Entscheidungen erleichtern oder doch vorschreiben?

Entscheidungen erleichtern oder doch vorschreiben?
Nudge Teil III: Besprechung des Buches von Thaler und Sunstein „Nudge – Wie man kluge Entscheidungen anstößt

Es ist schon starker Tobak, womit der Wirtschaftswissenschaftler Richard H. Thaler und der Rechtswissenschaftler Cass R. Sunstein 2008 in ihrem Buch „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ die mangelnde Entscheidungsfähigkeit der Menschen begründen. Zumindest werden es die wenigsten Leute glauben wollen, wenn die beiden Autoren behaupten, dass der „normale“ Mensch bei komplexen Sachverhalten, deren Ergebnisse auch noch weit in der Zukunft liegen, überhaupt nicht in der Lage ist, die für ihn beste Entscheidung zu treffen. Darum ist es wichtig, passende Anreize zu setzen, die ihn in die richtige Richtung schubsen. Das Autorenduo erläutert das eindrucksvoll an ökonomischen Entscheidungen, etwa Altersvorsorge, Hypothekendarlehen und Kreditkarten, deren Bedingungen alles andere als leicht zu verstehen und langfristige Auswirkungen kaum vorhersehbar sind. Da hilft auch keine Vielzahl von Optionen. Jedenfalls dann nicht, wenn es sich um Menschen handelt, die leicht zu beeinflussen sind – die Autoren nennen sie „Humans“ -, und die sind im Gegensatz zu den „Econs“, die sich zu nichts zwingen lassen, eindeutig in der Mehrheit. Ein Econ ist der weitsichtige Planer, ein Human dagegen der kurzfristige Macher. Im Alltag geht es nun darum, Strategien zu entwickeln, wie der Planer den Macher in Schach halten kann.

Ursächlich für die Entscheidungsschwäche sind nach Thaler und Sunstein, die sich hierbei auf eine Vielzahl von Untersuchungen und Studien berufen, kurz zusammengefasst drei menschliche Charakterzüge: beschränkte Rationalität, mangelnde Selbstkontrolle und Empfänglichkeit für soziale Einflüsse. Diese drei quasi schon angeborenen Eigenschaften sind – verbunden mit einer gehörigen Portion Gier und Korruption – etwa auch die Ursachen für die Finanzkrise 2008 gewesen, behaupten die Autoren. Thaler und Sunstein führen auf rund 390 Seiten zahlreiche Argumente an, warum der Mensch mit passenden Anreizen in die „richtige“ Richtung geschubst werden muss, das aber offen und ehrlich und unter Beibehaltung einer größtmöglichen Entscheidungsfreiheit. Sie nennen das „libertären Paternalismus“, eine auf den ersten Blick unvereinbare Paarung aus „freier Wille“ und „Bevormundung“. Denn unter Paternalismus versteht man eine Herrschaftsordnung, die auf Autorität gründet. „Libertäre Paternalisten“ hingegen wollen durch passende Anreize dafür sorgen, dass die Menschen länger, gesünder und besser leben. Das halten die Autoren für erforderlich, weil der Mensch in erster Linie träge ist und Entscheidungen gar nicht oder aus dem Bauch heraus trifft. Die Grundlage für diese meist schlechten Entscheidungen sind zum Teil über Generationen weitergereichte Faustregeln. Hinzu kommen neben gewichtigen, sozialen Einflüssen – darunter der berühmte Gruppenzwang – ein unrealistischer Optimismus, die Angst vor Verlust, Gedankenlosigkeit und die Bereitschaft sich verführen zu lassen. Immer und überall will der Mensch gefallen, bloß nicht anecken! Er passt sich lieber der Mehrheit an, auch wenn das für ihn selbst von Nachteil ist.  Deshalb haben Gruppen, die eine Meinung hartnäckig vertreten, eine gehörige Anziehungskraft. Außerdem halten Menschen gerne an einer einmal etablierten Meinung oder Tradition fest, weil sie denken, andere tun das auch. Es ist ihnen wichtig, was andere von ihnen denken und sie passen sich den Erwartungen anderer an. Das aber ist falsch, denn, so behaupten die Autoren, andere widmen einem gar nicht so viel Aufmerksamkeit, wie man selbst annimmt. Für andere ist es beispielsweise ganz und gar nicht interessant, wie wir aussehen. Deshalb, so ihr Fazit, kann man auch ruhig mit einem bekleckerten Hemd aus der Mittagspause kommen, niemand wird es merken.

Soziale Einflüsse wirken sich also besonders stark auf das aus, was wir denken, sagen oder tun! Und genau dieser Umstand kann wunderbar dazu benutzt werden, uns bei unseren Handlungen und Entscheidungen in eine bestimmte Richtung zu schubsen. Grundsätzlich neigen Menschen dazu, sich für die Option zu entscheiden, die am wenigsten Aufwand erfordert. Man geht den einfachsten Weg und hält an ihm fest, auch wenn er sich als unbrauchbar erwiesen hat. Deshalb ist größtmögliche Wahlfreiheit nicht immer oberstes Gebot, vielmehr ist es nützlich, Empfehlungen auszusprechen, insbesondere bei den bereits erwähnten komplexen Situationen. Dieses „Schubsen in die richtige Richtung“ raten Thaler und Sunstein ganz offen auch der Politik, bestehen dabei aber auf Transparenz. Die Maxime bei Nudges jeder Art ist Öffentlichkeit und Respekt als Sicherung gegen Manipulation. Die Autoren geben dabei durchaus zu, dass es Grenzfälle gibt und unterschwelliges Verhalten – wie aus unterschwelliger Werbung wohlbekannt – abzulehnen ist. Solches Verhalten nämlich ist unmöglich zu kontrollieren. “Nudges” – übersetzen wir den Begriff der Einfachheit halber mit “einflussnehmende Maßnahmen” – gibt es sowieso schon lange und überall. Sie können bei komplexen Fragen, die etwa ein spezielles Fachwissen voraussetzen, durchaus helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Dabei dürfen aber Inkompetenz und Eigennutz nicht ins Spiel kommen. Wie dies aber verhindert werden kann, darauf haben Thaler und Sunstein leider keine überzeugende Antwort.

Mein Fazit: Das Buch ist eine hochinteressante Zusammenstellung all der Schwächen, denen wir alle tagtäglich begegnen und gegen die wir uns nicht wehren können, weil wir sie im entscheidenden Augenblick gar nicht bewusst wahrnehmen. Vielleicht können wir uns aber besser gegen ungewollte Beeinflussung – auch und gerade durch Nudges – schützen, wenn wir uns dieser Schwächen stellen. Nicht nur dafür liefert das Buch wertvolle Hilfestellung.

Bibliografische Angaben:
Richard H. Thaler, Cass R. Sunstein: Nudge – Wie man kluge Entscheidungen anstößt
13. Auflage, Ullstein Verlag 2010, 389 Seiten, ISBN 978-3-548-37366-9

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Nudge Teil I: Nur ein Schubs in die richtige Richtung?

 

Nudge Teil II: Wie die Bundesregierung “wirksam regieren” will

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