Traum oder Albtraum?

Traum oder Albtraum?
Rezension Andreas Eschbach „Eine Billion Dollar“

Es ist schon eine sensationelle Geschichte, die Andreas Eschbach in seinem 2001 erschienen Roman „Eine Billion Dollar“ erzählt. Eine Geschichte, von der vermutlich sehr viele Menschen träumen. Für John Salvatore Fontanelli wird dieser Traum wahr. Er ist am 23. April 1995 der jüngste Nachfahre des Kaufmanns Giacomo Fontanelli und damit der Erbe eines vor genau 500 Jahren angelegten Vermögens. Und dieses Vermögen ist gigantisch, größer als ein Mensch es sich vorstellen kann: Eine Billion Dollar. Damit wird John Fontanelli auf einen Schlag zum reichsten Mann der Erde.

John erfährt von dieser Erbschaft in einer Zeit, in der er in seinem noch jungen Leben ganz unten angekommen ist. Nach einer unglücklichen Liebe findet er Unterschlupf bei seinem Freund Marvin, einem recht eigenwilligen Musiker. Er fährt Pizzen aus, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Darum kann er sein Glück kaum fassen, als er von der italienischen Anwaltsfamilie Vacchi, die das zu Beginn noch recht bescheidene Vermögen des Giacomo Fontanelli seit 1495 bewahrt und dafür gesorgt hat, dass es sich reichlich mehrt, in einem nobel New Yorker Hotel von der Erbschaft erfährt. Eduardo Vacchi, dessen Vater Gregorio und Onkel Alberto sowie Großvater Cristoforo Vacchi, der Padrone der Familie, führen John während der Testamentseröffnung kurz nach dem 23. April 1995 behutsam an die tatsächliche Höhe seines Erbes heran. Es dauert eine ganze Weile, bis John das Ausmaß begreift. Und auch mit der Prophezeiung, die sich an das Erbe knüpft, kann er lange nichts anfangen. Giacomo Fontanelli hat in seinem Testament festgeschrieben, dass der Erbe mit dem Geld der Menschheit die verlorene Zukunft zurückgegen soll. John reist mit den Vacchis nach Florenz und genießt erst einmal seinen Reichtum. Alles könnte so schön sein, wäre da nicht die Prophezeiung. Ausgerechnet er, der arme Schlucker aus New York, der noch nie mit Geld umgehen konnte, soll der Menschheit ihre Zukunft zurückgeben? Und dann taucht Malcom McCaine in Johns Leben auf und behauptet, einen Plan für die Erfüllung der Prophezeiung zu haben.

Andreas Eschbach versteht es, den Leser mit seiner Hauptfigur mitleiden zu lassen. Über fast 900 Seiten lang fürchtet der Leser, dass der sympathische John Salvatore Fontanelli sein Vermögen wieder verlieren könnte. Und tatsächlich finden sich außer den Geheimnissen um McCaine weitere Neider, die ihm sein Vermögen abjagen wollen und jede Menge Ungereimtheiten, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Erbschaft aufkommen lassen. Die Geschichte bleibt spannend bis zum Schluss und entführt den Leser in die Welt der Reichen und Mächtigen. Sehr deutlich wird die umfassende Macht großer Konzerne, die mit ihrem Geld Staaten in die Knie zwingen und über das Wohl und Wehe ganzer Völker entscheiden können. Dazu liefert Eschbach in den Seitenzahlen Informationen über riesengroße Geldbeträge, wie etwa die Gesamtausgaben im Gesundheitswesen in Deutschland oder die Auslandsschulden Mexikos. Eigentlich interessante Informationen, die aber den Lesefluss unterbrechen und deshalb eher störend wirken. Dennoch sollte man „Eine Billion Dollar“ unbedingt lesen, es lohnt sich! /sis

Bibliographische Angaben
Andreas Eschbach: Eine Billion Dollar
Roman, Lübbe, 2001, 896 Seiten
ISBN 3-7857-2049-1

Menschliche Grausamkeit in Worte gefasst

Menschliche Grausamkeit in Worte gefasst
Rezension Sebastian Fitzek „Der Insasse“

Wer ein Buch von Sebastian Fitzek in die Hand nimmt, weiß, dass er mit vielen Überraschungen rechnen muss. So auch in seinem Thriller “Der Insasse”, der einen Vater unter falscher Identität in eine geschlossene psychiatrische Anstalt führt, um dem vermeintlichen Mörder seines fünfjährigen Sohnes Max dessen Schicksal zu entlocken.

In der Anstalt trifft der Leser auf zahlreiche merkwürdige Gestalten, nicht nur völlig irre Insassen, sondern auch korrupte Ärzte, hörige Pfleger und eine undurchschaubare Leiterin. Alle menschlichen Schwächen sind hier vertreten. Als Leser überkommt einem gelegentlich das Gefühl, all das Ekelhafte, das Fitzek in genüsslicher Ausführlichkeit beschreibt, eigentlich gar nicht lesen zu wollen. Doch die Neugierde überwiegt, ob es dem Protagonisten Till Berkhoff trotz aller Widrigkeiten nicht doch noch gelingt, den bis ins Mark absonderlichen, mehrfachen Kindermörder Guido Tramnitz, der natürlich selbst eine grausame Kindheit durchlebt hat, dazu zu bringen, den Mord an Max zu gestehen und den Ort, wo er die Leiche des Jungen versteckt hat, zu verraten. Denn Till und seine Frau Ricarda brauchen Gewissheit, müssen Abschied nehmen von ihrem Kind. Nur erlebt der Leser eine überraschende Wendung und am Ende ist rein gar nichts so wie es scheint.

Auch wenn der Schluss des Buches, der alles auf den Kopf stellt, dem Leser schon einiges an Fantasie abverlangt, weil er nicht unbedingt nachvollziehbar scheint, so ist dem Autor eine atemberaubende Geschichte gelungen, die die tiefsten Niederungen menschlicher Grausamkeit in Worte fasst. Die Geschichte macht betroffen und wirkt mitunter abstoßend, fesselt den Leser aber dennoch bis zur letzten Seite. /sis

Biographische Angaben:
Sebastian Fitzek: Der Insasse, Knaur Taschenbuch, 2020, 365 Seiten, ISBN 978-3-426-51944-8

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