Konservativ – weder rückständig noch rechts!

Konservativ – weder rückständig noch rechts!
Konservative wollen das Gute bewahren – und das ist dringend nötig. (Foto: Pixabay)

Ein Plädoyer für die Rückbesinnung auf traditionelle Werte und Normen

Es ist besorgniserregend, wie der Begriff „konservativ“ von den linksgrünen Meinungsmachern inzwischen in die rechte Ecke geschoben wurde. Wer heute eine konservative Meinung vertritt, wird ohne Umschweife ganz weit rechts verortet, gilt als rückständig und „alt“. Dabei weist schon die Bedeutung des Wortes klar darauf hin, was wirklich mit konservativ gemeint es. Das Wort stammt vom Lateinischen „conservare“ und das heißt schlicht und ergreifend „bewahren“.

Nur das Gute zählt

Konservative wollen also bewahren – und zwar das Gute! Kein Mensch käme je auf die Idee, Schlechtes, Sinn- und Nutzloses bewahren zu wollen. Das Gute umfasst dabei sämtliche Lebensbereiche, vom häuslichen Umfeld bis Umwelt, von Wirtschaft bis Soziales, von traditionellen Werten bis Spiritualität. Es geht den konservativen Kräften in erster Linie darum, all das, was sich im Laufe der Geschichte als gut und nützlich erwiesen hat, zu bewahren.

Konservativ eingestellte Menschen tendieren dazu, traditionellen sozialen Normen den Vorzug einzuräumen vor schnellen Veränderungen. Sie setzen auf Stabilität und Kontinuität in Zeiten des Wandels und der Unsicherheit. In einer Welt, in der viele Menschen das Gefühl haben, dass im Zuge einer zunehmenden Globalisierung alles außer Kontrolle gerät, trägt eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte und Normen dazu bei, die Bedeutung von Freiheit, Familie, Gemeinschaft, nationaler Identität und individueller Verantwortung nicht aus den Augen zu verlieren.

Da hilft nur Lebenserfahrung

Um zu beurteilen, was gut und nützlich ist, bedarf es naturgemäß einer gewissen Lebenserfahrung und die bekommt jeder Mensch nur mit den Jahren. Einzig die Zeit lehrt, was funktioniert und was nicht, was sich zu bewahren lohnt und was schlicht „wegkann“, um es einmal salopp auszudrücken. Das ist der Grund, warum viele Konservative Ältere sind. Einfach, weil sie einen umfassenderen Blick auf das Leben haben. Sie können eher absehen, was passieren wird, wenn für das Zusammenleben wesentliche Elemente verloren gehen.

Beispiel Mangel an Respekt

Als Beispiel sei der allseits mit großer Verwunderung beklagte Mangel an Respekt genannt. Respekt gegenüber dem Einzelnen, der Gesellschaft und dem Leben ganz allgemein. Die Ursachen für fehlenden Respekt mögen vielfältig sein. Sie haben aber ganz sicher auch mit dem Niedergang von Anstand und Moral zu tun. Nicht zuletzt, weil Anstand und Moral durch identitätspolitische Irrwege, Cancel Culture und Gendergaga schlicht über Bord geworfen werden.

Konservativ modern

Halten Konservative dagegen, gelten sie als rückständig. Und das in jedem denkbaren Zusammenhang. Statt einer ehrlichen Bestandsaufnahme und, wenn nötig, einer Kurskorrektur werden diejenigen ausgegrenzt, die den Zeigefinger heben und sagen: Sowas kommt von sowas! Dabei ist der auf totale Freiheit und Individualität gerichtete Wertewandel längst an seine Grenzen gestoßen und in der Mehrheitsgesellschaft wächst das Verlangen nach Beständigkeit und Halt. Moderner Konservatismus steht auf einem festen Fundament aus traditionellen Werten und Normen, ist aber offen für Veränderungen, wenn diese Werte und Normen der Lebenswirklichkeit nicht mehr gerecht werden. Das ist weder rückständig noch rechts – es ist vernünftig und dringend nötig!

Was hat die Emanzipation wirklich gebracht?

Was hat die Emanzipation wirklich gebracht?
Frau heute: Festgezurrt zwischen Haushalt, Familie und Beruf. (Foto: Piyapong Saydaung auf Pixabay)

Zum Internationalen Frauentag

Frauen dürfen wählen und selbst politische Ämter ausfüllen, sie dürfen arbeiten gehen ohne Erlaubnis ihrer Ehemänner oder Väter, auch wenn sie noch immer deutlich weniger verdienen als ihre männliche Kollgen. Sie haben ein Recht auf Bildung und gesellschaftliche Teilhabe. Alles Errungenschaften der Emanzipation. Aber was hat ihnen die Emanzipation wirklich gebracht? Rein rechtlich sind sie – zumindest in der westlichen Welt – den Männern gleichgestellt. Sie sind frei zu tun und zu lassen, was sie möchten. Aber eben nur, solange das in den Alltag als Hausfrau, Mutter, Ehe- und Karrierefrau passt. Und das tut es nur selten.

Der Zwang zur Erwerbstätigkeit

Fast Dreiviertel der Mütter in unserem Land sind berufstätig, 66 Prozent in Teilzeit – Altersarmut inklusive. Nur die wenigsten Frauen arbeiten, weil sie es wirklich wollen oder es gar gerne tun. Sie müssen arbeiten, das Geld wird für die Haushaltskasse und den ein oder anderen kleinen Luxus gebraucht. Ein Vollzeitgehalt reicht heute nur noch selten für ein ganz normales Leben mit Kindern aus, von Alleinerziehenden ganz zu schweigen. Wie diese Frauen den Spagat zwischen Familie und Beruf bewältigen, ist zwar immer mal wieder Thema hitziger Diskussionen. Die Politik verspricht in regelmäßigen Abständen mehr Betreuungsangebote und Arbeitgeber mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine ausgeglichene Work-Life-Balance. Es tut sich aber wenig. Noch immer gibt es nicht genug Kita-Plätze, noch immer ist die Ganztagsbetreuung lückenhaft und nicht selten ein teurer Spaß.

Haus- und Familienarbeit ist Frauensache

Außerdem hilft es Frau nur wenig, wenn die Kinder während der Erwerbstätigkeit gut betreut sind, die Familienarbeit nach Feierabend aber doch fast ausschließlich bei ihnen hängen bleibt. Die Corona-Pandemie hat es überdeutlich gemacht: Der Löwenanteil der Haus- und Familienarbeit wird noch immer von der Frau erledigt. Männer machen es sich trotz aller emanzipatorischer Bemühungen weiterhin bequem in der Hängematte überkommen geglaubter Rollenbilder. Einer neueren Umfrage zufolge stehen knapp 70 Prozent der Frauen nach wie vor alleine mit der Hausarbeit da. Über 50 Prozent sind auch alleine für die Kindererziehung verantwortlich. Kein Wunder also, dass gut die Hälfte der berufstätigen Mütter sich nicht erst seit der Pandemie an der Grenze der Belastbarkeit wähnt.

Die Erwartungen der Gesellschaft

Sicher ist die Hausarbeit durch moderne Technik leichter als sie noch vor 100 Jahren war. Weniger ist sie aber nicht geworden. Ganz im Gegenteil. Waren die Frauen früher gezwungen, über das ein oder andere Staubkörnchen in der Wohnung hinwegzuschauen – sie wurden auf dem Feld gebraucht –, muss die Hausfrau heute perfekt sein. Nicht für sich, sondern für die Gesellschaft. Es wird einfach vorausgesetzt, dass alles blitzt und blinkt im Heim. Gemütlich muss es sein, hygienisch rein und alles an seinem Platz. Auch die Kinder müssen immer sauber und adrett gekleidet sein, dazu brav und wohlerzogen. So jedenfalls suggeriert es die Werbung Tag für Tag. Der Druck, der dadurch auf die ganz normale Frau ausgeübt wird, ist enorm und spornt sie zu Höchstleistungen im Dauerstress an.

Mode und Kosmetik im Spiegel der Zeit

Und dann wäre da noch das eigene Aussehen, das bei all dem Stress nicht vernachlässigt werden darf. Frau muss immer aussehen, als wäre sie gerade der neuesten Modezeitschrift entsprungen, frisch vom Friseur und der Kosmetikerin. Zwar holen die Männer in dieser Hinsicht auf, aber Mode und Kosmetik ist noch immer Frauensache und das scheint sich auch nicht zu ändern. Die allermeisten Influencerinnen, die auf ihren Kanälen Werbung machen, sind blutjunge Mädchen! Schön, schlank, modisch up to date, so hat Frau auszusehen, immer noch und wohl auf lange Zeit. Denn vor den Bildschirmen sitzen jene jungen Mädchen und Frauen, die ihren virtuellen Idolen nacheifern und ganz genauso aussehen wollen. Kosmetische Unzulänglichkeiten werden genauso wenig akzeptiert, wie ein paar Pfunde zu viel.

Die eigenen Vorstellungen bleiben auf der Strecke

Was hat sie also gebracht, die Emanzipation? Mehr Arbeit, noch mehr Druck, noch weniger Zeit für eigene Interessen und Vorstellungen. Zwar sind Frauen heute wesentlich besser gebildet als noch vor hundert Jahren, aber nur die wenigsten können sich im Beruf „selbst verwirklichen“, können das tun, was ihnen Spaß macht oder wofür sie wirklich brennen. In den Führungsetagen großer Unternehmen sind sie ebenso rar wie in der Politik. Nicht, weil sie nicht in der Lage wären, diese Positionen auszufüllen oder weil sie es nicht wollten, sie tun es nicht, weil ihnen schlicht Nerv und Zeit fehlt. Sie reiben sich auf zwischen den Erwartungen und Anforderungen der Zeit, während sie selbst auf der Strecke bleiben.

Solange Frau die Kinder bekommt, wird sie für deren Wohlergehen unverzichtbar sein und bleiben. Daran werden auch all die übereifrigen „Woken“ mit ihrer gendersensiblen Sprache nichts ändern, mag das neue Selbstbestimmungsgesetz auch noch so viele Geschlechter erlauben: Die Mutter ist nicht zu ersetzen, durch nichts und niemanden.

Quo vadis Kirche?

Quo vadis Kirche?

Der Niedergang der Kirchen führt in die falsche Richtung

Unverkennbar der Speyerer Dom (Foto: Mhollaen/Pixabay)

Rund 640.000 Menschen sind im Jahr 2021 aus der Katholischen und Evangelischen Kirche ausgetreten. Ein Rekordjahr, wie überall zu lesen war. Als Hauptgrund werden die Missbrauchsfälle genannt. Wer möchte schon Mitglied einer Gemeinschaft sein, deren oberste Führer solche Abscheulichkeiten zu verantworten haben? Ein weiterer Grund ist das liebe Geld. Die Summe, die für die Kirchensteuer vom Lohn einbehalten wird, fehlt in der Haushaltskasse. Nur die wenigsten sehen die Kirchensteuer als ihren Beitrag für eine bessere Welt, eine Art Gemeinschaftsabgabe für wohltätige Zwecke, weil sie eben diese Zwecke nicht mehr mit eigenen Augen sehen können. Früher gab es kirchlich geleitete Kindergärten vor Ort, Krankenhäuser, Gemeindeschwestern, die sich um Alte, Kranke und Familien in Not gekümmert haben.

Nur den schnöden Mammon im Blick

Und heute? Wo geht es hin, das viele Geld? In die Gemeinden vor Ort jedenfalls nicht mehr. Immer mehr Kirchengemeinden werden zusammengelegt, Großpfarreien gebildet, in denen man vergeblich einen vertrauten Ansprechpartner sucht. Und mit der Kirchensteuer werden vorwiegend die Gehälter von genau den christlichen Ordensträgern finanziert, die die Missbrauchsskandale begangen, gedeckt, vertuscht, geleugnet haben. Und dann sind da noch die neuesten Schlagzeilen von der Auflösung eines Pflegeheims, um daraus eine Flüchtlingsunterkunft zu machen. Nicht, weil das besonders christlich wäre, sondern einzig und allein des schnöden Mammons wegen …

Die Bibel kommt gar nicht mehr zu Wort

Das alles sind zumindest nachvollziehbare Gründe, wenn man den christlichen Glauben außer Acht lässt. Christ sein bedeutet Nächstenliebe wahrhaftig zu leben. Und dazu gehört es, sich um die Menschen in der Gemeinde zu kümmern. Aber genauso wenig wie dieses sichtbare „Kümmern“ verschwunden ist, sind auch die Botschaften der Bibel aus den Gottesdiensten verschwunden. Wer heute einen Gottesdienst besucht, muss sich dieselben negativen Geschehnisse der Zeit anhören, die er jeden Tag mehr als einmal in den Nachrichten zu hören bekommt. Es geht nicht mehr um Gott und die frohe Botschaft, es geht um Krieg, Terror, Vernichtung der Umwelt, Elend, Not und Leid. Nicht Trost kommt von der Kanzel, sondern Schuldzuweisungen, der allzu durchschaubare Versuch, den Gläubigen auf den Kirchenbänken ein schlechtes Gewissen einzureden, ob des erbärmlichen Zustandes dieser Welt. Und genau hier vergeht einem das letzte bisschen Lust auf Kirche. Wenn dann auch noch auf Kirchentagen weibliche Geschlechtsteile gemalt werden, statt über Gott und die Welt zu diskutieren, ist wahrhaftig Schluss mit lustig!

Hauptsache „woke“

Es ist dieses Anbiedern der christlichen Kirchen an den Zeitgeist. Die Gesellschaft verlangt eine moderne Kirche, nur sind damit nicht „gendersensible Sprache“, „Vulva malen“ oder die Konzentration auf Minderheiten gemeint, weil es gerade „woke“ ist. Kirche muss offen sein für die Menschen – und zwar für alle Menschen und nicht nur eine Minderheitengruppe -, sich wieder ihrer Sorgen und Nöte annehmen, ihnen Trost spenden, sie durch die Höhen und Tiefen ihres Lebens begleiten.

Glaube ohne Kirche

Gott sei Dank, möchte man fast sagen, muss niemand mehr Mitglied einer Kirche sein, um zu glauben. Niemand kreidet es einem an, wenn der sonntägliche Gottesdienst geschwänzt wird. Christsein kann man auch so, an Gott glauben, sich gütig zeigen, helfen, wo Hilfe gebraucht wird. All das ist unabhängig von der institutionellen Einrichtung Kirche. Glaube scheint endgültig zur Privatsache geworden zu sein. Damit geht aber nicht nur die Gemeinschaft zugunsten des Einzelnen verloren, sondern eben auch der moralische Kompass. Jenes Instrument, das dem Menschen über Jahrhunderte hinweg Richtung und Halt gegeben hat, der das Zusammenleben wesentlich mitbestimmt, ja ein friedliches Miteinander erst möglich macht.

Glaube setzt dem eigenen Tun Grenzen

Glaube ist so viel mehr als das blinde Vertrauen in eine höhere Macht. Glaube ist das moralische Gewissen, das dem eigenen Tun Grenzen setzt. Und genau das fehlt der modernen Gesellschaft, die nur noch das eigene Ich kennt und rigoros in den Mittelpunkt stellt, koste es was es wolle. Die zunehmende Verrohung, der mangelnde Respekt, die Ausgrenzung anders denkender und der rasante Verfall der Moral in der westlichen Welt hat nicht zuletzt auch mit dem Bedeutungsverlust der Kirchen im Alltag zu tun.

Keine steilen Thesen, sondern Tatsachen

Schon 2010 beschrieb der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann in seinem Buch „Gesellschaft ohne Gott“ die Folgen des Niedergangs der Kirche. Denn im Zweifel, so Püttmann, halten sich Christen eher an Recht und Gesetz, wählen weniger radikale Parteien und sind entschieden vorsichtiger in allen Fragen rund um das Leben. Die Religionsgemeinschaften sah er als „Demutsschule“, die Gläubige dazu anhalte, auch das Wohl des anderen im Blick zu haben und Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, statt die Schuld anderen in die Schuhe zu schieben. Dass Püttmanns Thesen nicht reine Fantasie, sondern Tatsachen sind, wurde in Umfragen und Analysen eindrucksvoll bestätigt.

Keine „frohe Botschaft“

Um Christ zu sein oder doch zumindest ein christliches Leben zu führen, braucht es keine Kirche. Wenn aber die Kirchen den Menschen christliche Werte nicht mehr näherbringen, wer tut es dann? Dann werden diese Werte, auf die die westliche Welt angeblich so stolz ist, in Vergessenheit geraten und über kurz oder lang ganz verschwinden – und das ist für das Gemeinwohl wahrhaftig keine „frohe Botschaft“.

Gendern: Geht es dabei wirklich um Geschlechtergerechtigkeit?

Gendern: Geht es dabei wirklich um Geschlechtergerechtigkeit?

Fünf Gründe, warum “Gendern” keine wirklich gute Idee ist

Foto: Pixabay/Peggy und Marco Lachmann-Anke

Über den Sinn und Unsinn von „Gendern“ wird in der Gesellschaft heftig gestritten. Für die einen ist die „geschlechtersensible“ Sprache Ausdruck der Gleichberechtigung. Die Befürworter pochen darauf, „Frauen in der Sprache sichtbar“ machen zu wollen. Für die anderen dagegen – und das ist eine übergroße Mehrheit von rund 70 Prozent der Bevölkerung –  ist die Sternchen(*)-Sprache die „Reduzierung der Frau auf ihr Geschlecht“, die der Gleichberechtigung rein gar nichts bringt. Zudem, so die Gegner, schließe Gendern außer dem weiblichen alle anderen Geschlechter kategorisch aus.

Das Unterbewusstsein ist schuld

Die Befürworter beziehen sich in ihrer Argumentation auf wissenschaftliche Experimente, wonach das Unterbewusstsein hinter dem generischen Maskulinum nicht etwa gleich viel Männlein und Weiblein vermutet, sondern regelmäßig vor dem geistigen Auge des Sprechers mehr Männer als Frauen auftauchen. Soll heißen, unser Unterbewusstes schließt Frauen aus, wenn von „die Lehrer“ oder „die Beamten“ die Rede ist.

Durch Gendersprache diskriminiert

Im Alltag hat sich vermutlich noch keine Frau durch die Sprache ausgeschlossen oder gar diskriminiert gefühlt. Bislang! Jetzt aber weisen die sprachlichen Verrenkungen der Frau explizit eine wie auch immer geartete „Sonderstellung“ zu. Wird sie nicht in der Sprache sichtbar gemacht, ist sie schlicht nicht vorhanden. Erst durch das Gendern wird ausdrücklich betont, dass es sie gibt, die Frau! Wer hätte das gedacht?

Das geistige Auge hat einen Knick

Nur, wo genau ist denn die geschlechterspezifische Unterscheidung zwischen „den Verbrauchern“ und „den Verbrauchenden“? Sieht wirklich jemand vor seinem geistigen Auge bei dem Wort „Studierende“ gleich viele männliche und weibliche Studenten? Wohl kaum. Und: Unserem Unterbewusstsein dürfte es herzlich egal sein, ob die Parität zwischen den Geschlechtern gewahrt ist, wenn in den Nachrichten beispielsweise davon die Rede ist, dass Studenten mehr Geld bekommen. Wer käme in diesem Zusammenhang auf die Idee, dass wieder mal nur die männlichen Studenten Geld bekommen, die weiblichen aber nicht?

Jeder macht es, wie er gerade möchte

Hinzu kommt die Tatsache, dass sich Genderbefürworter nicht auf eine einheitliche Darstellungsweise einigen können. Jeder schreibt, wie es ihm gerade am besten gefällt – mal mit Sternchen, mit Binde- oder Unterstrich, mit angehängtem großen oder kleinem i, ganz nach Belieben. Unsere armen Schüler! Und die gesprochene Sprache tut sich noch schwerer. Die Lücke klingt wie Schluckauf oder „Hicks“ und die Umschreibungsversuche arten nicht selten in verbalen Klimmzügen aus oder werden gar zur Lachnummer. Beispiel gefällig? Der Fiesling, die Fieslinge:innen. Und wie gut hörbar ist das Sternchen in der gesprochenen Sprache eigentlich? Wie lang muss der Knacklaut sein zwischen „Lehrer“ und „innen“, um ihn überhaupt mitzubekommen. Plötzlich sind alle Personen weiblich oder sie sind einfach „innen – und nicht außen“.

Noch schlimmer ist die grammatikalisch katastrophal falsche Verwendung des Partizips. Hier wird das Verb zum Substantiv in der Verlaufsform. Aus den Fußgängern werden die Zufußgehenden, aus den Bürgermeisterkandidaten die Bürgermeister*innenkandidierenden. Bürgermeister kandidieren gewiss bis zur Wahl, Fußgänger aber sind nicht pausenlos zu Fuß unterwegs. Sie machen gelegentlich eine Pause und in der sind sie eben nicht „gehend“! Also müsste man eigentlich von Zufußgehenden sprechen, die, wenn sie eine Pause machen, die Nichtzufußgehenden sind!

Sprache verändert sich – aber bitte von alleine!

Das beliebteste Argument der Genderbefürworter ist die natürliche Anpassung der Sprache an den Zeitgeist. Stimmt. Die gibt es, keine Frage. Und schon immer wurde darüber diskutiert, inwieweit Sprache durch äußere Einflüsse verändert werden darf. So wurde heftig über Anglizismen gestritten, die sich mit der Globalisierung in unserer Sprache breit gemacht haben. Aber: Englisch ist nun einmal Weltsprache und in einer vernetzten Welt unerlässliches Verständigungsmittel. Deshalb werden sich Fachbegriffe naturgemäß hartnäckig halten. Die meisten trendigen Formulierungen aber sind schon immer genauso schnell wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht sind.

Es geht um Deutungshoheit

Durch Gendersprache werden bewusst Wortungetüme erzeugt, die kaum noch verständlich sind. Genau das aber muss Sprache sein: verständlich! Gendern ist zur Verständigung schlicht nicht nötig und sie ist auch nicht von selbst entstanden. Sie wird der durchaus zur Geschlechtergerechtigkeit bereiten Mehrheit von einer „woken“ (wieder so ein unsinniger Begriff) Minderheit regelrecht aufgezwungen. Und das ist der eigentliche Kern der Diskussion. Es geht gar nicht um Geschlechtergerechtigkeit, sondern um Deutungshoheit. Eine Minderheit versucht hartnäckig darüber zu bestimmen, wie die Mehrheit gefälligst zu sprechen, wie sie zu denken hat. Und das ist das eigentlich perfide an der Gendersprache, die nachgewiesenermaßen unser Unterbewusstsein zu beeinflussen sucht!

Politiker sind auch nur Menschen

Politiker sind auch nur Menschen
Rezension “Sagen, was Sache ist” von Wolfgang Kubicki

„Sagen, was Sache ist“, so lautet der Titel von Wolfgang Kubickis neuem Buch und er sagt, was seiner Meinung nach wirklich Sache ist. Der FDP-Politiker aus Schleswig-Holstein plädiert für mehr Mut zu Offenheit, Direktheit und Ehrlichkeit. Mut, den er sein Politiker-Leben lang gezeigt hat. Nicht von ungefähr nannte man ihn Intrigant, Schuft, Abzocker und Querulant, von der Öffentlichkeit und insbesondere der Presse gescholten, von der Partei gar zum Austritt gedrängt und mit Prozessen überzogen. Nie hat er sich unterkriegen lassen. Kubicki kam zurück wie Phönix aus der Asche. Er war 25 Jahre lang Landtagsabgeordneter in Schleswig-Holstein, 23 Jahre davon als Vorsitzender seiner Fraktion.

„Mich kann nichts mehr schocken“, gesteht Kubicki und nach „15 Jahren Ralf Stegner“ könne ihn auch nichts mehr beleidigen. Das glaubt man ihm gern, weiß er doch seine Leser mit allerlei politischen Ränkespielchen innerhalb der Parteien zu unterhalten. Barschel, Engholm, Möllemann, Westerwelle – Kubicki hat viel erlebt in seinem Politikeralltag und auch privat hat er einiges zu berichten. Er spricht offen über seine drei Ehen, ist stolz auf seine Töchter, die heute beide wie er selbst Juristinnen sind, und er schildert seine Ängste, als man ihn 1990 mit dem Verdacht auf einen Hirntumor konfrontierte. Aus seinen Erfahrungen bringt er Weisheiten mit ein, die einen tiefen Einblick in seine persönliche Entwicklung geben, aber auch die Berg- und Talfahrten der FDP widerspiegeln.

Auch vor der Bundespolitik macht er nicht Halt, spricht beispielsweise über die Fehler, die in der Flüchtlingspolitik gemacht wurden, lässt sich über die Heuchelei der Kirchen aus, die die Verarmung der Menschen beklagen und zugleich ihrem Präses ein Auto mit Chauffeur stellen.  Auch die deutsche Doppelmoral mit Blick auf Russland kommt zur Sprache, genauso wie der inzwischen wieder weit verbreitete Wunsch der Politik, etwa durch “Nudging” in den Bereich der privaten Selbstbestimmung einzudringen. Auch der SPD gibt er einige klare Worte mit auf den Weg. So beklagt er die Abkehr der Sozialdemokraten von der Agenda 2010, die Deutschland zu einem Erfolgsmodell gemacht habe. Überhaupt sei Erfolg für die SPD inzwischen per se schlecht. Die Partei kümmere sich nur noch um die „durchs Rost Gefallenen“ ohne Bezug zu den Leistungsträgern unserer Gesellschaft. Und er beklagt die Konzertration der Politik auf Minderheiten, die die Interessen der Mehrheit vernachlässige. Schließlich könne niemand etwas dagegen sagen, wenn man sich für Belange einer Minderheit engagiere. Überhaupt sieht Kubicki kalkulierte Untätigkeit als politisches Geschäftsmodell. Das eröffne die Möglichkeit, Missstände öffentlichkeitswirksam anzuprangern und sich so ohne große Umschweife zu profilieren.

Im Gegensatz zu den Transparenzorganisationen fordert Kubicki die existenzielle Unabhängigkeit der Politiker durch eigene Berufstätigkeit, denn wer nur von der Politik lebe, sei auf den guten Willen seiner Parteifreunde angewiesen und damit nicht mehr frei in seinen Entscheidungen. Und um die Freiheit geht es dem sozialliberalen Politiker Wolfgang Kubicki, der die Menschen explizit dazu auffordert, ihre Meinung angstfrei in der Öffentlichkeit zu sagen. Man könne kein Gesamtbild einfangen und keine passenden Lösungen erarbeiten, wenn bestimmte Meinungen erst gar nicht geäußert würden. Überhaupt sei eine Gesellschaft, die nur noch zwischen „gut“ und „böse“ unterscheide, nicht mehr frei!

Auf rund 200 Seiten beschreibt Kubicki sein Leben von der Kindheit bis heute. Außer recht amüsanten Schilderungen seiner persönlichen Lebenserfahrungen lernt der Leser seinen aufreibenden Politikeralltag kennen, der so manches Ereignis der Vergangenheit in ein anderes Licht rückt. Der Autor versteht es, den Leser mitzunehmen in eine Welt, in der es hinter den Kulissen alles andere als zimperlich zugeht. /sis

Bibliographische Angaben

Wolfgang Kubicki: Sagen, was Sache ist
Ullstein Verlag 2019, 205 Seiten mit umfangreichen Bilderanhang
ISBN 978-3-8437-2106-8

Klare Sprache für eine klare Position

Klare Sprache für eine klare Position
Rezension Peter Hahne: Seid ihr noch ganz bei Trost! Schluss mit Sprachpolizei und Bürokraten-Terror

„Seid ihr noch ganz bei Trost“ fragt Journalist und Autor Peter Hahne in seinem neuesten Büchlein und zielt dabei auf all die kleinen und großen Ärgernisse ab, die uns Politiker und andere Institutionen beinahe täglich bescheren. Der Frage kann man sich nur anschließen! Sind unsere Politiker denn wirklich noch ganz bei Trost, wenn sie die schleichende Islamisierung verdrängen und verharmlosen? Erkennen sie nicht, was sie anrichten, wenn etwa Weihnachtsmärkte plötzlich zu Wintermärkten, St. Martin zum Lichterfest oder auch Schweinefleisch von den Speiseplänen gestrichen werden? „Bunt“ wird hier mit „bekloppt“ verwechselt, meint Peter Hahne und ermahnt seine Journalistenkollegen wachsam und kritisch zu sein, statt die Augen zu verschließen etwa vor Erdogans Einfluss auf die hier lebenden Muslime. Sie sollten nicht verharmlosen, sondern anprangern, was gegen die Freiheit unseres Grundgesetzes steht.

Nicht nur der Islamisierung widmet sich der Autor, sondern auch der Tatsache, dass in unserem Land nur noch die Mainstream-Meinung gelte. Die Intoleranz der angeblich Toleranten mache nicht einmal vor der Wissenschaft halt. Und er fragt sich, wie es soweit kommen konnte, dass bestimmte Meinungen zu Gender, Islam, Globalisierung und Umweltpolitik einfach ausgegrenzt würden. Keiner wolle mehr mit Streitfragen oder gar irritierenden Ideen belastet werden. Hahne aber findet, eine echte Persönlichkeit brauche den Meinungsstreit nicht zu fürchten. Er verweist auf Harald Schmidt, dessen Satire heute gar nicht mehr möglich wäre: „Die Sprachpolizei“ hätte ihn längst geköpft. Die Deutschen wollten Exportweltmeister der Hochmoral werden. Dabei hätten die Bürger längst das Vertrauen zum Beispiel auch in die Justiz verloren. Richter, Staatsanwälte und Beamte in den Ausländerämtern hätten inzwischen mehr Angst vor Araber-Clans als vor dem jüngsten Gericht. Dabei ist ihm als bekennender Christ insbesondere auch die zunehmende Christenverfolgung rund um den Globus ein Dorn im Auge.

Auch die Überheblichkeit der Gesellschaft prangert Hahne an. Ehrliche Handwerks- und Lehrberufe zählten nicht mehr. Metzger und Bäcker stürben aus und wir wunderten uns über Industrielebensmittel auf unseren Tellern, die den Namen Lebensmittel gar nicht verdienten. Ebenso fragwürdig sind für den Autor Politiker, die in die Wirtschaft gehen, dort horrende Gehälter, Abfindungen und Pensionen kassierten und Abgeordnete, die ihre Diäten erhöhten, während der kleine Sparer sein Geld durch die Null-Zins-Politik verliere. Er moniert den Frust der Eliten, die das Land verließen, weil politische Fehlentscheidungen und die Ansprüche der Integrationspolitik sie überforderten. Deutschland, meint Hahne, habe einst auf Maß und Mitte gesetzt, heute sei es nicht einmal mehr Mittelmaß.

Überheblich findet der Autor auch die neue Umweltbewegung. Er spricht gar von einer „Infantilisierung der Politik“. Und er wehrt sich entschieden gegen die Beschimpfung seiner Generation als Umweltsünder von technisch hochgerüsteten und mit Flugreisen verwöhnten Kindern. Keine andere Generation habe je so nachhaltig gelebt wie die in den 1950er Jahren geborene: Kleider wurden geflickt, den Weg zur Schule ging man zu Fuß, gespielt wurde auf der Straße, gegessen wurde was die Natur gerade hergab und Urlaubsreisen gab es höchstens mit dem Fahrrad. Recht hat er! Besser wäre es, die jugendlichen Umweltaktivisten würden die Freitage für ein doppeltes Lernpensum verwenden, um durch Bildung die Probleme der Zukunft zu lösen, so sein durchaus bedenkenswerter Vorschlag.

Besonders hart geht Hahne mit der irrsinnigen “Sprachpolizei” ins Gericht, für die letztlich die Steuerzahlen aufkommen müssten. Ihr Genderwahn mache vor Pipi Langstrumpf genauso wenig halt wie vor der Bibel, die selbsternannten Missionare der politischen Korrektheit gäben absurde sprachliche Empfehlungen und beschäftigten nicht selten gar die Gerichte mit ihrem Unfug. All das hätte uns die angeblich wissenschaftliche Genderforschung eingebracht. Dabei wollten 73 Prozent der Deutschen diese Sprachanpassungen gar nicht. Das Ziel von Sprache sei es, zu verstehen. Ohne klare Sprache könne man keine klare Position beziehen. Selbst die Medien verschanzten sich hinter Fachchinesisch und Expertensprech.

Peter Hahne tut das nicht. Er sagt klar war Sache ist und mahnt zu Respekt, Anstand und Haltung, an denen es nicht nur den Politikern in unserem Land mangele. Nach der Lektüre bleibt in der Tat nur eine Frage übrig: “Sind die denn alle noch ganz bei Trost“? /sis

Bibliographische Angaben:
Peter Hahne: Seid ihr noch ganz bei Trost! Schluss mit Sprachpolizei und Bürokraten-Terror
Quadriga Verlag 2020, 128 Seiten
ISBN 978-3-86995-096-9

Wie viel mehr “weniger” sein kann!

Wie viel mehr “weniger” sein kann!
Rezension Anne Weiss „Mein Leben in drei Kisten“

Endlich ausmisten, alles los werden, was nicht mehr gebraucht wird und nur Platz beansprucht! Wie oft nimmt man sich das vor, schafft aber angesichts der Krempelberge einfach den ersten Schritt nicht. Die Autorin Anne Weiss hat es geschafft, sie hat nicht nur den ersten Schritt gemacht und sich von allem getrennt, was sie nicht wirklich mehr braucht, sondern sie hat nach der Wohnung auch ihr Leben ausgemistet und sich so viel mehr Freiräume geschaffen, nicht nur in ihrem Umfeld. Anne Weiss wirft in ihrem Buch nicht nur einen Blick auf die Unordnung in unseren Schränken, sondern auch in unseren Köpfen, sie schaut auf unsere Konsumdenkweise, unser Reiseverhalten und das berufliche Hamsterrad, das uns zielsicher an den Abgrund eines Burn-outs katapultiert. Sie legt den Finger in all unsere Alltagswunden, bleibt dabei aber nicht stehen, sondern zeigt Alternativen auf, Wege, die sie gegangen ist, die auch jeder andere gehen kann. Und sie schafft es mit ihrer begeisternden Art von sich zu berichten, genug Motivation zu entfesseln. Am liebsten möchte man das Buch aus der Hand legen und selbst gleich mit dem Ausmisten beginnen, wollte man nicht vorher wissen, wie sich das lebensentscheidende Jahr, von dem Anne Weiss in ihrem Buch erzählt, weiterentwickelt, wie es endet. Anne Weiss verzichtet nicht nur auf jeden Krempel in ihren Leben, sie verzichtet auch auf einen gutdotierten Job, nachdem ihr bewusst geworden ist, was sie wirklich glücklich macht: ein freies, selbstbestimmtes Leben.

Nun mag es nicht jedem gelingen, sein Leben in nur drei Kisten zu packen. Doch selbst wenn der Erfolg nicht so durchschlagend ist, kann man nach der Lektüre des Buches sehr deutlich erkennen, wie viel mehr „weniger“ sein kann. Es ist der Wechsel der Perspektive, mit dem man auf all den Tand und Tinnef schaut, den man im Laufe seines Lebens angehäuft hat. Braucht man das alles wirklich? Macht der bloße Besitz glücklich? Die Autorin gibt auf diese und viele andere Fragen brauchbare Antworten und dazu viele nützliche Tipps und Informationen, wie man mit dem Ausmisten anfängt und vor allen Dingen auch wie man all den Krempel nachhaltig wieder los wird! /sis

Bibliographische Angaben:
Anne Weiss „Mein Leben in drei Kisten. Wie ich Krempel rauswarf und das Glück reinließ“
Knaur Verlag 2019, 288 Seiten
ISBN 978-3-426-79060-1

Vorsicht vor rührseliger Empfindsamkeit

Vorsicht vor rührseliger Empfindsamkeit
Rezension Alexander Grau, Politischer Kitsch – eine deutsche Spezialität

Der deutsche Philosoph, Publizist und Autor Alexander Grau führt seinen interessierten Lesern mit seinem Essay „Politischer Kitsch – eine deutsche Spezialität“ vor Augen, wie mit zur Schau getragene Empfindsamkeit Politik gemacht wird, wie sich diese Art, autoritäre Politik zu legitimieren, im Laufe der Geschichte entwickelt hat und wie wichtig es ist, diese manipulative Kommunikation zu verstehen. Dabei ist politischer Kitsch ganz einfach zu entlarven, wenn Politiker mit purer Berechnung an die Rührseligkeit der Zuhörer appellieren, dann hat das nichts mit der Realität zu tun. Die schwere Jugend, Armut, Ungerechtigkeit – ist gibt viele Themenfelder, die sich dafür eigenen. Auch die Medien machen eifrig mit, sie führen verzweifelte Menschenmassen vor und ersticken damit jede Diskussion im Keim. Wer will sich schon gegen Empfindsamkeiten stellen, wenn Mahnwachen und Lichterketten Solidarität verlangen. Diese Art politischer Kitsch wird, so der Autor, zum tragenden Element der Gesellschaft, kühle Vernunft dagegen als Zynismus abgetan. Es sei zwar nicht verboten, große Gefühle zu seinen Gunsten zu nutzen, es könne indes in der Politik verheerende Folgen haben, wenn der moderne Mensch die manipulative Form der Kommunikation nicht durchschaut. „Wenn das Herz spricht, ziemt es sich nicht, dass der Verstand etwas dagegen einwendet“, zitiert Alexander Grau den tschechisch-französischen Schriftsteller Milan Kundera. Und tatsächlich hat man den Eindruck, dass zur Schau getragene Empfindsamkeit den Verstand der Massen benebelt.

Seinen Ursprung hat politischer Kitsch nach Alexander Grau im Christentum, in dem die reale Welt ins Transzendentale abdriftete, ins Übernatürliche, Metaphysische also. Kitschiges Denken entstand dort, wo die Realität idealisiert wurde. Im 19. Jahrhundert setzte sich Kitsch schließlich als Mittel der politischen Kommunikation auch in Deutschland durch. Säkulare Institutionen überzeichneten profane Botschaften und suggerierten so Überweltlichkeit. Im 20. Jahrhundert wurde das kitschige Denken gar Programm. Emotionen spielten die entscheidende Rolle, das subjektive Empfinden wurde zum Maßstab, der Wohlfahrtsstaat fand seine Daseinsberechtigung in der Befriedigung der subjektiven Bedürfnisse statt der Beseitigung von Mangel. Alle Menschen sind gut, die Welt ist schön. Wer das anders sieht, begeht Verrat an der guten Sache und an der Menschlichkeit. Die Welt hat sanft und gut zu sein und das wird mit aller Brutalität durchgesetzt. Gerade der Deutsche ist verliebt in Ideen, nicht in die Wirklichkeit. Er will die Welt retten, den Frieden, das Klima.

In seinem kurzen Essay gelingt es Alexander Grau die Entstehung und Bedeutung von politischem Kitsch anschaulich und nachvollziehbar herauszuarbeiten und vor ihren Gefahren nachdrücklich zu warnen. Diese kitschigen Leidenschaften seien es, die die Menschen unbedacht, rücksichtslos und selbstgerechten machten. /sis

Bibliographische Angaben:
Alexander Grau: Politischer Kitsch – eine Spezialität
Essay, Claudias Verlag, München 2019, 59 Seiten
ISBN 978-3-532-60042-9

Unprofessionelle Optik trifft auf recht konstruierten Inhalt

Unprofessionelle Optik trifft auf recht konstruierten Inhalt
Rezension Dushan Wegner „Talking Points“

Ein Politikbuch nennt Dushan Wegner sein 328 Seiten starkes Buch mit dem Titel „Talking Points“ mit zahlreichen, leider nicht durchnummerierten Anmerkungen. Ein Buch, das auf den ersten Blick einen äußerst unprofessionellen Eindruck macht. Der Grund: Es erschien im Selbstverlag und das merkt der Leser auf beinahe jeder Seite. Allein schon der Flattersatz ohne Silbentrennung reißt große Lücken in den Text, die das Lesen unnötig erschweren. Außer einem guten Layout hätte dem Buch darüber hinaus auch ein professionelles Lektorat sehr gutgetan.

Abgesehen von den optischen Mängeln und sprachlich mitunter gewagten Klimmzügen lässt leider auch der Inhalt zu wünschen übrig. Was der Autor beschreibt, sind Effekte, die aus psychologisch wirksamen Formulierungen entstehen können mit dem Ziel, den Wähler dazu zu bringen, einem bestimmten Politiker und damit auch gleich der Partei, die er vertritt, seine Stimme zu geben. Dafür führt er unzählige, ziemlich wahllos zusammengesuchte Beispiele an, die diese Effekte beschreiben sollen. Die Beispiele reichen von Gandhis Güte über Helmut Schmidts Weisheit, Putins Potenzdarstellung bis hin zum Thema “Nudging (1)”, das der Autor ziemlich treffend als “mentale Hundeleine” bezeichnet – um nur einige wenige zu nennen. Nicht immer ist aber der Zusammenhang zwischen beschriebenem “Effekt” und angeführtem “Beispiel” erkennbar. Der Mensch, so behauptet Wegner, folgt dem Gütigen, dem Weisen, dem Echten, dem Starken und einigen anderen Anführern mit vergleichbaren positiven Charaktereigenschaften. Letztlich aber geht es nur um Gefühl. Wer es schafft, die jeweils vorherrschenden Gefühle in der Gesellschaft zu erkennen und möglichst klug zum Ausdruck zu bringen hat – in Verbindung mit einer entsprechenden Ausstrahlung – die Nase vorn im Politiker-Wettstreit.

Sicher sind Politikerauftritte in jeder Situation gut durchdachte PR-Maßnahmen. Politiker spielen mit den Ängsten der Menschen und inszenieren sich als einzig fähige Problemlöser. Ob sie das allein durch „Talking Points“ erreichen können, ist mehr als fraglich, das erkennt der Autor am Ende selbst. Dennoch liefert Wegner einige brauchbare Ratschläge für Politikerneulinge, gibt Tipps für wirkungsvolle Selbstdarstellung und vergisst auch nicht die Fettnäpfchen zu benennen, die sich entlang des Weges zu höchsten Politikämtern dicht an dicht aneinanderreihen. Für den normalen, lediglich politikinteressierten Leser aber bietet das Buch kaum nennenswerte Erkenntnisse, er kann sich die mühevolle Lesearbeit durch das optisch wenig ansprechende „Werk“ also getrost sparen. /sis

Biographische Angaben
Dushan Wegner: Talking Points oder Die Sprache der Macht
Version Februar 2019, Selbstverlag, 328 Seiten
ISBN 978-1-79-021214-9

(1) Zum Thema “Nudging” siehe auch Nudge Teil I: Nur ein Schubs in die richtige Richtung? und Nudge Teil II: Wie die Bundesregierung “wirksam regieren” will

Raus aus der Wohlfühlblase!

Raus aus der Wohlfühlblase!
Rezension Daniel Stelter „Das Märchen vom reichen Land – Wie uns die Politik ruiniert!“

Es ist für einen Laien nicht immer ganz leicht, Daniel Stelters wirtschafts- und finanzwissenschaftliche Ausführungen nachzuvollziehen. Letztlich aber versteht auch der Nichtfachmann sehr gut, worum es in dem Buch geht und was der Autor vermitteln will, dass uns nämlich die Politik der vergangenen Jahre langfristig noch teuer zu stehen kommen dürfte. Zu viele Verpflichtungen wurden eingegangen, die zwar erst in der Zukunft zum Tragen kommen, dann aber auf eine vergreiste Gesellschaft treffen, deren wenige Leistungsträger eben diese Lasten unter den gegenwärtigen Umständen nicht werden stemmen können. Daniel Stelter beschreibt recht anschaulich, wie düster unsere Zukunft aussehen könnte: Eine Gesellschaft von Rentnern, die über kein nennenswertes Vermögen verfügt, eine schlechte Infrastruktur, weil nicht in Straßen, Brücken und Schulen investiert wird, Unternehmen, denen qualifizierte Mitarbeiter fehlen, weil eben auch die Bildung kaputt gespart und statt qualifizierte Mitarbeiter aus dem Ausland anzuwerben auf die massenhafte Zuwanderung unqualifizierter Migranten gesetzt wird, die zum größten Teil ihr Leben lang auf Transferleistungen angewiesen sein werden. Noch können wir gegensteuern, meint der Autor. Doch dazu bräuchte es einen kompletten Neuanfang – und zwar ohne unsere heutigen Politiker, die eher auf die nächsten Wahlen und ihre eigenen Posten schielen, als sich um die Zukunft des Landes zu scheren.

Unseren Politikern stellt Daniel Stelter denn auch ein ganz schlechtes Zeugnis aus und deckt in seinem 256 Seiten starken Buch eine Reihe von Problemfeldern auf, die durch falsche Entscheidungen hervorgerufen wurden. Das fängt bei der nicht vorhandenen Unterscheidung zwischen Einkommen und Vermögen an. Zwar verfügten die Deutschen über ein hohes Einkommen, wovon der Staat sich aber zu viel nehme. Nur wenig bleibe zum Sparen übrig und dann würden Geldanlagen präferiert, die wenig Rendite bringen. Auch hier habe die Politik die Finger im Spiel, weil sie eben solche Anlageformen fördere, die nicht zuletzt der bequemen Geldbeschaffung für den Staat dienten. Obendrein bevorzuge der Deutsche sichere Geldanlagen wie Sparbuch und Lebensversicherung. Keine gute Idee in Zeiten niedriger Zinsen. Und so verwundert es nicht, dass etwa Griechen und Italiener über mehr privates Vermögen verfügen als der Durchschnittsdeutsche.

Die niedrigen Zinsen seien auch der Grund für die von unseren Politikern so leidenschaftlich geforderte „schwarze Null“, die nicht etwa der Finanzminister durch eisernes Sparen zustande gebracht hätte. Und noch eine Aussage überrascht: Ohne Einführung der Währungsunion hätte es die große Schuldenparty im Süden Europas gar nicht gegeben. Überhaupt sei die weltweite Gesamtverschuldung seit 2008 drastisch gestiegen. Dass es da keine gute Idee ist, in dieser Welt als Gläubiger aufzutreten, versteht sich von selbst. Aber genau das tue Deutschland mit seinen hohen Exportüberschüssen. Wir liefern Waren nicht etwa gegen Bares, sondern als Kredite in Länder, die ohnehin hoch verschuldet sind. Irgendwann werde eine Reduzierung der Schulden unumgänglich sein und dann seien es die Deutschen, die verlieren. So wie auch die Deutschen die Verlierer der Eurokrise sein werden. Mit den Rettungsschirmen sei nicht etwa Griechenland gerettet worden, sondern französische Banken, die als private Kreditgeber sonst viel Geld in Griechenland verloren hätten. In diesem Licht seien auch die Forderungen des französischen Präsidenten mit Blick auf die EU mit Vorsicht zu betrachten.

Eigentlich erfreulich klingen Stelters Ausführungen mit Blick auf die Digitalisierung. Sicher fallen durch die fortschreitende Automatisierung viele Arbeitsstellen weg. Sie würden aber auch nicht mehr benötigt, wenn durch den demografischen Wandel eben auch weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stünden! Deshalb müsse investiert werden in Bildung, Forschung und Entwicklung. Doch Deutschland konzentriere sich stur darauf, Bestehendes zu erhalten und zu optimieren.

Mein Fazit: Auch wer wenig oder nichts von Wirtschafts- und Finanzpolitik versteht, bekommt mit diesem Buch ein Gespür für die komplexen Zusammenhänge und ihre Auswirkungen auf unser aller Zukunft. Der Autor begnügt sich aber nicht mit dem Aufzählen und Analysieren des Ist-Zustandes und Offenlegen der Hintergründe, er präsentiert auch ganz konkrete Lösungsansätze, die er am besten in einem Bündnis für Zukunft und Nachhaltigkeit aufgehoben sieht, mit dem Ziel, die Leistungsfähigkeit Deutschlands zu steigern, die Lasten gerechter zu verteilen und Altlasten zu bereinigen. /sis

Bibliographische Angaben:
Daniel Stelter: „Das Märchen vom reichen Land – Wie uns die Politik ruiniert!“
Finanzbuch Verlag, 2018, 256 Seiten, ISBN 978-3-95972-153-0

Düstere Aussichten für die Menschheit

Düstere Aussichten für die Menschheit
Rezension Dirk Müller: „Machtbeben – Die Welt vor der größten Wirtschaftskrise aller Zeiten. Hintergründe, Risiken, Chancen“

Es ist schon eine düstere Vision, die der Finanz- und Wirtschaftsexperte Dirk Müller in seinem Buch „Machtbeben“ für die Zukunft der Welt zeichnet. Automatisierung und Digitalisierung werden fast 60 Prozent der Arbeitsplätze vernichten und gewiss nicht so viele neue schaffen. Doch sieht er auch eine Chance in der rasanten technischen Entwicklung, Unternehmer müssen ihre Betriebe nicht mehr in Länder verlegen, in denen es billige Arbeitsplätze gibt. Im Gegenteil, künftig wird echtes Fachwissen gefordert sein und die Produktion genau dort stattfinden, wo die Produkte verkauft werden, vor Ort nämlich. Denn nicht mehr der Lohn, sondern Transportkosten und Liefergeschwindigkeit bestimmen den Standort. Vorausgesetzt, ja vorausgesetzt die vielen Pulverfässer, die Müller rund um den Globus ausmacht, gehen nicht hoch.

Und Pulverfässer gibt es viele, zum Beispiel neue Probleme auf dem amerikanischen Finanzmarkt. Waren es 2008 geplatzte Immobilienkredite, die die weltweite Finanzkrise auslösten, so könnten es jetzt ohne Grenzen vergebene Kredite an Studenten und für Autos sein. Wieder wurden diese Kredite ohne Risiko für die ausgebende Bank verbrieft und weltweit gestreut. Man hat zwar aus den Fehlern 2008 gelernt, aber eben nichts geändert, so Müllers Fazit. Den USA ist es dabei auch egal, wie andere Länder mit solchen Problemen umgehen, denn die Vereinigten Staaten von Amerika können gar nicht pleite gehen. Werden ihnen ihre Dollar-Anleihen zur Zahlung vorgelegt, druckt die FED so viel Geld wie gebraucht wird. Fertig. Die eigene Notenbank macht es möglich. Andere Länder können das nicht und die USA sorgen schon dafür, dass Schulden weltweit möglichst in Dollar gemacht werden. Wobei es natürlich nicht der Staat ist, der hier die Fäden zieht, sondern die Reichen und Mächtigen dieser Welt, Plutokraten, die ihre Interessen immer rigoroser durchsetzen. Trump, konstatiert der Autor, ist nur der Portier der USA, der Sprecher der Eigentümer und Manager. Sie bilden Netzwerke der Macht und nehmen Einfluss auf Politik, Wirtschaft und damit letztendlich auch auf die Gesellschaft. Wurde früher versucht, Politiker zu beeinflussen, setzt man heute gleich die eigenen Leute an die richtigen Positionen. Der französische Präsident Emmanuel Macron zum Beispiel ist Günstling von Rothschild. EZB-Chef Dragi war zuvor Vizepräsident bei Goldman Sachs, seine Politik freut die internationalen Banken und Steve Mnuchin war 17 Jahre lang Investment-Banker von Goldman Sachs, bevor er 2017 Finanzminister der Vereinigten Staaten wurde. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, versichert Müller. Wahlen ändern an dieser Konstellation gar nichts. Die großen Entscheidungen werden längst hinter den Kulissen getroffen. Denn wenn Wahlen etwas ändern würden, hätten die Machteliten sie längst abgeschafft. Lediglich Volksbefragungen und Volksentscheide könnten ihnen gefährlich werden, aber nur dann, wenn die Bevölkerung mit allen relevanten Informationen versorgt wird, damit sie eine Entscheidung auch tatsächlich treffen kann. Diese Informationen aber gibt es nicht mehr, denn auch die Medien sind längst in der Hand der Plutokraten. Für Enthüllungsjournalismus gibt es kein Geld mehr, nur hohe Klickzahlen bringen Werbeeinnahmen und zwar genau von den Unternehmen, die den Plutokraten gehören. Das kostenlose Internet hat die Krise des unabhängigen Journalismus und damit das Ende dieser Kontrollinstanz befördert. Und die wenigen Medienkonzerne, die noch übrig sind, gehören genau den Plutokraten, die sie eigentlich kontrollieren sollen. Sie werden dazu genutzt, die Feinde der Plutokratie zu jagen und zu diffamieren und damit die Macht der Reichen unabänderbar zu etablieren.

Die Machteliten dieser Welt stellen also die Politiker, die in ihrem Sinne entscheiden, sie kontrollieren die Medien und jeden Einzelnen durch die Analyse seiner Daten, filtern seine Schwächen heraus und schaffen so den perfekten Zustand für die Plutokratie. Und der Einzelne ist damit auch noch zufrieden, jedenfalls solange es ihm gut geht! Wie lange das aber noch sein wird, hängt davon ab, wie der Wandel der Gesellschaft durch Digitalisierung und Automatisierung gelingt. Denn der technische Fortschritt wird wie bereits erwähnt den Verlust von rund 60 Prozent aller Arbeitsplätze mit sich bringen. Benötigt werden dann nur noch hochspezialisierte Fachkräfte und nicht jeder LKW-Fahrer kann zum IT-Spezialisten umgeschult werden. Was wird also aus dem Heer der Arbeitslosen? Hier sieht Müller neben den Risiken auch Chancen, etwa durch das Grundeinkommen, das längst keine Fantasterei mehr ist, sondern mit Einzug der neuen Technologien sogar zur zwingenden Notwendigkeit wird. Aber auch hier haben die Reichen bereits eigene Pläne, wie sie ihre Macht weiter festigen und das „Volk“ unter ihre absolute Kontrolle bringen können: Geld bekommt nur, wer sich wunschgemäß verhält. Und die großen Datenkraken wie Amazon und Google sorgen für die lückenlose Überwachung. Was futuristisch klingt, ist in China mit dem Bonuspunktesystem bereits Realität. Überhaupt steht nicht nur ein Pulverfass in China: Die Wirtschaft schwächelt, auch wenn die Statistiken etwas anderes behaupten. Hier entsteht die nächste große Wirtschaftsblase, ist sich Dirk Müller sicher und belegt das anhand zahlreicher Beispiele, wobei das Seidenstraßenprojekt zwei unterschiedliche Szenarien ermöglich. Der Bau von Straßen, Schienen, Flughäfen und Tiefseehäfen könnte in der Tat die Wirtschaft auf dem gesamten eurasischen Kontinent ankurbeln, wie es einst der Bau der Highways in Amerika tat. Das Projekt könnte aber militärisch genutzt werden und China damit die Vorherrschaft auf dem eurasischen Kontinent sichern. Um nichts anderes geht es bei sämtlichen Konflikten unserer Zeit. Russland zum Beispiel wäre ohne die Ukraine eben kein eurasisches Reich mehr. Und die aktuellen Konflikte im Nahen Osten sind auch nur dazu da, den Kampf um die Vorherrschaft auf unserem Kontinent zwischen den USA und Russland auszutragen. Auch der Nordkorea-Konflikt hat kein anderes Ziel.

Überhaupt planen die Reichen und Mächtigen eine ganz andere Welt, in der es keine Einzelstaaten mehr gibt mit ihren unterschiedlichen Regelungen und Vorschriften. Das ist auch der Grund für die nachgerade geräuschlose Völkerwanderung unserer Tage. Man will die Verschmelzung aller Völker, auch wenn das nicht ohne Konflikte abgeht. Denn da wo Menschen ganz unterschiedlicher Kultur zum Zusammenleben gezwungen werden, bleiben Konflikte nicht aus. Und damit die Bevölkerung von alldem nichts mitbekommt, wird sie manipuliert und unterhalten. Brot und Spiele, wie im alten Rom. Kommt es doch einmal zu Widerständen, opfert man einen Politiker und alles ist wieder gut. Dagegen wehren kann sich die große Masse nur durch Zusammenhalt. Und dazu ruft Dirk Müller am Ende seines Buches auf. Er rät den Menschen sich nicht länger spalten zu lassen, sondern sich zusammenzutun, miteinander zu reden und zu diskutieren und sich vor allen Dingen gegenseitig mit Respekt zu begegnen.

Fazit: Dirk Müller gelingt eine umfangreiche Zusammenstellung der wirtschaftlichen und politischen Situation rund um den Globus mit hilfreichen Erläuterungen und Einzelinformationen, die es in dieser kompakten Form sonst nicht gibt. Er beschreibt, was aktuell und in naher Zukunft in Politik und Wirtschaft geschehen wird und welchen direkten Einfluss das auf unser aller Leben hat. Jeder, der verstehen will, was auf der Welt vor sich geht, sollte dieses Buch gelesen haben – auch wenn es einem mit Blick auf die düsteren Aussichten gewiss schlaflose Nächte bereitet.

Bibliographische Angaben
Dirk Müller: Machtbeben. Die Welt vor der größten Wirtschaftskrise aller Zeiten – Hintergründe, Risiken, Chancen
Heyne Verlag, 2018, 352 Seiten
ISBN: 978-3-543-20489-8

Europa liegt nicht in Brüssel!

Europa liegt nicht in Brüssel!
Rezension Hans Magnus Enzensberger „Sanftes Monster Brüssel oder die Entmündigung Europas“

„Brüssel liegt in Europa, aber Europa nicht in Brüssel“ ist die Kernaussage in Hans Magnus Enzensbergers Essay  über die Irrungen und Wirrungen der Brüsseler Bürokraten, die die Allwissenheit für sich gepachtet zu haben scheinen und mithin am besten wissen wollen, was für die europäische Bevölkerung gut ist und was nicht. Ein Mitspracherecht gehört definitiv nicht dazu. Denn in den entscheidenden Institutionen Rat und Kommission sitzen nicht gewählte und damit auch nicht abwählbare Vertreter aus den Mitgliedstaaten, ein Heer von Räten, Kommissaren, Generaldirektoren und Verwaltungsräten in einer unüberschaubaren Zahl von Einzelinstitutionen mit ebenso unverständlichen Abkürzungen als Namen. Enzensberger listet eine Vielzahl auf, die erschrocken macht. Und er weist darauf hin, dass die Spitzenpositionen nicht nach Eignung, sondern nach Proporz vergeben werden, während die Beamten in der zweiten Reihe ihre Kompetenz in einem komplizierten Ausschreibungsverfahren unter Beweis stellen müssen: ohne entsprechende Ausbildung und Berufserfahrung kein Job in Brüssel.

Die Brüsseler Stellvertreter sind unbeliebt und das kommt nicht von ungefähr, denn ihr Normierungswahn kennt keine Grenzen, betont der Autor. Und wie das so ist mit einer machtbesessenen Institution, versucht sie ihre Kompetenzen immer weiter auszudehnen, obwohl das nicht im Sinne der Gründungsväter sein dürfte. Diese wollten die „Vereinigten Staaten von Europa“ viel eher unter ein Subsidiaritätsprinzip gestellt sehen, soll heißen, was in der Region entschieden werden kann, wird auch genau dort entschieden. Die Gemeinschaft hingegen sollte sich um Probleme kümmern, die kein Land alleine lösen kann, wie etwa die Luftfahrtkontrolle oder Fischfangquoten. Doch die europäischen Bürokraten haben sich durch Flexibilitätsklauseln auch da Eingriffsmöglichkeiten geschaffen, wo sie eigentlich nichts zu suchen haben. Nur die Kultur blieb bisher von ihren Normierungsversuchen verschont, zu vielfältig zeigt sich dieser Bereich. Wobei Enzensberger deutlich macht, dass die Ideen für neue Normen in den Villen und Büroetagen der Lobbyisten entstehen und nicht etwa in den Köpfen der Brüsseler Abgeordneten und Beamten.

Trotz aller Ausdehnungsbemühungen ist die Europäische Union aber eine Wirtschaftsgemeinschaft geblieben, meint der Autor, denn die Wirtschaft bestimmt das Schicksal und nicht etwa die Politik. Dabei sei aber die wirtschaftliche Integration ohne Rücksicht auf die unterschiedlichen Kulturen der Länder vorangetrieben worden. Das trifft etwa auch auf die Eurozone zu, in die Länder aufgenommen wurden, die die Stabilitätskriterien gar nicht erfüllten, oder deren geschönte Zahlen nicht einmal überprüft wurden. Und so sei ein weiterer Grundsatz der Gründungsväter ausgehebelt worden, dass nämlich kein Mitgliedsstaat für die Schulden des anderen haften soll. Dank Gummiklauseln konnten diverse Rettungsschirme aufgespannt werden, die die Regelungen des Währungs- und Stabilitätspaktes schlicht umgehen und die Eurozone in eine Transferunion verwandelt haben, in der jedes Mitglied für alle anderen unbegrenzt zu haften hat. Die Spekulanten lachen sich ins Fäustchen, während der Europarat der Bevölkerung versichert, seine Entscheidungen seien „alternativlos“, was einem Denkverbot gleichkommt.

In der Trias von Parlament, Rat und Kommission verschwindet die Demokratie und wer dagegen aufbegehrt, wird als antieuropäisch denunziert. Aber das aus der Ohnmacht der Bevölkerung resultierende Desinteresse kommt den in Brüssel, Strasburg und Luxemburg kunstvoll geschaffenen Institutionen gerade recht, erklärt der Autor gut nachvollziehbar, denn die Brüsseler Bürokraten wollen und brauchen die Aufmerksamkeit der Bevölkerung nicht. Selbstkritik und Demut sind ohnehin nicht ihre Stärke. Sie leiden an Größenwahn, der keine Grenzen mehr kennt, attestiert Enzensberger und dem Leser bleibt nur die Erkenntnis, dass dies gewiss nicht das Europa ist, von dem die Völker auf dem europäischen Kontinent einst geträumt haben! /sis

Bibliographische Angaben:
Hans Magnus Enzensberger „Sanftes Monster Brüssel oder die Entmündigung Europas“
Sonderdruck Edition Suhrkamp
11. Auflage 2015, Suhrkamp Verlag Berlin, 73 Seiten
ISBN: 978-3-518-06172-5

Verstehen, was auf der Welt vor sich geht

Verstehen, was auf der Welt vor sich geht
Rezension Gabor Steingart „Weltbeben – Leben im Zeitalter der Überforderung“

Die Welt ist verrückt geworden, das denken wohl die meisten Menschen angesichts von Krieg und Terror, politischen und wirtschaftlichen Skadalen und anderen alltäglichen Unabwägbarkeiten. Die Suche nach einer Antwort auf die Frage nach dem „Warum“ aber ist ungemein kompliziert, so kompliziert wie die Welt selbst. Gabor Steingart ist es mit seinem Buch „Weltbeben – Leben im Zeitalter der Überforderung“ gelungen, die scheinbar unentwirrbaren Zusammenhänge von Politik und Wirtschaft aufzuräufeln und seinen Lesern mit klaren Worten gut nachvollziehbar offenzulegen. Er beschreibt die „Besinnungslosigkeiten des ökonomischen Größenwahns“, die Instrumente der Manipulation, mit denen uns die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft hinters Licht führen und wie sie statt nach Lösungen zu suchen, medientaugliche Geschichten erzählen. „Die Eliten kultivieren das Weghören“, konstatiert Steingart und hält den großen Knall für möglich. Aber, da ist er sicher, die Phänomene seien vom Menschen gemacht und könnten deshalb auch verändert werden. Deshalb schließt seine Analyse mit „einer hohen Dosis Zuversicht“, die allerdings nach der Lektüre des Buches nicht von jedem geteilt werden wird.

Steingarts Weltenschau beginnt mit der Überforderung und Selbstüberschätzung Amerikas. Amerika beschwört seine Größe und Einzigartigkeit, sieht sich als unverzichtbare Weltmacht und kann nicht glauben, dass nicht alle Welt das genauso sieht. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg Amerika zur mächtigsten Nation der Welt auf und dominierte alle anderen Staaten politisch, wirtschaftlich und militärisch. Doch Amerika ist schon lange keine Schutzmacht und kein Garant für Sicherheit mehr. Die Amerikaner können sich aber nicht damit abfinden, dass ihre Kultur eben nicht universell ist. Aus den vielen Lektionen des Scheiterns hat Amerika nichts gelernt und „die Misserfolge haben die USA nicht demütig, sondern rachsüchtig gemacht“.

Besondere Aufmerksamkeit widmet der Autor Europa, das von den frühen Anfängen bis 1945 nur Krieg und Gräueltaten vorzuweisen hat. Keine Seuche habe je so viel Tod gebracht, wie die mörderische Kriegslust der europäischen Völker. Erst mit der Kapitulation von Hitler-Deutschland sei Europa zur Besinnung gekommen und habe die Europäische Union als „Besserungsanstalt für fehlgeleitete Patrioten“ begründet. Ziel war die Nation zu überwinden, um Krieg zu verhindern. Dieses vernünftige Unterfangen aber sei von machtbesessenen Bürokraten in Brüssel gekapert worden. Nationalstaat und Patriotismus seien so diskreditiert worden, dass sich heute niemand mehr wage, ihnen Bedeutung beizumessen. Das einst geplante Europa in Vielfalt werde von der „europäischen Normierungsanstalt“ in einen europäischen Einheitsstaat umgewandelt. Brüssel normiert alles, von der Glühbirne bis zum Menschen. „Das Europa der Brüsseler Apparate ist ein Monster“, schreibt Steingart. Ein Monster im Übrigen, das auch Pöstchen-Selbstbedienung zu besten Konditionen beinhaltet. Politiker, die Zuhause ihren Posten verloren haben, können in Brüssel. Luxemburg oder Strasburg ein zweites Leben beginnen, ohne je wieder einem aufmüpfigen Wähler ausgeliefert zu sein. Nur wollten die Menschen sich nicht länger in diesen Schmelztiegel geworfen sehen, der alles und jeden glatt zu schleifen versuche. Brexit und Flüchtlingskrise seien nur zwei der Sollbruchstellen, die die Überforderung deutlich machten. Die europäische Idee indes sei die wertvollste, die dieser Kontinent in den letzten 100 Jahren hervorgebracht habe. Sie ermutige auch zum Widerstand gegen dieses nur halbdemokratische System, das sich als alternativlos ausgebe.

Den weltweiten Terrorismus bezeichnet der Autor als neuen Krieg der religiös motivierten Terrornetzwerke gegen die westlichen Gesellschaften. Wobei in diesem Krieg nicht etwa die Neuordnung der Welt das Ziel sei, sondern ihre Erschütterung. Wir seien nicht Opfer, sondern Beteiligte dieses globalen Krieges. Und die Regierenden, die mit ihren öffentlichen Beileidsbekundungen für die Opfer nach einem Terroranschlag auch gleich die Grundlage für die nächste Attacke bereiteten, hätten keinen Plan, wie sie dem radikal-islamistischen Terror begegnen sollen, darum redeten sie ihn klein und unterschätzten ihn damit. Die globale Organisation des extremistischen Islam und sein kulturelles Hinterland, das bis tief in die deutsche Migrantenszene reiche, werde verharmlost. Die Ursache des Terrors sieht Steingart in der jüngeren Geschichte der internationalen Politik, bei der es nicht um Demokratie und Menschenrechte, sondern einzig und allein um Interessen von Staaten gehe –im Nahen Osten um den Zugang zu Erdöl. Deshalb habe Amerika den Iran mit einem Staatsstreich zu seiner „Tankstelle“ gemacht. Während der durch den Staatsstreich an die Macht gekommene Shah Reza Pahlevi und seine Frau Farah Diba nach außen hin Glanz und Glamour verbreiteten, herrschte im Innern des Landes Folter und Unterdrückung. Der Terror habe viele Wurzeln, betont Steingart, ein dicker Strang aber führe direkt in die USA. Im Nahen Osten seien sich die Kulturkreise zu nahegekommen. Sie müssten jetzt mit Dialog wieder auf Abstand gebracht werden.

Weltweite Zerstörung löse nicht nur der Terrorismus, sondern auch die Dynamik des Kapitalismus aus. Das Vertrauen in die Selbstheilungskräfte der Märkte sei längst verschwunden. Und der Staat komme aus dem Retten, Regulieren und Bestrafen der Großkonzerne gar nicht mehr heraus. Die soziale Marktwirtschaft sei von den Grundlagen eines Ludwig Erhard Lichtjahre entfernt. Umsatz-, Steuer- und Sozialgesetze würden nicht mehr als Gesellschaftsvertrag verstanden, sondern als zu überwindende Zumutung. Der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts sei der Augenblicksgier verfallen, auch im Ausland. In der Finanzindustrie gar zahle man lieber Strafen, als sich an Gesetze zu halten. Und die Kreditsucht der Staaten sei dem Finanzsektor außerordentlich gut bekommen, Banken wiesen eine historische Prosperität auf. Notenbanken seien längst schon keine Währungshüter mehr, sondern Gelddruckmaschinen. Irgendwann, so Steingart, hätten die Staaten gar keine andere Wahl mehr, als die „steuerliche Leistungskraft der Leistungsfähigen“ und der Sparer anzuzapfen.

Mit Blick auf die digitale Gesellschaft rät Steingart den politischen und wirtschaftlichen Eliten lieber auf die Störgeräusche der Unzufriedenen zu hören, statt sie nur als Populismus abzutun. Industrie 4.0 bedeute für viele Menschen eine Erniedrigung und gerade gering Qualifizierte seien chancenlos. Letztlich aber verlören auch die Eliten mit der Digitalisierung ihr Monopol auf die Massenkommunikation. Konnten die Politiker ihre Überforderung bislang gut verbergen und so ihre Position sichern, ändere sich das mit der zunehmenden Zahl an Kommunikationskanälen. Als Gegenmaßnahme habe sich eine ganze Industrie von Beratern formiert, die das Image der Politiker aufbessern sollen, in dem sie schlicht die Wahrnehmung der Wähler manipulieren. (Siehe dazu auch die Artikel zu “Nudging” Teil I und II sowie die Rezension Thaler/Sunstein). „Wir alle sind die Kaninchen bei dem Versuch, diese psychologischen Techniken der Manipulation und des Verkaufens auf die Demokratie zu übertragen“, meint Steingart und nennt Bio, Öko und Nachhaltigkeit „Tarnnamen der Scharlatanerie“. Neue Europaabgeordnete etwa lernten in eigens etablierten Kursen, wie man den Wähler durch Sprache und nicht mit Taten beeinflusst. Der Ablenkungspolitiker hätte seinen großen Auftritt.

Der Autor glaubt, dass die Bürger dem Treiben der politischen und wirtschaftlichen Eliten nicht länger gleichgültig zuschauen werden. Stattdessen werde er die bisherigen Eliten in ihrem Machtanspruch begrenzen, Transparenz, Mitbestimmung Teilhabe und Kommunikation einfordert und damit die Demokratisierung der Demokratie in Gang setzen.

Fazit: Gabor Steingart stellt Politik und Wirtschaft ein sehr schlechtes Zeugnis aus. In klaren Worten zählt er auf, was schief läuft bei uns und in der Welt, wobei er auch sein eigenes Umfeld – die Medien – nicht von harscher Kritik ausnimmt. Jeder Bereich hat offenbar seine eigenen Instrumente entwickelt, um die Überforderung zu vertuschen und diese Instrumente macht der Autor in seinem Buch sichtbar. Bei seinem Blick auf die Zukunft, für die er eine stille Revolution bereits in vollem Gange sieht, ist er aber wohl zu optimistisch. Denn die Menschen haben sich längst eingerichtet in der von Politik und Wirtschaft erzeugten, überaus bequemen Hängematte der großen Illusion. /sis

Bibliographische Angaben:
Gabor Steingart: Weltbeben. Leben im Zeitalter der Überforderung
Knaus Verlag, 2016, 240 Seiten
ISBN 978-3-8135-0519-1

Viel zu kurz gedacht

Viel zu kurz gedacht
Rezension Mary Beard: Frauen und Macht

Das entscheidende Buch zu Feminismus und Gleichberechtigung, ein leidenschaftlicher Aufruf an Frauen, sich jetzt die Macht zu nehmen, ein Buch, das weltweit Furore macht – so und ähnlich lauten die Schlagzeilen zu Mary Beards Büchlein „Frauen und Macht“. Das macht natürlich neugierig, doch leider ist die Enttäuschung nach der Lektüre auch entsprechend groß. Denn das gerade einmal 112 Seiten umfassende Heftchen, eine Zusammenstellung aus Vorträgen der sehr bekannten britischen Historikerin Mary Beard, verfängt sich in Geschichten einer längst vergessenen Zeit, sucht den Ursprung für die bis heute nachwirkende Frauenfeindlichkeit ausschließlich im Leben der Frauen im antiken Griechenland und Rom. Frauen, denen Dichter wie Homer in der Odyssee das Recht auf die öffentliche Rede absprachen, Frauen, die die Macht an sich gerissen, sie missbraucht und ein entsprechend großes Chaos angerichtet haben. Wahre Monsterfrauen, die von den Männern in ihre Schranken gewiesen werden mussten. Frauen, deren gespenstische Abbilder noch heute dazu benutzt werden, um führende Politikerinnen wie Theresa May, Hillary Clinton oder auch Angela Merkel zu diskreditieren: Das drastischste Beispiel dafür ist die Abbildung einer Medusa, die die Gesichtszüge von Hillary Clinton trägt und deren abgeschlagener Kopf von Donald Trump siegessicher in die Höhe gereckt wird.

Unser kulturelles Modell einer mächtigen Persönlichkeit ist männlich, Schwachheit ist weiblichen Ursprungs, schreibt die Autorin. Und so ist es schon die schrille, winselnde Stimme der Frau, die ihr das Recht auf freie, öffentliche Rede seit der Antike abspricht und damit den Zugang zur Macht verwehrt. Äußert eine Frau eine abweichende Meinung, dann schreibt man das ihrer Dummheit zu. Machen Frauen einen Fehler gibt man sie zum Abschuss frei, männliche Patzer hingegen werden mit Nachsicht behandelt, hatte er eben einen schlechten Tag. Frauen, die das Rederecht fordern, gelten noch heute als Mannweiber. Und tatsächlich präsentieren sich mächtige Frauen meist in Hosenanzügen. Ein Fehler, wie Mary Beard meint. Es gelte vielmehr gerade nicht dem männlichen Muster zu entsprechen. Als positives Beispiel für diese These führt sie Margaret Thatcher mit ihrem Handtaschen-Tick an, die sich damit klar von ihren männlichen Konkurrenten abzugrenzen wusste. Die Autorin kommt zu dem Schluss, der Ausschluss der Frauen von der Macht sei tief in Kultur, Sprache und Geschichte des Abendlandes verwurzelt. Als Lösung bietet sie an, den Begriff der Macht vom damit verbundenen Prestige zu trennen und neu zu definieren. Wie das zu erreichen und was damit gewonnen wäre, bleibt die Autorin ihren Lesern aber schuldig.

Mein Fazit: Das Buch ist eine sicher interessante Zusammenstellung weiblicher Diskriminierung in der Antike. Nur greift es viel zu kurz, wenn die Autorin deren Auswirkungen noch heute im defizitären Verhältnis von “Frau und Macht” sieht. Denn im Laufe der Jahrtausende gab es immer wieder und immer mehr Frauen, die Gehör fanden und über erhebliche Macht verfügten ohne zerstörerische Absichten, Herrscherinnen, Kämpferinnen, Wissenschaftlerin und Forscherinnen, unzählige Beispiele von Cleopatra über Hildegard von Bingen bis Katharina die Große ließen sich anführen. Wer sich für  Geschichte und Geschichten antiker Frauen interessiert, wird nicht enttäuscht. Wer neue Ideen und Ansätze für Gleichberechtigung und Feminismus erwartet, sollte sich nach anderer Literatur umschauen. /sis

Bibliographische Angaben:
Mary Beard: Frauen und Macht: Ein Manifest gegen das Schweigen
S. Fischer Verlag, 2019, 112 Seiten
ISBN 978-3-10-397399-0

Jedem seine eigene Meinung!

Jedem seine eigene Meinung!

Rezension zu Volker Kitz: Meinungsfreiheit. Demokratie für Fortgeschrittene

Fakenews, alternative Fakten und Lügenpresse nimmt der deutsche Sachbuchautor und Jurist Volker Kitz in seinem mit 125 Seiten recht überschaubaren Büchlein zum Anlass, die Meinungsfreiheit und ihre Grenzen herauszuarbeiten. „Meinungsfreiheit. Demokratie für Fortgeschrittene“ klärt aber nicht nur über die zahlreichen widersprüchlichen Ansichten auf, was denn Meinungsfreiheit nun eigentlich genau ist, sondern gibt auch Hilfestellung, wie ein „echter Demokrat“ mit unterschiedlichen Meinungen optimalerweise umgeht.

Meinungsfreiheit, das weiß jeder, ist ein hohes Gut der Demokratie. Sie ist eine Freiheit gegenüber dem Staat. Jeder kann und darf seine persönliche Meinung und Überzeugung auch öffentlich kundtun, ohne dass er dafür vor Gericht belangt werden kann. Jedenfalls solange sich seine Äußerungen im strafrechtlich unbedenklichen Rahmen bewegen. Was Meinungsfreiheit aber gewiss nicht ist und auch nicht sein will, ist „Wahrheit“. Wahrheit lässt sich anhand von Fakten überprüfen, Meinung ist immer subjektiv und deshalb weder falsch noch richtig. In einer Demokratie hat eine Meinungspolizei nichts zu suchen und es gibt auch keine Meinungsrichter. Meinungen stehen gleichberechtigt nebeneinander. Das wird aber heutzutage leider allzu oft vergessen, und weil Meinung heute viel zu schnell etikettiert wird – als „linksversifft“ oder „rechts“ – kommt kein echter Austausch der Argumente mehr zustande. Allerdings sind Argumente, wenn sie auf Meinung treffen, für den Autor durchaus entbehrlich, denn er stellt fest, dass Meinungen auf Emotionen gründen, die Fakten schlicht nicht zugänglich sind. Tatsächlich sieht jeder Mensch die Welt aus seiner ureigensten Perspektive, die selbstverständlich in engem Zusammenhang mit Herkunft, Bildung und Umwelt steht. Diese einmal gefasste Meinung lässt sich, wenn überhaupt, nur durch Ereignisse ändern. Kitz erinnert in diesem Zusammenhang an die Änderung der Einstellung zur Atomkraft nach der Fukushima-Katastrophe. Sämtliche Bemühungen, Meinungen durch Fakten und Argumente zu verändern, können deshalb nur fehlschlagen. Vielmehr geht es den Menschen in der Diskussion nur darum, den anderen von seiner vermeintlich falschen Meinung abzubringen, ihn zu einer Meinungsänderung zu überreden. Es geht dabei auch gar nicht um falsch oder richtig, sondern nur ums “recht haben wollen”. Ein Fehler, den nicht nur Politiker viel zu häufig machen. Auch die viel beklagte Politikverdrossenheit resultiert laut Kitz nicht zuletzt aus dem Versuch, den politischen Diskurs durch Rechthaberei zu ersetzen. Dagegen besteht die Hauptaufgabe der Demokratie für den Autor in erster Linie darin, das möglichst reibungslose Zusammenleben unterschiedlicher Meinungen zu organisieren! Und daran kann jeder tagtäglich mitwirken, indem er zwar Unwahrheiten entlarvt und nicht unwidersprochen hinnimmt, zugleich aber andere Meinungen akzeptiert, ohne sie ändern oder gar vernichten zu wollen. /sis

Bibliographische Angaben:
Volker Kitz, Meinungsfreiheit – Demokratie für Fortgeschrittene
Fischer Verlag, Frankfurt 2018, 125 Seiten, ISBN 978-3-596-70224-4

Über Vergangenheit und Zukunft der Menschheit

Über Vergangenheit und Zukunft der Menschheit
Rezension Stephen W. Hawking: Kurze Antworten auf große Fragen

Kurz bevor er starb, hat Stephen W. Hawking noch mit der Zusammenstellung dieses Buches aus seinen Archiven begonnen. Die Veröffentlichung erlebte er nicht mehr. Stephen Hawking, einer der ganz großen Naturwissenschaftler und Forscher, Visionär und Mahner unserer Zeit, schwerstbehindert, aber nie hoffnungslos, starb am 14. März 2018 im Alter von 76 Jahren in Cambridge, dem Ort, an dem er lange gelehrt und geforscht hatte.

Seine Fachgebiete waren Theoretische Physik und Astrophysik. Und deshalb nimmt der Weltraum in seinem Buch auch den breitesten Raum ein. Tatsächlich sah Hawking, der seit seinem 20. Lebensjahr unter einer ALS-Erkrankung (Amyotrophe Lateralsklerose) litt, die ihn am Ende gänzlich bewegungsunfähig machte, die Zukunft der Menschheit nur durch Verlassen des Planeten Erde gesichert. Zu weit ist seiner Meinung nach die Ausbeutung und Zerstörung fortgeschritten, als dass die Erde noch auf die Evolution warten könnte, die den Menschen endlich klug macht. Und das wird sie. Hawking war sicher, es erwartet uns eine Explosion an Intelligenz, die nicht zuletzt die Wissenschaft dazu befähigen wird, Krankheiten zu heilen, perfekte Menschen zu designen, durch den Weltraum zu reisen und ferne Planeten zu besiedeln. Sie wird in der Lage sein, Künstliche Intelligenz zu erschaffen, die den Menschen schon bald übertreffen könnte. In all diesen Bereichen kommt es laut Hawking darauf an, dass der Mensch die Kontrolle behält und dafür sorgt, dass die Entwicklung zum Vorteil der Menschheit gereicht. Kommt beispielsweise Künstliche Intelligenz in Hände von Terroristen und Verbrecher, könnte sie ohne weiteres die Menschheit auslöschen. Doch dafür reicht allein schon das Atomwaffenarsenal, das wir noch immer horten. Mag manche Entwicklung in der Zukunft auch ethisch verwerflich sein oder sogar verboten werden, so wird es doch immer Menschen geben, die zu neugierig sind und sich solchen Verboten widersetzen. Demnach ist alles möglich. Und das gilt auch für alle anderen großen Fragen, denen sich Hawking in seinem Buch widmet. Er beschäftigt sich mit der Frage, woher wir kommen, ob es einen Gott gibt, ob wir die Zukunft vorhersagen können, ob Zeitreisen eines Tages möglich sein werden, ob wir die Erde überleben werden und den Weltraum besiedeln. Letztlich hat er auch keine Antworten, aber die sehr eindringliche Warnung, endlich auf dem – doch recht dümmlichen – Weg, den die Menschheit eingeschlagen hat, umzukehren, sich mit der Rettung unseres Planeten zu beschäftigen und im Weltraum nach Planeten zu suchen, auf denen die Menschheit weiter existieren kann. Die größten Bedrohungen führt er seinen Lesern vor Augen, warnt vor Atomkrieg, Klimawandel, Zerstörung der Ozeane und Wälder und auch vor der weiteren Zunahme der Weltbevölkerung. Gerade im letzten Punkt verweist er darauf, dass die Menschen auf unserer Erde schon in absehbarer Zukunft Schulter an Schulter stehen werden, wenn hier nicht endlich gegengesteuert wird. Die einzige Chance auf Veränderung sieht Hawking in der Bildung. Nur sie kann zukünftige Generationen mit dem erforderlichen Wissen ausstatten, das eventuell doch noch die Rettung bringt.

Fazit: Natürlich kann Stephen Hawking nicht auf alle Fragen eine befriedigende Antwort liefern. Denn diese Antworten liegen zum Teil einfach noch nicht vor. Es sind noch immer sehr viele Fragen offen, etwa wie die Milchstraße und damit die Erde nun wirklich entstanden sind, wie es zu den unzähligen Zufällen gekommen sein mag, die auf unserem Planeten letztlich Leben entstehen ließen und ob es doch eine Gott gibt, der bei all dem die Hand im Spiel hatte. Aber es gelingt ihm, den Stand der Wissenschaft verständlich darzulegen und zugleich für sein Wissensgebiet zu werben, nicht zuletzt auch, indem er immer wieder auf den bislang größten aller Wissenschaftler und Forscher dieser Welt zu verweisen: Albert Einstein.

Bibliografische Angaben:
Stephen W. Hawking: Kurze Antworten auf große Fragen
Verlag Klett-Cotta, 3. Auflage 2018, 252 Seiten, ISBN 978-3608-9637-62

 

Entscheidungen erleichtern oder doch vorschreiben?

Entscheidungen erleichtern oder doch vorschreiben?
Nudge Teil III: Besprechung des Buches von Thaler und Sunstein „Nudge – Wie man kluge Entscheidungen anstößt

Es ist schon starker Tobak, womit der Wirtschaftswissenschaftler Richard H. Thaler und der Rechtswissenschaftler Cass R. Sunstein 2008 in ihrem Buch „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ die mangelnde Entscheidungsfähigkeit der Menschen begründen. Zumindest werden es die wenigsten Leute glauben wollen, wenn die beiden Autoren behaupten, dass der „normale“ Mensch bei komplexen Sachverhalten, deren Ergebnisse auch noch weit in der Zukunft liegen, überhaupt nicht in der Lage ist, die für ihn beste Entscheidung zu treffen. Darum ist es wichtig, passende Anreize zu setzen, die ihn in die richtige Richtung schubsen. Das Autorenduo erläutert das eindrucksvoll an ökonomischen Entscheidungen, etwa Altersvorsorge, Hypothekendarlehen und Kreditkarten, deren Bedingungen alles andere als leicht zu verstehen und langfristige Auswirkungen kaum vorhersehbar sind. Da hilft auch keine Vielzahl von Optionen. Jedenfalls dann nicht, wenn es sich um Menschen handelt, die leicht zu beeinflussen sind – die Autoren nennen sie „Humans“ -, und die sind im Gegensatz zu den „Econs“, die sich zu nichts zwingen lassen, eindeutig in der Mehrheit. Ein Econ ist der weitsichtige Planer, ein Human dagegen der kurzfristige Macher. Im Alltag geht es nun darum, Strategien zu entwickeln, wie der Planer den Macher in Schach halten kann.

Ursächlich für die Entscheidungsschwäche sind nach Thaler und Sunstein, die sich hierbei auf eine Vielzahl von Untersuchungen und Studien berufen, kurz zusammengefasst drei menschliche Charakterzüge: beschränkte Rationalität, mangelnde Selbstkontrolle und Empfänglichkeit für soziale Einflüsse. Diese drei quasi schon angeborenen Eigenschaften sind – verbunden mit einer gehörigen Portion Gier und Korruption – etwa auch die Ursachen für die Finanzkrise 2008 gewesen, behaupten die Autoren. Thaler und Sunstein führen auf rund 390 Seiten zahlreiche Argumente an, warum der Mensch mit passenden Anreizen in die „richtige“ Richtung geschubst werden muss, das aber offen und ehrlich und unter Beibehaltung einer größtmöglichen Entscheidungsfreiheit. Sie nennen das „libertären Paternalismus“, eine auf den ersten Blick unvereinbare Paarung aus „freier Wille“ und „Bevormundung“. Denn unter Paternalismus versteht man eine Herrschaftsordnung, die auf Autorität gründet. „Libertäre Paternalisten“ hingegen wollen durch passende Anreize dafür sorgen, dass die Menschen länger, gesünder und besser leben. Das halten die Autoren für erforderlich, weil der Mensch in erster Linie träge ist und Entscheidungen gar nicht oder aus dem Bauch heraus trifft. Die Grundlage für diese meist schlechten Entscheidungen sind zum Teil über Generationen weitergereichte Faustregeln. Hinzu kommen neben gewichtigen, sozialen Einflüssen – darunter der berühmte Gruppenzwang – ein unrealistischer Optimismus, die Angst vor Verlust, Gedankenlosigkeit und die Bereitschaft sich verführen zu lassen. Immer und überall will der Mensch gefallen, bloß nicht anecken! Er passt sich lieber der Mehrheit an, auch wenn das für ihn selbst von Nachteil ist.  Deshalb haben Gruppen, die eine Meinung hartnäckig vertreten, eine gehörige Anziehungskraft. Außerdem halten Menschen gerne an einer einmal etablierten Meinung oder Tradition fest, weil sie denken, andere tun das auch. Es ist ihnen wichtig, was andere von ihnen denken und sie passen sich den Erwartungen anderer an. Das aber ist falsch, denn, so behaupten die Autoren, andere widmen einem gar nicht so viel Aufmerksamkeit, wie man selbst annimmt. Für andere ist es beispielsweise ganz und gar nicht interessant, wie wir aussehen. Deshalb, so ihr Fazit, kann man auch ruhig mit einem bekleckerten Hemd aus der Mittagspause kommen, niemand wird es merken.

Soziale Einflüsse wirken sich also besonders stark auf das aus, was wir denken, sagen oder tun! Und genau dieser Umstand kann wunderbar dazu benutzt werden, uns bei unseren Handlungen und Entscheidungen in eine bestimmte Richtung zu schubsen. Grundsätzlich neigen Menschen dazu, sich für die Option zu entscheiden, die am wenigsten Aufwand erfordert. Man geht den einfachsten Weg und hält an ihm fest, auch wenn er sich als unbrauchbar erwiesen hat. Deshalb ist größtmögliche Wahlfreiheit nicht immer oberstes Gebot, vielmehr ist es nützlich, Empfehlungen auszusprechen, insbesondere bei den bereits erwähnten komplexen Situationen. Dieses „Schubsen in die richtige Richtung“ raten Thaler und Sunstein ganz offen auch der Politik, bestehen dabei aber auf Transparenz. Die Maxime bei Nudges jeder Art ist Öffentlichkeit und Respekt als Sicherung gegen Manipulation. Die Autoren geben dabei durchaus zu, dass es Grenzfälle gibt und unterschwelliges Verhalten – wie aus unterschwelliger Werbung wohlbekannt – abzulehnen ist. Solches Verhalten nämlich ist unmöglich zu kontrollieren. “Nudges” – übersetzen wir den Begriff der Einfachheit halber mit “einflussnehmende Maßnahmen” – gibt es sowieso schon lange und überall. Sie können bei komplexen Fragen, die etwa ein spezielles Fachwissen voraussetzen, durchaus helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Dabei dürfen aber Inkompetenz und Eigennutz nicht ins Spiel kommen. Wie dies aber verhindert werden kann, darauf haben Thaler und Sunstein leider keine überzeugende Antwort.

Mein Fazit: Das Buch ist eine hochinteressante Zusammenstellung all der Schwächen, denen wir alle tagtäglich begegnen und gegen die wir uns nicht wehren können, weil wir sie im entscheidenden Augenblick gar nicht bewusst wahrnehmen. Vielleicht können wir uns aber besser gegen ungewollte Beeinflussung – auch und gerade durch Nudges – schützen, wenn wir uns dieser Schwächen stellen. Nicht nur dafür liefert das Buch wertvolle Hilfestellung.

Bibliografische Angaben:
Richard H. Thaler, Cass R. Sunstein: Nudge – Wie man kluge Entscheidungen anstößt
13. Auflage, Ullstein Verlag 2010, 389 Seiten, ISBN 978-3-548-37366-9

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Nudge Teil II: Wie die Bundesregierung “wirksam regieren” will

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Die Projektgruppe “Wirksam regieren” ist im Bundeskanzleramt angesiedelt.

“Wir wollen die Zielgenauigkeit und Wirksamkeit politischer Vorhaben dadurch erhöhen, dass wir politische Vorhaben stärker aus Sicht und mit Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger entwickeln.” So stand es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom Dezember 2013. Zur Umsetzung dieser Vereinbarung unterstützt seit 2015 eine Projektgruppe „Wirksam regieren“ im Bundeskanzleramt Ministerien und Behörden dabei, „Bürgerinnen und Bürger in die Gestaltung und Verbesserung konkreter Vorhaben einzubinden“. Diese Projektgruppe testet – so jedenfalls steht es auf der Website “Wirksam regieren” – bei ausgewählten politischen Vorhaben alternative Gestaltungs- und Umsetzungsmöglichkeiten und das ganz praktisch, unter realistischen Bedingungen und im Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern. (Website “Wirksam regieren”)

Das klingt erst einmal durchaus vernünftig. Was machen Gesetze, Vorschriften, Verwaltungsprozesse oder Formulare auch für einen Sinn, wenn sie am Alltag der Bürgerinnen und Bürger vorbeigehen? Dass dafür eine Projektgruppe eingesetzt wird, die den Willen und die Vorstellung der Bürger erkundet, scheint in diesem Zusammenhang zumindest wünschenswert. Wieso aber für eben diese Projektgruppe Experten mit psychologischem, verhaltensökonomischem beziehungsweise verhaltenswissenschaftlichem Hintergrund eingestellt wurden, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Diese Frage stellte die Bundestagesabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Britta Haßelmann, der Bundesregierung im April 2015 und fügte an: In welcher Weise sollen durch die Tätigkeit der genannten Experten beziehungsweise durch das Projekt “Wirksam regieren” Verhaltensänderungen in der Bevölkerung erzielt (Stichwort: Nudging) und der Deutsche Bundestag in die an die Bürgerinnen und Bürger adressierten Maßnahmen einbezogen werden? ( BT-Drucksache 18/4856). Die schriftliche Antwort kam am 24. April 2015. Staatsminister Dr. Helge Braun nannte das Ziel der Projektgruppe „im Zuge von Ex-ante-Wirksamkeitsanalysen empirische Erkenntnisse für die Beurteilung von alternativen Lösungsansätzen zu gewinnen und damit die Wirksamkeit politischer Maßnahmen zu erhöhen“. In erster Linie sollten Beratung, Aufklärung und Information gestärkt und öffentliche Dienstleistungen aus der Nutzerperspektive verbessert und vereinfacht werden. Die Nutzung wissenschaftlicher Expertise zur Erstellung von Gesetzen, Verordnungen, Normen und Anreizen sei gängige Praxis.

Alles ganz normal und unbedenklich? Tatsächlich übernimmt die Regierung Merkel damit etwas, was beispielsweise in Amerika und Großbritannien längst zum Alltag gehört: Das sogenannte “Nudging”, der berühmte Schubs in die richtige Richtung, wobei nicht definiert wird, was genau die richtige Richtung ist und ob das von jedem so „Angeschubsten“ gleichermaßen gewünscht wird. Kritiker sehen deshalb im “Nudging” eine Art Gängelei, bei der der Staat den Bürger elegant und ohne dass die Betroffenen davon etwas merken müssen, manipulieren und bevormunden kann.

Was ist Nudging denn nun? Eine besonders kluge Art, politische Ziele zu erreichen oder doch nur Manipulation? Was wissen die Bundestagesabgeordneten darüber? „besser klartext.de“ fragte nach bei den Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises Ludwigshafen, Frankenthal, Rhein-Platz-Kreis Torbjörn Kartes (CDU) und Doris Barnett (SPD).

CDU-Bundestagesabgeordneter Torbjörn Kartes (Foto: Privat)

1. Wissen Sie von der Expertengruppe? Was ist Ihre Meinung dazu?

Torbjörn Kartes: Ja, ich weiß von der Projektgruppe „Wirksam regieren“. Und ich halte es grundsätzlich für eine sinnvolle Idee, politische Maßnahmen und Regelungen auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. Daraus kann man ableiten, was man in Zukunft anders machen kann, um noch mehr Menschen zu erreichen.

2. Welche Aufgaben genau hat diese Expertengruppe denn nun?

Torbjörn Kartes: Die Projektgruppe hat die Aufgabe, zu analysieren, wie der Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger von politischen Maßnahmen erhöht werden kann. Es geht dabei um Fragen, wie politische Ziele durch ihre konkrete Ausgestaltung am besten verwirklicht, wie ihre Sichtbarkeit erhöht oder die betreffenden Zielgruppen passgenauer angesprochen werden können. Ein Blick in den Koalitionsvertrag von 2013 lohnt sich: Die Regierung will die Wirksamkeit ihres Handelns steigern, also effizienter machen. Konkret ist davon die Rede, „die Kompetenzen und Kapazitäten der strategischen Vorausschau“ zu steigern. Dazu sollen Wirkungsanalysen und Evaluationen bestehender Gesetze genutzt werden. Vorhaben sollen „aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger“ und unter ihrer Beteiligung entwickelt werden. „Nudging“ ist deswegen in diesem Zusammenhang auch ein irreführender Begriff. Nehmen wir das Beispiel Förderprogramme: Hier werden Aspekte wie die Art, Dauer und Förderhöhe, aber auch die Sichtbarkeit von solchen Programmen untersucht. Es geht darum, welche Hürden es gibt, wenn die Politik mit einer bestimmten Maßnahme die Menschen erreichen will, und wie man sie umgehen kann. Es geht nicht darum, die Menschen zu einem gewissen Verhalten zu bewegen. Sie sollen vielmehr dazu befähigt werden, informierte Entscheidungen zu treffen.

3. Welche Erkenntnisse wurden bislang gewonnen, welche alternativen Lösungssätze gefunden?

Torbjörn Kartes: Die Projektgruppe verfolgt das Ziel, die Wirksamkeit politischer Maßnahmen zu erhöhen. Dafür müssen Maßnahmen mehr vom Bürger her gedacht werden. Deswegen werden Bürgerinnen und Bürger auch aktiv in die Arbeitsprozesse der Gruppe eingebunden. Am Anfang steht die Frage, ob auch wirklich alle Betroffenen von einer bestimmten Maßnahme profitieren. Dafür werden Verbraucher und Nutzer – eben die Bürgerinnen und Bürger – befragt. Wie nehmen sie die Maßnahme wahr, wie verständlich sind die Informationen, wie groß die Unterstützung auf Seiten der Behörden, was kann aus ihrer Sicht verbessert werden? Die Erkenntnisse werden von den Ministerien in ihrer Arbeit aufgenommen und bei der Entscheidungsfindung über die Umsetzung politischer Ziele berücksichtigt. Letztlich werden Informationen dadurch verständlicher, unnötig sperrige bürokratische Abläufe können schlanker gestaltet und somit Steuergelder gespart werden. Die Arbeitsweise der Projektgruppe wird auf den Internetseiten der Bundesregierung detailliert dargestellt. Sie möchten ein konkretes Beispiel der Arbeit der Projektgruppe? Erhöhung der Impfquote gegen Masern! Die Krankheit wird oft unterschätzt, die Impfquote ist gerade bei jüngeren Erwachsenen niedrig. In Zusammenarbeit mit dem Bundesgesundheitsministerium prüft die Projektgruppe alternative Zugänge zu Erwachsenen, wie auffällige Informationsbriefe zum Versand an die Versicherten, die Bereitstellung von Infomaterialien bei Hausärzten oder die direkte Ansprache beim Hausarztbesuch. Zur Förderung nachhaltigen Konsums diskutiert das Bundesumweltministerium zudem die Einführung eines Lebensdauerlabels für Elektrogeräte. „Wirksam regieren hat mit dem Ministerium daher eine Studie durchgeführt, in der die Situation in einem Online-Shop simuliert wurde. Das Ergebnis: Produkte mit längerer Lebensdauer wurden eher gekauft, wenn sie den gleichen Preis haben. Allerdings haben Verbraucherinnen und Verbraucher sich nicht unbedingt aufgrund einer höheren Lebensdauer für teurere Produkte entschieden. Wenn jedoch die jährlichen Gesamtkosten ebenfalls auf dem Label ausgewiesen wurden, wurde die Produktlebensdauer bei der Kaufentscheidung häufiger berücksichtigt.

4. Wie wird sichergestellt, dass diese Erkenntnisse nicht doch manipulativ eingesetzt werden?

Torbjörn Kartes: Wie gesagt: Es geht darum, politische Maßnahmen effizienter, verständlicher – einfach bürgernäher – zu gestalten.

5. Was hat der Einsatz der Expertengruppe bisher gekostet?

Torbjörn Kartes: Nach meinem Kenntnisstand beschränkt sich der Einsatz der Projektgruppe im Wesentlichen auf Personalkosten von 3,5 Planstellen. Ansonsten fallen zusätzlich projektbezogene Kosten an, die von den einzelnen Ressorts getragen werden.

 

SPD-Bundestagesabgeordnete Doris Barnett (Foto: Privat)

Doris Barnett hat die Fragen dem Bundeskanzleramt (Referat 612 – wirksam regieren / Abteilung 6 Politische Planung, Innovation und Digitalpolitik, Strategische IT-Steuerung) vorgelegt und folgende Antwort erhalten: „Zur Beantwortung der Fragen 1-3 verweisen wir auf unsere Webseite www.bundesregierung.de/wirksam-regieren, dort sind unsere Aufgaben sowie unsere konkreten Projekte im Detail beschrieben. Ebenso sind dort umfangreiche Berichte zu unseren abgeschlossenen Projekten abrufbar. Zur Frage 4 ist ebenfalls die Webseite zentral: Der Gefahr der Manipulation begegnen wir dadurch, dass wir bei unserer Arbeit in allen Belangen Transparenz herstellen. Sowohl die Themen unserer Projekte als auch das methodische Vorgehen sind offen zugänglich auf der Webseite dokumentiert und dadurch jederzeit nachvollziehbar. Zu Frage 5 bezüglich der Kosten können wir insofern keine Auskunft geben, als die Budgetverantwortung für die Projekte bei den durchführenden Ressorts liegt. Im Referat 612 – wirksam regieren selbst sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine projektspezifischen Kosten angefallen.“

Ergänzend schreibt Doris Barnett: “Bereits 2012 hat die SPD mit ihren verbraucherpolitischen Leitlinien beschlossen, die Erkenntnisse der Verbraucherverhaltensforschung zu nutzen, um wirksame verbraucherpolitische Maßnahmen zu entwickeln. Nudging als verhaltensbasierter Ansatz kann in bestimmten Problemkonstellationen eine gesetzliche Regelung wie Verbot, Steuer oder Gebot überflüssig machen. Laut Umfragen (zum Beispiel der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf in Zusammenarbeit mit dem Münster-Research-Institute aus Dezember 2016*) fühlen sich Verbraucher durch informations- und verhaltensbasierte Ansätze wesentlich weniger bevormundet als durch gesetzliche Maßnahmen. Im Hinblick auf politische Legitimität und auf gesellschaftliche Akzeptanz ist zu beachten, dass Nudges per Definition IMMER transparent und IMMER mit einer abweichenden Entscheidungsmöglichkeit für den Verbraucher eingesetzt werden müssen. Nudges sind immer fallspezifisch: Evidenzbasiert muss entschieden werden, ob eine Steuer, ein Gesetz, eine Infokampagne, ein neues Schulfach oder eben ein Nudge eingesetzt werden soll.”

* Die Studie “Das solltest du essen – Orientierung versus Bevormundung”, die der Verein “Die Lebensmittelwirtschaft”  in Kooperation mit Professor Dr. Peter
Kenning von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf durchgeführt hat, bietet eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme, ob und wie stark Verbraucher in Deutschland derzeit eine Bevormundung empfinden . 1000 Befragte haben im August 2016 für die erste deutschlandweite Studie zum Thema „Bevormundung“ Rede und
Antwort gestanden. Die vollständige Ergebnispräsentation und den Fragebogen zu dieser Studie zum Download gibt es hier: Studie

Weitere Artikel zum Thema “Nudging”:

Nudge Teil I: Nur ein Schubs in die richtige Richtung? hier

Nudge Teil III: Ausführliche Besprechung des Buches von Richard Thaler und Cass Sunstein: Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt hier

 

Nudge Teil I: Nur ein Schubs in die richtige Richtung?

Nudge Teil I: Nur ein Schubs in die richtige Richtung?

In Großbritannien bekommen die Bürger Post vom Finanzamt mit dem zwar freundlich formulierten, aber nicht unbedingt so freundlich gemeinten Hinweis, dass die Anwohner in der Nachbarschaft allesamt zuverlässig und pünktlich ihre Steuern bezahlen! Das macht ein schlechtes Gewissen und genau das soll es auch. Wer will schon schlechter dastehen als sein Nachbar? Und die Steuerbehörde muss gewiss nicht fürchten, dass sich die Bürger im betreffenden Wohngebiet darüber austauschen. Wer würde einen solchen Brief wohl vorzeigen? Nein, der kleine Schwindel fliegt nicht auf und die Steuerbehörde erreicht was sie will: Pünktliche Steuereingänge. Natürlich nennt das niemand „Lüge“ oder „Trick“ oder verweist in diesem Zusammenhang gar auf den unverblümten Einsatz von verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen, die nämlich diese Taktik von der reinen Wirtschafts- längst auch auf die Politik- und Verwaltungsebene befördert haben. Man nennt es „Anstupsen“, den Bürgern einen kleinen Schubs in die richtige Richtung geben, im Englischen wird dafür der Begriff „Nudging“ gebraucht.

Dass „Nudging“ nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im Alltag und nicht zuletzt in der Politik funktioniert, haben der Wirtschaftswissenschaftler Richard H. Thaler und der Rechtswissenschaftler Cass R. Sunstein 2008 in ihrem Buch „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ beschrieben. Thaler gilt als der führende Verhaltensökonom und wurde 2017 mit dem Nobel-Preis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Und wie kommen nun die britischen Steuerbehörden dazu, einen solchen „Nudge“ einzusetzen? Die Regierung Großbritanniens machte sich kurzerhand die Erkenntnisse Thalers und Sunsteins zunutze und gründete 2010 das „Behavioural Insights Team“, besser bekannt als “Nudge Unit”, also eine „Einheit für Einsichten in das menschliche Verhalten“, die die freundlichen, aber manipulativen Zeilen für die Finanzbehörden ersann. Die Unit wurde später teilprivatisiert und berät heute Regierungen in aller Welt.

„Nudging“, das Anstoßen von Entscheidungen in die gewünschte Richtung, ist in vielen Ländern der Erde längst eine Selbstverständlichkeit. Auch in Deutschland hat die Methode Einzug in die Regierungsarbeit gehalten. 2015 wurde im Bundeskanzleramt – öffentlich kaum  beachtet – eine Arbeitsgruppe “Wirksam regieren” etabliert. Die dafür gesuchten drei Bewerber sollten unter anderem über hervorragende psychologische und verhaltenswissenschaftliche Kenntnisse verfügen. Wofür? Will die Bundesregierung jetzt auch nach Mitteln und Wegen suchen, wie sie die Bevölkerung auf sanfte, möglichst unmerkliche Art dazu bringen kann, das „Richtige“ zu tun? Wer legt fest, was das Richtige für wen ist? Wer garantiert den Bürgern, dass aus dem Anstupser nicht handfeste Manipulation wird?

Die Thesen von Thaler und Sunstein basieren auf der Annahme, dass jedes menschliche Wesen fehlerhaft ist und ganz und gar nicht immer das Richtige tut. Entscheidungen fällt der Mensch meist aus dem Bauch heraus und begründet sie im Nachgang gerne mit vielfach erprobten Faustregeln. Dabei erliegt er aber allgegenwärtigen Verführungen und nicht zuletzt der ureigenen Bequemlichkeit, man könnte auch Trägheit sagen. Thaler und Sunstein nennen das den Kampf zwischen dem weitsichtigen Planer und dem kurzsichtigen Macher in jedem von uns. Die Autoren belegen mit einer Vielzahl von Studien und anschaulichen Tests wie leicht der Mensch zu manipulieren ist. Jeder kennt beispielsweise das „Abo-Phänomen“. Das kostenlose Probeabo führt zu lebenslänglichem Bezug, weil man einfach zu faul ist, es zu kündigen. Die Menschen rauchen, obwohl sie genau wissen, wie schädlich das für die Gesundheit ist und von der Verführung durch Essen und dem damit verbundenen gesundheitsgefährdenden Übergewicht ganz zu schweigen. Nudging soll helfen, klügere Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel indem man Übergewichtigen einen kleineren Teller vorsetzt, der weitsichtige Planer, der gerne abnehmen möchte, hält den kurzsichtigen Macher, der nicht aufs Essen verzichten kann, mit diesem Trick – man könnte auch “Nudge” sagen – in Schach.

Wie einfach der Mensch zu beeinflussen ist, beweist allein schon ein Besuch im Supermarkt. Die Entscheidung, was eingekauft wird, hängt im Wesentlichen von der Präsentation ab. Jeder weiß inzwischen, dass billigere, qualitativ aber genauso gute Waren ganz weit unten oder hoch oben im Regal zu “suchen” sind – finden soll man sie ja möglichst gar nicht. Obst und Gemüse wirken durch entsprechende Beleuchtung frischer als sie sind und große Verpackungen täuschen viel Inhalt vor. Kleine aber feine Tricks, die der Lebensmittelindustrie seit Jahrzehnten zuverlässig Milliarden in die Kassen spülen. Obwohl der Verbraucher immer wieder darüber informiert wird, lässt er sich ein ums andere Mal zu falschen Kauf-“Entscheidungen” verführen.

Natürlich wecken solche Erkenntnisse auch politische Begehrlichkeiten. Was spricht dagegen, den Bürger mit sanften Schubsern dazu zu bringen, Energie zu sparen, fürs Alter vorzusorgen, mit dem Rauchen aufzuhören, sich gesünder zu ernähren oder eben pünktlich seine Steuern zu zahlen. Kleine Tricks statt harter Ge- und Verbote! Klingt doch erst einmal gut. Kritiker aber sehen im Nudging eine Form der Bevormundung. Der Staat kann seine Bürger mittels Nudging manipulieren, ganz ohne demokratische Kontrolle. Wer sollte ihn daran hindern, sich Bürger nach seiner Vorstellung zu formen?

Wie schon heute Verhaltenspsychologie auch bei uns in der Politik eingesetzt wird, zeigt der jüngste Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn aus der Freiwilligkeit der Organspende eine Pflicht zu machen. Bislang muss jeder Deutsche seine Bereitschaft zur Organspende erklären. Tut er das nicht, lehnt er sie automatisch ab. Jetzt wird an die Umkehr der bisherigen Praxis gedacht, die einfach auf die menschliche Trägheit setzt: Jeder ist Organspender, es sei denn, er widerspricht ausdrücklich. Da haben wir es, das „Abo-Phänomen“, auf das der Bundesgesundheitsminister hier spekuliert: Der Widerspruch bleibt Vorsatz, die Umsetzung lässt auf sich warten, im besten Fall bis zum Nimmerleinstag. Und nur so ist es gewollt! Die britischen Finanzbehörden machen sich übrigens die verhaltenwissenschaftliche Erkenntnis zu nutzen, dass der Einzelne dazu neigt, sich in Ansichten und Verhaltensweisen den Menschen in seiner Umgebung anzupassen. Selbst wenn er erkennt, dass die Gruppe sich irrt, unterwirft er sich lieber dem Gruppenzwang als anzuecken. Auch das erläutern Thaler und Sunstein in ihrem Buch ausführlich. Ein lesenswertes Buch für alle, die sich nicht länger ohne Gegenwehr den fortgesetzten Manipulationen von Wirtschaft, Politik und Umwelt aussetzen wollen.  /sis

 

 

 

Nudge Teil II: Wie die Bundesregierung “wirksam regieren” will. “besser-klartext.de” sprach darüber mit Bundestagsabgeordneten der Regierungsparteien CDU und SPD. hier

 

 

 

 

 

Nudge Teil III: Ausführliche Besprechung des Buches von Richard Thaler und Cass Sunstein: Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt hier

Probleme benennen, statt sie schönzureden

Probleme benennen, statt sie schönzureden
Rezension Christian Ude: Die Alternative oder: Macht endlich Politik!

Das Gespenst der „Alternativlosigkeit“ geht um in Deutschland und das nicht zum ersten Mal. In den 1960er Jahren gab es schon einmal einen Bundeskanzler, der als alternativlos galt: Konrad Adenauer. Einer, der es wissen muss und die Zeit aus eigener politischer Erfahrung gut kennt, ist der ehemalige Oberbürgermeister von München Christian Ude – seit über 50 Jahren SPD-Mitglied und heute als „Ruheständler“ geradezu prädestiniert, um den „Herrschenden“ den Marsch zu blasen. Das tut er in seinem im März 2017 erschienenen Buch „Die Alternative oder: Macht endlich Politik“. Allein schon der Titel führt zu zustimmendem Kopfnicken in allen Teilen der Bevölkerung. Nie war der aus der vermeintlichen Alternativlosigkeit resultierende Stillstand so schmerzhaft spürbar wie gerade heute in einer international und national unruhigen Zeit. Christian Ude findet deutliche Worte für Probleme der jüngsten Vergangenheit und spart nicht mit Kritik auch an der SPD, die sich gerade den Opfern ihrer eigenen Politik eng verbunden fühlt und nach Gerechtigkeit lechzt. Flüchtlingskrise, Griechenlandkrise, EU und Türkei, keinen Aspekt lässt Ude aus und er zeigt Alternativen auf. Alternativen, die auch die Regierenden durchaus hätten finden können, wenn sie denn den Mut gehabt hätten, die Probleme klar zu benennen, statt sie schönzureden oder gar totzuschweigen.

Mit der Weisheit der Erfahrung ruft Christian Ude dazu auf, nicht in Frust und Ratlosigkeit zu versinken, sondern Politik zu machen, geht es doch um nichts geringeres als unsere Zukunft. Er rät dazu, das Grundgesetz mit allen Grundrechten und die Rechtsstaatlichkeit als Basis zu wahren und zu verteidigen. Ein “weiter so wie bisher” mit Diätenerhöhungen, Nebenverdiensten und gebrochenen Wahlversprechen, mit Spendenskandalen, Versorgungsprivilegien und Aufblähen des politischen Apparats dürfe es nicht geben. Mit Blick auf das Erstarken der Rechten spricht Ude von einer Bewährungszeit, die die etablierten Parteien erhalten hätten. Jetzt gehe es darum, die Menschen wirklich ernst zu nehmen. Deregulierungswahn, Privatisierung als vorhersehbares Risiko für die Entfesselung der Finanzindustrie und viele Fehlprognosen hätten das Vertrauen der Wähler gekosten. Es sei an der Zeit vom hohen Ross der Allwissenheit herunterzusteigen, um Vertrauen und Kompetenzzuweisung zurückzuerlangen. Moralische Selbsterhöhung jedenfalls sei der falsche Weg.

Insbesondere fehlende Grundsatzdebatten als Folge der Alternativlosigkeit prangert Ude an und erinnert an den Schlagabtausch zwischen Willy Brandt und Franz-Josef Strauß. „Da war das Parlament noch die Bühne der Nation“, schwärmt Ude und wünscht sich genau diesen Austragungsort politischer Kontroversen zurück. Er will politische Themen nicht länger nur in den Talkshows platt gewalzt sehen. „Statt in Selbstzufriedenheit zu baden, sich moralisch überlegen zu fühlen oder die Lage mit grandiosen Verheißungen schönzureden, sollten alle politisch Verantwortlichen die zentralen Probleme wirklich benennen“, fordert Ude. Echte Alternativen aufzuzeigen sei das Gebot der Stunde, „damit der Bürger wieder ein Wahlrecht hat – zwischen verschiedenen Richtungen und nicht nur zwischen den verschiedenen Logos, Slogans oder Gesichtern.“ Vor einer wichtigen Entscheidung müsse wieder politische Öffentlichkeit hergestellt werden, damit der Bürger nicht nur Fertigprodukte „der EU-Erweiterung, der Bundeswehreinsätze, der Bankenrettung, der Milliardenhilfe oder internationaler Sanktionen in den Medien serviert“ bekomme, sondern solche Aktionen als Ergebnis eines öffentlichen Diskurses erlebe. Und er ruft dazu auf, zu differenzieren, um nicht in „Schwarz-Weiß-Klischees mit zunehmendem Giftgehalt und Hasseffekten“ zu verfallen.

Mein Fazit: Eine lesenswerte Zusammenfassung der derzeitigen Lage in und um Deutschland mit zahlreichen  Denkanstößen und nicht zuletzt einem eindringlichen Appell an den „Souverän“ – das Volk – nicht nur auf Besserung zu warten, sondern sich wieder einzumischen, denn was er als Politik bekommt, ist das, was er sich ausgesucht hat! /sis

Bibliographische Angaben:
Christian Ude: Die Alternative oder: Macht endlich Politik
Albrecht Knaus Verlag, 2017, 240 Seiten
ISBN 978-3813507744

Nicht Problemlösung steht im Mittelpunkt, sondern Imagepflege

Nicht Problemlösung steht im Mittelpunkt, sondern Imagepflege
Die etwas andere Rezension von Robin Alexanders Buch „Die Getriebenen“

Es ist schon eine Weile her, dass das Buch von Welt-Journalist Robin Alexander die Schlagzeilen beherrschte. Ganz unterschiedliche Rezensionen erschienen im Nachgang, die einen lobten die journalistisch saubere Berichterstattung über die Ereignisse rund um die Flüchtlingskrise, die anderen kritisierten die angeblich unverhohlene Wut des Autors auf die Kanzlerin. Grund genug, das Buch selbst zu lesen.

Wie erwartet handelt es sich um eine minutiöse Auflistungen der Ereignisse von September 2015 bis zum Abschluss des sogenannten Türkei-Deals im März 2016, sachlich wie eine wissenschaftliche Analyse und doch hochspannend wie ein Politthriller, der auch vor den menschlichen Eitelkeiten der Großen und Mächtigen dieser Welt nicht Halt macht. Kern der Geschichte ist Bundeskanzlerin Angela Merkels Grenzöffnung im Alleingang im September 2015 und ihre anschließende Behauptung, man könne heutzutage eine Grenze nicht mehr schließen. Um diese Behauptung zu stützen und gegen die Bemühungen des damaligen österreichischen Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres, Sebastian Kurz, die Balkanroute und damit die Grenze zu Mazedonien eben doch schließen zu können, zu verteidigen, ging Merkel sogar den berühmten Pakt mit der Türkei in einer Nacht- und Nebelaktion ein, wiederum unter Ausschluss sämtlicher parlamentarischer Gepflogenheiten. Wie sehr sie mit ihrer Argumentation den deutschen Sicherheitsbehörden vor den Kopf gestoßen hat, wie sie sich von den damaligen Akteuren, Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann, Sebastian Kurz und dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu, hat vorführen lassen, wie parteiintern um sie und ihre ambivalenten Vorstellungen auch mit dem Vorsitzenden der Schwesterpartei gerungen wurde, das erzählt Robin Alexander bis ins Detail. Da der Autor ein renommierter Journalist ist, kann per se davon ausgegangen werden, dass die Fakten akribisch recherchiert wurden und schlicht den Tatsachen entsprechen. Schließlich kommt auch Medienschelte nicht zu kurz, war es doch die vereinigte Presse, die den Einzug tausender Flüchtlinge unisono bejubelt und sie nicht nur als Rettung vor der deutschen Überalterung gepriesen hatte. Sie lieferten fast ausschließlich rührende Bilder von Familien mit niedlichen kleinen Kindern und verschwiegen, dass überwiegend nur junge Männer gekommen waren, die wenigsten davon so gebildet, wie es sich die deutschen Konzernlenker gerne öffentlich erträumten.

Von Wut ist auf den knapp 300 Seiten aber dennoch nichts zu spüren, Sachlichkeit herrscht vor in den Beschreibungen des Politalltags, der offenbar weniger davon geprägt wird, was gut für das Land, sondern wohl eher für das Image des jeweiligen Politikers ist. Im Vordergrund steht dabei die Frage, welche Bilder könnten bei öffentlichen Auftritten entstehen und wie wirken sie auf den Betrachter? Und es geht um die Deutungshoheit, da ist jeder Politiker penibel darauf bedacht, keinen Millimeter Meinungsraum preiszugeben.

Mein Fazit: Jeder sollte das Buch selbst lesen, der in Sachen „Flüchtlingskrise“ mitreden möchte, denn die Hintergründe, die uns 2015 und 2016 bewusst verschwiegen wurden, wissen selbst den gut informierten Bürger noch zu überraschen. /sis

Bibliographische Angaben:
Robin Alexander: Die Getriebenen. Merkel und die Flüchtlingspolitik: Report aus dem Innern der Macht,
Siedler Verlag 2017, 288 Seiten, ISBN 978-3-8275-0093-9

Overtourism? – Ein Hauch von Ahnung!

Overtourism? – Ein Hauch von Ahnung!
Hektik am Hamburger Hauptbahnhof.

Samstagmittag in den Sommerferien am Hamburger Hauptbahnhof. Ein Meer von Menschen rauscht durch die riesige Halle, hetzt zum Wechseln der Gleise die Treppen nach oben und unten. Auf den Gleisen verfehlen Rucksäcke um Haaresbreite die Köpfe Wartender, dafür krachen Rollkoffer ungebremst in die Fersen der nebenstehenden Mitreisenden. Hektik. Wo muss man hin, von welchem Gleis fährt der Zug? Die Durchsagen gehen unter im Getöse der ein- und ausfahrenden Züge, im von der hohen Decke widerhallenden Stimmengewirr babylonischen Ausmaßes. Richtig verstanden? Das Abfahrtgleis wurde geändert? Fragezeichen in den Gesichtern der Umstehenden. Einer kann die Aufmerksamkeit eines uniformierten Bahnmitarbeiters erzwingen. Der winkt ab, weiß von nichts. Dann ruft jemand aus der Tiefe der Menge: Falsches Gleis! Alle rennen los, wieder kommen Rucksäcke und Rollkoffer gefährlich nahe. Und dann bringt einer zum Ausdruck, was alle denken: Nie wieder in den Ferien am Wochenende verreisen! Umsteigen in der Ferienzeit an einem wirklich chaotischen Bahnhof wie in Hamburg gibt einem aber auch einen Hauch von Ahnung, was Massentourismus bedeutet, für die Reisenden und die Einheimischen.

 

Sehenswürdigkeiten nur noch aus der zweiten Reihe.

Die Bilder kennt inzwischen jeder: Sehenswürdigkeiten, an die man nicht mehr herankommt, Gänsemarsch auf den Straßen, Strände, an denen die Gäste wie Ölsardinen aufgereiht liegen – „Overtourism“ ist seit einiger Zeit in aller Munde. Die Reisebranche spielt die damit einhergehenden Probleme gerne herunter, bietet die ein oder andere Verlegenheitslösung, aber Abhilfe schaffen will sie nicht wirklich. Schließlich brachten die 1,32 Milliarden (!) Touristen, die 2017 die Hotspots dieser Welt besuchten, ein sattes Umsatzplus. Dabei sind es nicht nur die regulären Ferienzeiten, die für Massenandrang sorgen, sondern Billig-Flieger bringen die Touristenflut inzwischen an jedem freien Tag im Jahr nach Venedig, Amsterdam oder Barcelona. Und in Dubrovnik sind 12.000 Passagiere von Kreuzfahrtschiffen gleichzeitig auf Landgang. Die Folge: Venedig (30 Millionen Besucher im Jahr) sperrt die Sehenswürdigkeiten ab und lässt nur noch eine bestimmte Menge Menschen zur selben Zeit auf Rialto-Brücke oder Markusplatz. Amsterdam (20 Millionen Besucher im Jahr) lässt nur noch Gäste mit Städteführer an die Grachten. Gleichzeitig greift man hart durch bei der Vermietungserlaubnis von Privatwohnungen, sie wird drastisch eingeschränkt. Ähnlich versucht sich Barcelona (17 Millionen Besucher pro Jahr) gegen die Touristenschwemme zu wehren. Und sie müssen sich wehren, nicht nur gegen volle Straßen und Plätze: Die Einheimischen können sich Wohnungen in den besonders begehrten Städten nicht mehr leisten, die Geschäfte zur Versorgung der Bevölkerung werden zu Souvenirshops, Restaurants und Bars umfunktioniert, die Bürger stehen auf dem Weg zur Arbeit im Stau zwischen den Mietautos der Touristen. Dazu kommen der erhöhte Energie- und Wasserverbrauch, ausgerechnet da, wo Wasser ohnehin knapp ist, und aberwitzige Berge von Müll, die die Touristen hinterlassen. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, die vielen kleinen Ärgernisse in Form von menschlichen Hinterlassenschaften in Gärten und Parks, will man gar nicht ansprechen. Kein Wunder also, dass Urlauber nicht mehr immer und überall willkommen sind.

Wie die Ölsardinen in der Dose fühlt man sich an einem derart überlaufenen Strand.

Für die Tourismusbranche, Hotels und Vermittler von Privatunterkünften sind das unvermeidbare Kollateralschäden. Schließlich bringen die Touristen Geld und Arbeit! Und sie denken allenfalls darüber nach, Foren im Internet einzurichten, auf denen man freie Zeiten an Sehenswürdigkeiten buchen kann! Terminplaner auch im Urlaub? Wer will das schon? Eine andere Lösung sehen sie im “Entzerren”, aber nicht etwa, indem man die Besucherströme beschränkt und lenkt, sondern indem man sie zu anderen Sehenswürdigkeiten umleitet, frei nach dem Motto: die Kirche neben der berühmten Kathedrale ist doch auch ganz nett! Augenwischerei ist das – und Besserung nicht in Sicht.

Dabei ist die Lösung dieses dringenden Problems ganz einfach: Weniger ist mehr! Qualität statt Masse. Man muss nicht am Wochenende nach Barcelona jetten und man muss auch nicht jedes Jahr in Urlaub fahren – oder doch zumindest nicht dahin, wo alle hinfahren. Es gibt alternative Reiseziele, die es zu entdecken gilt und die ja nicht zwangsläufig über den Hamburger Hauptbahnhof an einem Feriensamstag führen müssen. /sis

Keine Rolle rückwärts bei der Emanzipation

Keine Rolle rückwärts bei der Emanzipation
Nicht verhandelbar von Julia Kloeckner

„Nicht verhandelbar“ sind für die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Julia Klöckner die Frauenrechte in Deutschland. Welche Rechte sie durch die Zuwanderung hauptsächlich junger Männer aus patriarchalischen Ländern nachhaltig in Gefahr sieht, arbeitet sie in ihrem Buch „Nicht verhandelbar. Integration nur mit Frauenrechten“ detailliert und gut nachvollziehbar heraus.

Tatsächlich scheint die Stunde der Kritiker gekommen, wie sonst kann es sein, dass eine Frontfrau deutscher Politik jetzt offen Missstände in der Integration ansprechen kann, wofür der einfache Bürger bislang umgehend mit der rechten Keule mundtot geprügelt wurde? Ohne die sonst so beschämenden Versuche, Dinge schön oder gar weg reden zu wollen, erkennt hier eine prominente deutsche Politikerin die Rolle rückwärts, die das ständige Nachgeben gegenüber den Forderungen des Islam für die Frauenrechte in Deutschland bedeutet. Jeder Kompromiss sei ein Einknicken, das nicht etwa mit Dialogbereitschaft, sondern mit dem nächsten Versuch, die Grenzen noch weiter hinauszuschieben, beantwortet werde. Aus Rücksicht auf den Islam falle man modernen Muslimas damit in den Rücken, die einfach nur die Rechte in Anspruch nehmen wollten, die deutschen Frauen ganz selbstverständlich zustünden. Sonst werde immer schnell „Sexismus“ gerufen, nur nicht bei der Unterdrückung ausländischer Frauen in Deutschland. Da werde Rücksicht genommen auf die religiösen Ansichten ihrer Männer, für die Julia Klöckner aber an anderer Stelle ihres Buches durchaus Verständnis zeigt: Zugewanderte Männer hätten alles verloren und sollten nun in Deutschland angekommen, auch noch die Gewalt über ihre Frauen verlieren.   

Julia Klöckner verlangt eine fundierte Analyse der Zuwanderung gerade auch mit Blick auf die Frauenrechte. Ein Staat, der das frauenfeindliche Verhalten junger Männer einfach hinnehme, sei nicht tolerant, sondern ignorant. Grabschergruppen, Verschleierung und Kinderehen seien ein absolutes “No-Go” genauso wie das Fernhalten von Mädchen von Schwimmunterricht und Klassenfahrten. Unsere Gesetze müssten eingehalten werden, ohne Wenn und Aber und religiöse Gesetze müssten hinter weltliche Gesetze zurücktreten. Die Neuankömmlinge müssten sich anpassen, nicht die Einheimischen, so ihr Fazit.

Mein Resümee: Eine durchaus lesenswerte Zusammenfassung der derzeitigen Situation in Deutschland mit einigen vielversprechenden Ansätzen, aber auch vielen Vorschlägen, die wir schon viel zu oft gehört haben, ohne dass sie auch nur ansatzweise umgesetzt worden wären: Verpflichtende Sprachkurse mit Erfolgsmessungen und Sanktionen als Folge von Nachlässigkeiten oder Abbruch, schnelle Strafen für Vergehen, Auswirkungen auf den Asylstatus bei Fehlverhalten. Julia Klöckner sieht das Heil der Integration in den Frauen selbst. Wenn es gelänge, sie etwa in Jobs zu vermitteln, wäre es leichter, sie dazu zu bringen, ihre Rechte, von denen sie ja nicht einmal wissen, dass es sie gibt, auch einzufordern. Doch wie will sie an diese Frauen herankommen, die bekanntlich ohne Begleitung männlicher Verwandter die Wohnung nicht verlassen dürfen? Wie sie informieren und überzeugen, wenn schon ganz junge Mädchen rigoros abgeschottet werden? Solange es nicht gelingt, diese Mädchen und Frauen am deutschen Alltag in all seinen Facetten teilhaben zu lassen und sie weiter den frauenfeindlichen Ansichten ihrer Männer und religiösen Führer ausgesetzt sind, wird sich definitiv nichts ändern. Da helfen dann auch die neuerdings modisch-stylischen Kopftücher nicht weiter! /sis

Bibliografischen Angaben:

Julia Klöckner
Nicht verhandelbar. Integration nur mit Frauenrechten.
Gütersloher Verlagshaus, 2018, gebundene Ausgabe, 176 Seiten, 18 Euro
ISBN-13 078-3579087122
Das Honorar spendet Julia Klöckner einer Frauenorganisation.

 

Mit Feigheit möglichst unbehelligt durchs Leben gehen!

Mit Feigheit möglichst unbehelligt durchs Leben gehen!

Es sind schon einige skurrile Tatbestände, die der bekannte Journalist und TV-Moderator in seinem neuesten Buch „Schluss mit euren ewigen Mogelpackungen. Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen“ auflistet. Von drei Bundestagsabgeordneten ist da die Rede, deren Amtszeit genau eine Woche betrug und für die der Steuerzahler runde 36.000 Euro berappen musste. Ein Bürgermeister wird zitiert, der auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise gesagt haben soll: „Jesus konnte die Zehntausend speisen, meine Gemeinde kann das nicht“. Der Kirchentag wird angeprangert, für den ein genderüberarbeitetes Liederbuch hermusste, das Kirchenlieder, die über Jahrhunderte Menschen in Krisensituationen Trost und Zuversicht gespendet haben, jetzt der Lächerlichkeit preisgibt. Peter Hahne sucht und findet in jeder Ecke unsere Landes Mogelpackungen, von kleinen Schummeleien bis hin zu den ganz großen Unwahrheiten, mit denen uns hauptsächlich Politik und Kirche hinters Licht zu führen sucht. Das beginnt bei der Flüchtlingskrise, in der Kritiker schlicht „einpacken“ konnten, führt über den Genderwahn, der aus so mancher gewachsenen Tradition und der einst so positiven Gleichstellung der Geschlechter einen schlechten Witz macht, schaut in die Gerichte, die für zulässig erachten, dass die Deutschen als „Köterrasse“ bezeichnet werden. Hahne findet harsche Worte insbesondere für die Kirchen, deren hohe Vertreter angeblich aus Toleranz vor einer Begegnung mit anderen Religionen ihr Kreuz ablegen oder mit einer scheußlichen Mischung aus Deutsch und Englisch versuchen, die Jugend zu ködern. Luther, so Hahne überzeugend, hat die Bibel ins Deutsche übersetzt, damit die Menschen mitreden können und nicht länger ausgegrenzt werden. Genau das tut die Kirche jetzt mit ihrem Denglisch-Schwachsinn, sie grenzt diejenigen aus, die kein Englisch können. Beispiel gefällig? Ein Angebot in Frankfurt trug den Titel „Help the Oma!“

Und der Staat? Er benutzt unsere Kinder als Versuchskaninchen, wenn er sie nach Gehör schreiben lehrt und die Menschen ihrem Schicksal überlässt, indem er nichts gegen die durch vorwiegend osteuropäische Banden organisierte Einbruchskriminalität tut. Statt endlich all die großen und wichtigen Aufgaben in unserem Land anzupacken, kümmert sich die Politik lieber um die gendergerechte Überarbeitung der Verkehrsordnung und die EU um das richtige Frittieren von Pommes! Deutschland, so Peter Hahnes klares Bekenntnis, ist ein Staat, der sich selbst verachtet. Und „niemand hat den Mumm, dem Mumpitz, dieser lächerlichen und vor allem Millionen teuren Infantilisierung abendländischen Kulturgutes ein Ende zu machen“, schreibt Hahne. Und das trifft weiß Gott nicht nur auf den Genderwahn zu.

Mein Fazit: „Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen“ ist eher Hoffnung als Realität. Tatsächlich aber dürfte Hahnes Beobachtung zutreffen, dass wir heutzutage versuchen, mit einer gehörigen Portion Feigheit möglichst unbehelligt durch Leben und Beruf zu kommen. Wir lassen uns nur allzu gerne für dumm verkaufen, das erspart eigenes Denken und Handeln. Dagegen kämpft Peter Hahne entschlossen und doch recht unterhaltsam mit seinem Buch an. Wirklich lesens- und vor allen Dingen überdenkenswert!

Bibliographische Angaben:

Peter Hahne
Schluss mit euren ewigen Mogelpackungen. Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen.
Bastei Lübbe, 128 Seiten, 2018
ISBN: 978-3-7857-2621-1

Geschichte der Nationalhymne – eng mit ihrer Vergangenheit verbunden

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Seit die Gleichstellungsbeauftragte im Bundesfamilienministerium die deutsche Nationalhymne umfassend „genderüberholen” wollte (lesen Sie dazu auch “Meine Meinung” – hier), ist das „Lied der Deutschen“– wieder einmal in aller Munde. “Endlich” ist man versucht zu sagen, denn ein öffentliches Überdenken des Umgangs mit dieser Hymne ist längst überfällig. Weiterlesen

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Mit den Vor- und Nachteilen der Kommunikation im Internet befasst sich die Medienwissenschaftlerin Gina Schad in ihrem Buch „Digitale Verrohung. Was die Kommunikation im Netz mit unserem Mitgefühl macht.“ Dabei arbeitet sie recht verständlich und doch wissenschaftlich fundiert heraus, dass die Digitalisierung nicht in erster Linie einen technischen, sondern einen sozialen Wandel mit sich bringt.

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Eigentlich erwartet man von diesem Buch mit dem Titel „Der Aufstieg des Mittelfingers. Warum die Beleidigung heute zum guten Ton gehört“ – geschrieben von einem promovierten Philosophen, erschienen in einem renommierten Verlag – Ursachenforschung, Aufklärung, Denkanstöße, Lösungsansätze. Weiterlesen

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