände wieder im Zentrum der Macht in Berlin. Ein IT-Unternehmer will im Auftrag einer Großmacht in das Computersystem der Bundesregierung eindringen. Paul Seligs Sohn Tobias und dessen Freunde wissen das Schlimmste zu verhindern. Eingewoben ist die durchaus dramatische Geschichte in die jüngste Vergangenheit der Bundesrepublik, es geht um die Stasi und was sie den Menschen in der ehemaligen DDR angetan hat, es geht um die Wut der Opfer, die bis in die Gegenwart reicht.

Immer wenn der Autor sich an seine „Drehbuchautoren“-Erfahrung hält, ist das Buch spannend und kurzweilig geschrieben. Allerdings versucht er sich an einigen Stellen als Poet, die dann doch zu langatmig geraten. Genauso wie die letzten 50 Seiten nicht wirklich mehr etwas zur Geschichte beitragen. Stromiedels Schwäche ist und bleibt das Ende, wie schon in „Die Kuppel“. Er meint noch so viele Erklärungen nachliefern zu müssen, die er aber getrost der Fantasie seiner Leser überlassen könnte.

Abgesehen davon ist Stromiedel mit „Nachtfrost“ aber wieder ein überaus unterhaltsamer Krimi gelungen, den man nicht aus der Hand legen mag – das größte Kompliment, das man einem Buch und damit seinem Autor machen kann. /sis

Bibliographische Angaben
Markus Stromiedel: Nachtfrost
Taschenbuch, Knaur TB, 2018, 416 Seiten
ISBN: 978-3-426-52067-3

Probleme benennen, statt sie schönzureden

Probleme benennen, statt sie schönzureden
Rezension Christian Ude: Die Alternative oder: Macht endlich Politik!

Das Gespenst der „Alternativlosigkeit“ geht um in Deutschland und das nicht zum ersten Mal. In den 1960er Jahren gab es schon einmal einen Bundeskanzler, der als alternativlos galt: Konrad Adenauer. Einer, der es wissen muss und die Zeit aus eigener politischer Erfahrung gut kennt, ist der ehemalige Oberbürgermeister von München Christian Ude – seit über 50 Jahren SPD-Mitglied und heute als „Ruheständler“ geradezu prädestiniert, um den „Herrschenden“ den Marsch zu blasen. Das tut er in seinem im März 2017 erschienenen Buch „Die Alternative oder: Macht endlich Politik“. Allein schon der Titel führt zu zustimmendem Kopfnicken in allen Teilen der Bevölkerung. Nie war der aus der vermeintlichen Alternativlosigkeit resultierende Stillstand so schmerzhaft spürbar wie gerade heute in einer international und national unruhigen Zeit. Christian Ude findet deutliche Worte für Probleme der jüngsten Vergangenheit und spart nicht mit Kritik auch an der SPD, die sich gerade den Opfern ihrer eigenen Politik eng verbunden fühlt und nach Gerechtigkeit lechzt. Flüchtlingskrise, Griechenlandkrise, EU und Türkei, keinen Aspekt lässt Ude aus und er zeigt Alternativen auf. Alternativen, die auch die Regierenden durchaus hätten finden können, wenn sie denn den Mut gehabt hätten, die Probleme klar zu benennen, statt sie schönzureden oder gar totzuschweigen.

Mit der Weisheit der Erfahrung ruft Christian Ude dazu auf, nicht in Frust und Ratlosigkeit zu versinken, sondern Politik zu machen, geht es doch um nichts geringeres als unsere Zukunft. Er rät dazu, das Grundgesetz mit allen Grundrechten und die Rechtsstaatlichkeit als Basis zu wahren und zu verteidigen. Ein “weiter so wie bisher” mit Diätenerhöhungen, Nebenverdiensten und gebrochenen Wahlversprechen, mit Spendenskandalen, Versorgungsprivilegien und Aufblähen des politischen Apparats dürfe es nicht geben. Mit Blick auf das Erstarken der Rechten spricht Ude von einer Bewährungszeit, die die etablierten Parteien erhalten hätten. Jetzt gehe es darum, die Menschen wirklich ernst zu nehmen. Deregulierungswahn, Privatisierung als vorhersehbares Risiko für die Entfesselung der Finanzindustrie und viele Fehlprognosen hätten das Vertrauen der Wähler gekosten. Es sei an der Zeit vom hohen Ross der Allwissenheit herunterzusteigen, um Vertrauen und Kompetenzzuweisung zurückzuerlangen. Moralische Selbsterhöhung jedenfalls sei der falsche Weg.

Insbesondere fehlende Grundsatzdebatten als Folge der Alternativlosigkeit prangert Ude an und erinnert an den Schlagabtausch zwischen Willy Brandt und Franz-Josef Strauß. „Da war das Parlament noch die Bühne der Nation“, schwärmt Ude und wünscht sich genau diesen Austragungsort politischer Kontroversen zurück. Er will politische Themen nicht länger nur in den Talkshows platt gewalzt sehen. „Statt in Selbstzufriedenheit zu baden, sich moralisch überlegen zu fühlen oder die Lage mit grandiosen Verheißungen schönzureden, sollten alle politisch Verantwortlichen die zentralen Probleme wirklich benennen“, fordert Ude. Echte Alternativen aufzuzeigen sei das Gebot der Stunde, „damit der Bürger wieder ein Wahlrecht hat – zwischen verschiedenen Richtungen und nicht nur zwischen den verschiedenen Logos, Slogans oder Gesichtern.“ Vor einer wichtigen Entscheidung müsse wieder politische Öffentlichkeit hergestellt werden, damit der Bürger nicht nur Fertigprodukte „der EU-Erweiterung, der Bundeswehreinsätze, der Bankenrettung, der Milliardenhilfe oder internationaler Sanktionen in den Medien serviert“ bekomme, sondern solche Aktionen als Ergebnis eines öffentlichen Diskurses erlebe. Und er ruft dazu auf, zu differenzieren, um nicht in „Schwarz-Weiß-Klischees mit zunehmendem Giftgehalt und Hasseffekten“ zu verfallen.

Mein Fazit: Eine lesenswerte Zusammenfassung der derzeitigen Lage in und um Deutschland mit zahlreichen  Denkanstößen und nicht zuletzt einem eindringlichen Appell an den „Souverän“ – das Volk – nicht nur auf Besserung zu warten, sondern sich wieder einzumischen, denn was er als Politik bekommt, ist das, was er sich ausgesucht hat! /sis

Bibliographische Angaben:
Christian Ude: Die Alternative oder: Macht endlich Politik
Albrecht Knaus Verlag, 2017, 240 Seiten
ISBN 978-3813507744

Nicht Problemlösung steht im Mittelpunkt, sondern Imagepflege

Nicht Problemlösung steht im Mittelpunkt, sondern Imagepflege
Die etwas andere Rezension von Robin Alexanders Buch „Die Getriebenen“

Es ist schon eine Weile her, dass das Buch von Welt-Journalist Robin Alexander die Schlagzeilen beherrschte. Ganz unterschiedliche Rezensionen erschienen im Nachgang, die einen lobten die journalistisch saubere Berichterstattung über die Ereignisse rund um die Flüchtlingskrise, die anderen kritisierten die angeblich unverhohlene Wut des Autors auf die Kanzlerin. Grund genug, das Buch selbst zu lesen.

Wie erwartet handelt es sich um eine minutiöse Auflistungen der Ereignisse von September 2015 bis zum Abschluss des sogenannten Türkei-Deals im März 2016, sachlich wie eine wissenschaftliche Analyse und doch hochspannend wie ein Politthriller, der auch vor den menschlichen Eitelkeiten der Großen und Mächtigen dieser Welt nicht Halt macht. Kern der Geschichte ist Bundeskanzlerin Angela Merkels Grenzöffnung im Alleingang im September 2015 und ihre anschließende Behauptung, man könne heutzutage eine Grenze nicht mehr schließen. Um diese Behauptung zu stützen und gegen die Bemühungen des damaligen österreichischen Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres, Sebastian Kurz, die Balkanroute und damit die Grenze zu Mazedonien eben doch schließen zu können, zu verteidigen, ging Merkel sogar den berühmten Pakt mit der Türkei in einer Nacht- und Nebelaktion ein, wiederum unter Ausschluss sämtlicher parlamentarischer Gepflogenheiten. Wie sehr sie mit ihrer Argumentation den deutschen Sicherheitsbehörden vor den Kopf gestoßen hat, wie sie sich von den damaligen Akteuren, Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann, Sebastian Kurz und dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu, hat vorführen lassen, wie parteiintern um sie und ihre ambivalenten Vorstellungen auch mit dem Vorsitzenden der Schwesterpartei gerungen wurde, das erzählt Robin Alexander bis ins Detail. Da der Autor ein renommierter Journalist ist, kann per se davon ausgegangen werden, dass die Fakten akribisch recherchiert wurden und schlicht den Tatsachen entsprechen. Schließlich kommt auch Medienschelte nicht zu kurz, war es doch die vereinigte Presse, die den Einzug tausender Flüchtlinge unisono bejubelt und sie nicht nur als Rettung vor der deutschen Überalterung gepriesen hatte. Sie lieferten fast ausschließlich rührende Bilder von Familien mit niedlichen kleinen Kindern und verschwiegen, dass überwiegend nur junge Männer gekommen waren, die wenigsten davon so gebildet, wie es sich die deutschen Konzernlenker gerne öffentlich erträumten.

Von Wut ist auf den knapp 300 Seiten aber dennoch nichts zu spüren, Sachlichkeit herrscht vor in den Beschreibungen des Politalltags, der offenbar weniger davon geprägt wird, was gut für das Land, sondern wohl eher für das Image des jeweiligen Politikers ist. Im Vordergrund steht dabei die Frage, welche Bilder könnten bei öffentlichen Auftritten entstehen und wie wirken sie auf den Betrachter? Und es geht um die Deutungshoheit, da ist jeder Politiker penibel darauf bedacht, keinen Millimeter Meinungsraum preiszugeben.

Mein Fazit: Jeder sollte das Buch selbst lesen, der in Sachen „Flüchtlingskrise“ mitreden möchte, denn die Hintergründe, die uns 2015 und 2016 bewusst verschwiegen wurden, wissen selbst den gut informierten Bürger noch zu überraschen. /sis

Bibliographische Angaben:
Robin Alexander: Die Getriebenen. Merkel und die Flüchtlingspolitik: Report aus dem Innern der Macht,
Siedler Verlag 2017, 288 Seiten, ISBN 978-3-8275-0093-9

Keine Rolle rückwärts bei der Emanzipation

Keine Rolle rückwärts bei der Emanzipation
Nicht verhandelbar von Julia Kloeckner

„Nicht verhandelbar“ sind für die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Julia Klöckner die Frauenrechte in Deutschland. Welche Rechte sie durch die Zuwanderung hauptsächlich junger Männer aus patriarchalischen Ländern nachhaltig in Gefahr sieht, arbeitet sie in ihrem Buch „Nicht verhandelbar. Integration nur mit Frauenrechten“ detailliert und gut nachvollziehbar heraus.

Tatsächlich scheint die Stunde der Kritiker gekommen, wie sonst kann es sein, dass eine Frontfrau deutscher Politik jetzt offen Missstände in der Integration ansprechen kann, wofür der einfache Bürger bislang umgehend mit der rechten Keule mundtot geprügelt wurde? Ohne die sonst so beschämenden Versuche, Dinge schön oder gar weg reden zu wollen, erkennt hier eine prominente deutsche Politikerin die Rolle rückwärts, die das ständige Nachgeben gegenüber den Forderungen des Islam für die Frauenrechte in Deutschland bedeutet. Jeder Kompromiss sei ein Einknicken, das nicht etwa mit Dialogbereitschaft, sondern mit dem nächsten Versuch, die Grenzen noch weiter hinauszuschieben, beantwortet werde. Aus Rücksicht auf den Islam falle man modernen Muslimas damit in den Rücken, die einfach nur die Rechte in Anspruch nehmen wollten, die deutschen Frauen ganz selbstverständlich zustünden. Sonst werde immer schnell „Sexismus“ gerufen, nur nicht bei der Unterdrückung ausländischer Frauen in Deutschland. Da werde Rücksicht genommen auf die religiösen Ansichten ihrer Männer, für die Julia Klöckner aber an anderer Stelle ihres Buches durchaus Verständnis zeigt: Zugewanderte Männer hätten alles verloren und sollten nun in Deutschland angekommen, auch noch die Gewalt über ihre Frauen verlieren.   

Julia Klöckner verlangt eine fundierte Analyse der Zuwanderung gerade auch mit Blick auf die Frauenrechte. Ein Staat, der das frauenfeindliche Verhalten junger Männer einfach hinnehme, sei nicht tolerant, sondern ignorant. Grabschergruppen, Verschleierung und Kinderehen seien ein absolutes “No-Go” genauso wie das Fernhalten von Mädchen von Schwimmunterricht und Klassenfahrten. Unsere Gesetze müssten eingehalten werden, ohne Wenn und Aber und religiöse Gesetze müssten hinter weltliche Gesetze zurücktreten. Die Neuankömmlinge müssten sich anpassen, nicht die Einheimischen, so ihr Fazit.

Mein Resümee: Eine durchaus lesenswerte Zusammenfassung der derzeitigen Situation in Deutschland mit einigen vielversprechenden Ansätzen, aber auch vielen Vorschlägen, die wir schon viel zu oft gehört haben, ohne dass sie auch nur ansatzweise umgesetzt worden wären: Verpflichtende Sprachkurse mit Erfolgsmessungen und Sanktionen als Folge von Nachlässigkeiten oder Abbruch, schnelle Strafen für Vergehen, Auswirkungen auf den Asylstatus bei Fehlverhalten. Julia Klöckner sieht das Heil der Integration in den Frauen selbst. Wenn es gelänge, sie etwa in Jobs zu vermitteln, wäre es leichter, sie dazu zu bringen, ihre Rechte, von denen sie ja nicht einmal wissen, dass es sie gibt, auch einzufordern. Doch wie will sie an diese Frauen herankommen, die bekanntlich ohne Begleitung männlicher Verwandter die Wohnung nicht verlassen dürfen? Wie sie informieren und überzeugen, wenn schon ganz junge Mädchen rigoros abgeschottet werden? Solange es nicht gelingt, diese Mädchen und Frauen am deutschen Alltag in all seinen Facetten teilhaben zu lassen und sie weiter den frauenfeindlichen Ansichten ihrer Männer und religiösen Führer ausgesetzt sind, wird sich definitiv nichts ändern. Da helfen dann auch die neuerdings modisch-stylischen Kopftücher nicht weiter! /sis

Bibliografischen Angaben:

Julia Klöckner
Nicht verhandelbar. Integration nur mit Frauenrechten.
Gütersloher Verlagshaus, 2018, gebundene Ausgabe, 176 Seiten, 18 Euro
ISBN-13 078-3579087122
Das Honorar spendet Julia Klöckner einer Frauenorganisation.

 

Mit Feigheit möglichst unbehelligt durchs Leben gehen!

Mit Feigheit möglichst unbehelligt durchs Leben gehen!

Es sind schon einige skurrile Tatbestände, die der bekannte Journalist und TV-Moderator in seinem neuesten Buch „Schluss mit euren ewigen Mogelpackungen. Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen“ auflistet. Von drei Bundestagsabgeordneten ist da die Rede, deren Amtszeit genau eine Woche betrug und für die der Steuerzahler runde 36.000 Euro berappen musste. Ein Bürgermeister wird zitiert, der auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise gesagt haben soll: „Jesus konnte die Zehntausend speisen, meine Gemeinde kann das nicht“. Der Kirchentag wird angeprangert, für den ein genderüberarbeitetes Liederbuch hermusste, das Kirchenlieder, die über Jahrhunderte Menschen in Krisensituationen Trost und Zuversicht gespendet haben, jetzt der Lächerlichkeit preisgibt. Peter Hahne sucht und findet in jeder Ecke unsere Landes Mogelpackungen, von kleinen Schummeleien bis hin zu den ganz großen Unwahrheiten, mit denen uns hauptsächlich Politik und Kirche hinters Licht zu führen sucht. Das beginnt bei der Flüchtlingskrise, in der Kritiker schlicht „einpacken“ konnten, führt über den Genderwahn, der aus so mancher gewachsenen Tradition und der einst so positiven Gleichstellung der Geschlechter einen schlechten Witz macht, schaut in die Gerichte, die für zulässig erachten, dass die Deutschen als „Köterrasse“ bezeichnet werden. Hahne findet harsche Worte insbesondere für die Kirchen, deren hohe Vertreter angeblich aus Toleranz vor einer Begegnung mit anderen Religionen ihr Kreuz ablegen oder mit einer scheußlichen Mischung aus Deutsch und Englisch versuchen, die Jugend zu ködern. Luther, so Hahne überzeugend, hat die Bibel ins Deutsche übersetzt, damit die Menschen mitreden können und nicht länger ausgegrenzt werden. Genau das tut die Kirche jetzt mit ihrem Denglisch-Schwachsinn, sie grenzt diejenigen aus, die kein Englisch können. Beispiel gefällig? Ein Angebot in Frankfurt trug den Titel „Help the Oma!“

Und der Staat? Er benutzt unsere Kinder als Versuchskaninchen, wenn er sie nach Gehör schreiben lehrt und die Menschen ihrem Schicksal überlässt, indem er nichts gegen die durch vorwiegend osteuropäische Banden organisierte Einbruchskriminalität tut. Statt endlich all die großen und wichtigen Aufgaben in unserem Land anzupacken, kümmert sich die Politik lieber um die gendergerechte Überarbeitung der Verkehrsordnung und die EU um das richtige Frittieren von Pommes! Deutschland, so Peter Hahnes klares Bekenntnis, ist ein Staat, der sich selbst verachtet. Und „niemand hat den Mumm, dem Mumpitz, dieser lächerlichen und vor allem Millionen teuren Infantilisierung abendländischen Kulturgutes ein Ende zu machen“, schreibt Hahne. Und das trifft weiß Gott nicht nur auf den Genderwahn zu.

Mein Fazit: „Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen“ ist eher Hoffnung als Realität. Tatsächlich aber dürfte Hahnes Beobachtung zutreffen, dass wir heutzutage versuchen, mit einer gehörigen Portion Feigheit möglichst unbehelligt durch Leben und Beruf zu kommen. Wir lassen uns nur allzu gerne für dumm verkaufen, das erspart eigenes Denken und Handeln. Dagegen kämpft Peter Hahne entschlossen und doch recht unterhaltsam mit seinem Buch an. Wirklich lesens- und vor allen Dingen überdenkenswert!

Bibliographische Angaben:

Peter Hahne
Schluss mit euren ewigen Mogelpackungen. Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen.
Bastei Lübbe, 128 Seiten, 2018
ISBN: 978-3-7857-2621-1

Die Spielregeln müssen erst noch ausgehandelt werden

Die Spielregeln müssen erst noch ausgehandelt werden

Mit den Vor- und Nachteilen der Kommunikation im Internet befasst sich die Medienwissenschaftlerin Gina Schad in ihrem Buch „Digitale Verrohung. Was die Kommunikation im Netz mit unserem Mitgefühl macht.“ Dabei arbeitet sie recht verständlich und doch wissenschaftlich fundiert heraus, dass die Digitalisierung nicht in erster Linie einen technischen, sondern einen sozialen Wandel mit sich bringt.

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Ein Autor beleidigt unaufhörlich seine Leser

Ein Autor beleidigt unaufhörlich seine Leser

Eigentlich erwartet man von diesem Buch mit dem Titel „Der Aufstieg des Mittelfingers. Warum die Beleidigung heute zum guten Ton gehört“ – geschrieben von einem promovierten Philosophen, erschienen in einem renommierten Verlag – Ursachenforschung, Aufklärung, Denkanstöße, Lösungsansätze. Weiterlesen

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