Quo vadis Kirche?

Quo vadis Kirche?

Der Niedergang der Kirchen führt in die falsche Richtung

Unverkennbar der Speyerer Dom (Foto: Mhollaen/Pixabay)

Rund 640.000 Menschen sind im Jahr 2021 aus der Katholischen und Evangelischen Kirche ausgetreten. Ein Rekordjahr, wie überall zu lesen war. Als Hauptgrund werden die Missbrauchsfälle genannt. Wer möchte schon Mitglied einer Gemeinschaft sein, deren oberste Führer solche Abscheulichkeiten zu verantworten haben? Ein weiterer Grund ist das liebe Geld. Die Summe, die für die Kirchensteuer vom Lohn einbehalten wird, fehlt in der Haushaltskasse. Nur die wenigsten sehen die Kirchensteuer als ihren Beitrag für eine bessere Welt, eine Art Gemeinschaftsabgabe für wohltätige Zwecke, weil sie eben diese Zwecke nicht mehr mit eigenen Augen sehen können. Früher gab es kirchlich geleitete Kindergärten vor Ort, Krankenhäuser, Gemeindeschwestern, die sich um Alte, Kranke und Familien in Not gekümmert haben.

Nur den schnöden Mammon im Blick

Und heute? Wo geht es hin, das viele Geld? In die Gemeinden vor Ort jedenfalls nicht mehr. Immer mehr Kirchengemeinden werden zusammengelegt, Großpfarreien gebildet, in denen man vergeblich einen vertrauten Ansprechpartner sucht. Und mit der Kirchensteuer werden vorwiegend die Gehälter von genau den christlichen Ordensträgern finanziert, die die Missbrauchsskandale begangen, gedeckt, vertuscht, geleugnet haben. Und dann sind da noch die neuesten Schlagzeilen von der Auflösung eines Pflegeheims, um daraus eine Flüchtlingsunterkunft zu machen. Nicht, weil das besonders christlich wäre, sondern einzig und allein des schnöden Mammons wegen …

Die Bibel kommt gar nicht mehr zu Wort

Das alles sind zumindest nachvollziehbare Gründe, wenn man den christlichen Glauben außer Acht lässt. Christ sein bedeutet Nächstenliebe wahrhaftig zu leben. Und dazu gehört es, sich um die Menschen in der Gemeinde zu kümmern. Aber genauso wenig wie dieses sichtbare „Kümmern“ verschwunden ist, sind auch die Botschaften der Bibel aus den Gottesdiensten verschwunden. Wer heute einen Gottesdienst besucht, muss sich dieselben negativen Geschehnisse der Zeit anhören, die er jeden Tag mehr als einmal in den Nachrichten zu hören bekommt. Es geht nicht mehr um Gott und die frohe Botschaft, es geht um Krieg, Terror, Vernichtung der Umwelt, Elend, Not und Leid. Nicht Trost kommt von der Kanzel, sondern Schuldzuweisungen, der allzu durchschaubare Versuch, den Gläubigen auf den Kirchenbänken ein schlechtes Gewissen einzureden, ob des erbärmlichen Zustandes dieser Welt. Und genau hier vergeht einem das letzte bisschen Lust auf Kirche. Wenn dann auch noch auf Kirchentagen weibliche Geschlechtsteile gemalt werden, statt über Gott und die Welt zu diskutieren, ist wahrhaftig Schluss mit lustig!

Hauptsache „woke“

Es ist dieses Anbiedern der christlichen Kirchen an den Zeitgeist. Die Gesellschaft verlangt eine moderne Kirche, nur sind damit nicht „gendersensible Sprache“, „Vulva malen“ oder die Konzentration auf Minderheiten gemeint, weil es gerade „woke“ ist. Kirche muss offen sein für die Menschen – und zwar für alle Menschen und nicht nur eine Minderheitengruppe -, sich wieder ihrer Sorgen und Nöte annehmen, ihnen Trost spenden, sie durch die Höhen und Tiefen ihres Lebens begleiten.

Glaube ohne Kirche

Gott sei Dank, möchte man fast sagen, muss niemand mehr Mitglied einer Kirche sein, um zu glauben. Niemand kreidet es einem an, wenn der sonntägliche Gottesdienst geschwänzt wird. Christsein kann man auch so, an Gott glauben, sich gütig zeigen, helfen, wo Hilfe gebraucht wird. All das ist unabhängig von der institutionellen Einrichtung Kirche. Glaube scheint endgültig zur Privatsache geworden zu sein. Damit geht aber nicht nur die Gemeinschaft zugunsten des Einzelnen verloren, sondern eben auch der moralische Kompass. Jenes Instrument, das dem Menschen über Jahrhunderte hinweg Richtung und Halt gegeben hat, der das Zusammenleben wesentlich mitbestimmt, ja ein friedliches Miteinander erst möglich macht.

Glaube setzt dem eigenen Tun Grenzen

Glaube ist so viel mehr als das blinde Vertrauen in eine höhere Macht. Glaube ist das moralische Gewissen, das dem eigenen Tun Grenzen setzt. Und genau das fehlt der modernen Gesellschaft, die nur noch das eigene Ich kennt und rigoros in den Mittelpunkt stellt, koste es was es wolle. Die zunehmende Verrohung, der mangelnde Respekt, die Ausgrenzung anders denkender und der rasante Verfall der Moral in der westlichen Welt hat nicht zuletzt auch mit dem Bedeutungsverlust der Kirchen im Alltag zu tun.

Keine steilen Thesen, sondern Tatsachen

Schon 2010 beschrieb der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann in seinem Buch „Gesellschaft ohne Gott“ die Folgen des Niedergangs der Kirche. Denn im Zweifel, so Püttmann, halten sich Christen eher an Recht und Gesetz, wählen weniger radikale Parteien und sind entschieden vorsichtiger in allen Fragen rund um das Leben. Die Religionsgemeinschaften sah er als „Demutsschule“, die Gläubige dazu anhalte, auch das Wohl des anderen im Blick zu haben und Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, statt die Schuld anderen in die Schuhe zu schieben. Dass Püttmanns Thesen nicht reine Fantasie, sondern Tatsachen sind, wurde in Umfragen und Analysen eindrucksvoll bestätigt.

Keine „frohe Botschaft“

Um Christ zu sein oder doch zumindest ein christliches Leben zu führen, braucht es keine Kirche. Wenn aber die Kirchen den Menschen christliche Werte nicht mehr näherbringen, wer tut es dann? Dann werden diese Werte, auf die die westliche Welt angeblich so stolz ist, in Vergessenheit geraten und über kurz oder lang ganz verschwinden – und das ist für das Gemeinwohl wahrhaftig keine „frohe Botschaft“.

error: Content is protected !!