Ein Autor beleidigt unaufhörlich seine Leser

Eigentlich erwartet man von diesem Buch mit dem Titel „Der Aufstieg des Mittelfingers. Warum die Beleidigung heute zum guten Ton gehört“ – geschrieben von einem promovierten Philosophen, erschienen in einem renommierten Verlag – Ursachenforschung, Aufklärung, Denkanstöße, Lösungsansätze.

Was man aber erhält ist eine einzige, über 252 Seiten immer schlimmer werdende Beleidigung des Lesers. Die ausgesprochene Vorliebe des Autors Jan Sudlarek für übelste Fäkalsprache macht es jedem normal denkenden Menschen recht schwer, bis zur letzten Seiten durchzuhalten. Zumal außer deftigen Verbalattacken, mit denen er gerne auch die Leser selbst angreift („Ihr Arschlöcher“!), bekommt man seitenlange Begriffserläuterungen, auch wo es nichts zu erläutern gibt, und jede Menge Allgemeinplätze. Am Ende wenig überraschend besteht denn auch sein einziger Lösungsansatz für das vermeintliche Problem nur darin, an seine Leser zu appellieren, doch Anstand und gegenseitigen Respekt walten zu lassen, egal ob am Stammtisch oder im Internet. Anstand und Respekt, den er selbst seinen Lesern aber bis zum Schluss verweigert! Beispiel gefällig? „Donald Trump ist ein stinkreicher Mann, der scheinbar ungefiltert und hemmungslos seine Gedanken in die Welt hinausfurzt.“ (Seite 95).

Nur gut, dass Donald Trump die 94 Seiten davor wohl nie zu Gesicht bekommt. Dann wüsste er nämlich, dass Sudlarek ihn hier ganz persönlich angreift, was nach § 185 Strafgesetzbuch den Tatbestand der Beleidigung erfüllt. In akribischer Kleinarbeit arbeitet der Autor nämlich heraus, wann jemand sich beleidigt fühlen kann – und entsprechend bei Justitia Gehör findet –  und wann nicht. Das alles liest sich wie eine Anleitung zur straffreien Pöbelei. Ursachen für die angenommene Zunahme von Beleidigungen findet der Autor lediglich in der sich wandelnden Zeit und Sprache, wer hätte das gedacht? War zum Beispiel früher ein „Neger“ einfach ein Mensch mit schwarzer Hautfarbe, ist das Wort heute Diskriminierung pur. Die Gesellschaftsschichten seien durchlässiger geworden, stellt er fest, die ursprüngliche Hackordnung sei weggefallen. Das widerlegt er dann aber rasch wieder, in dem er darauf verweist, dass gegenseitige Rücksichtnahme erforderlich wäre, es sei denn man hat die Macht, eben diese nicht zu üben. So könne ein Chef ganz anders mit seinen Leuten umgehen, als sie mit ihm. Ist das so, fragt sich der Leser wohl weniger überrascht? Derartige Plattitüden ziehen sich durch das ganze Buch. Klassische Sprüche wie „individuelle Freiheit enden dort, wo die des Nächsten anfängt“ sind so alt wie die Menschheit. Neu ist aber Skudlareks Behauptung, „political correctness“ habe eine Schutzfunktion vor sprachlicher Aggressivität. Dass Politiker und zum Teil auch Medien unter dem Deckmäntelchen der „political correctness“ eine zwingend erforderliche Debatte zu kritischen Themen unterdrücken, sieht der Autor nicht.

Im Internet, so der Autor, könne man seine Beleidigungen loswerden, ohne eine Ohrfeige zu riskieren. Außerdem könne man seinen Frust direkt ablassen, ohne die früher erforderlichen Umwege über Briefpapier, Stift, Umschlag, Gang zu Post, Porto, Postkasten und Zustellzeit für Leserbriefe an eine Redaktion. Als Gegenmaßnahme empfiehlt er, was schon jede Großmutter empfohlen hat: Tief durchatmen! Nicht die Sach- mit der Beziehungsebene verwechseln, und immer erst analysieren: Wer sagt was zu wem in welchem Zusammenhang. Klar, bis man damit fertig ist, ist die Wut garantiert verraucht.

Resümee: Ich frage mich ernsthaft, was einen so namhaften Verlag wie Rowohlt dazu bewogen hat, dieses Buch zu veröffentlichen? Das an sich sehr interessante und wichtige Thema hätte eine würdigere Aufarbeitung verdient. Oder ist das Absicht? Will man hier mit skandalöser Sprache schlicht Kasse machen? Meine Empfehlung: Sparen Sie sich die 9,99 Euro und zeigen Autor und Verlag, was dieses Buch wert ist: nämlich nichts! /sis

Bibliografische Angaben: Skudlarek, Jan: Der Aufstieg des Mittelfingers. Warum die Beleidigung heute zum guten Ton gehört. Rowohlt Taschenbuch, 2017, 252 Seiten, ISBN 978-3-499-63299-0

 

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