Nudge Teil II: Wie die Bundesregierung “wirksam regieren” will

Nudge Teil II: Wie die Bundesregierung “wirksam regieren” will
Die Projektgruppe “Wirksam regieren” ist im Bundeskanzleramt angesiedelt.

“Wir wollen die Zielgenauigkeit und Wirksamkeit politischer Vorhaben dadurch erhöhen, dass wir politische Vorhaben stärker aus Sicht und mit Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger entwickeln.” So stand es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom Dezember 2013. Zur Umsetzung dieser Vereinbarung unterstützt seit 2015 eine Projektgruppe „Wirksam regieren“ im Bundeskanzleramt Ministerien und Behörden dabei, „Bürgerinnen und Bürger in die Gestaltung und Verbesserung konkreter Vorhaben einzubinden“. Diese Projektgruppe testet – so jedenfalls steht es auf der Website “Wirksam regieren” – bei ausgewählten politischen Vorhaben alternative Gestaltungs- und Umsetzungsmöglichkeiten und das ganz praktisch, unter realistischen Bedingungen und im Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern. (Website “Wirksam regieren”)

Das klingt erst einmal durchaus vernünftig. Was machen Gesetze, Vorschriften, Verwaltungsprozesse oder Formulare auch für einen Sinn, wenn sie am Alltag der Bürgerinnen und Bürger vorbeigehen? Dass dafür eine Projektgruppe eingesetzt wird, die den Willen und die Vorstellung der Bürger erkundet, scheint in diesem Zusammenhang zumindest wünschenswert. Wieso aber für eben diese Projektgruppe Experten mit psychologischem, verhaltensökonomischem beziehungsweise verhaltenswissenschaftlichem Hintergrund eingestellt wurden, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Diese Frage stellte die Bundestagesabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Britta Haßelmann, der Bundesregierung im April 2015 und fügte an: In welcher Weise sollen durch die Tätigkeit der genannten Experten beziehungsweise durch das Projekt “Wirksam regieren” Verhaltensänderungen in der Bevölkerung erzielt (Stichwort: Nudging) und der Deutsche Bundestag in die an die Bürgerinnen und Bürger adressierten Maßnahmen einbezogen werden? ( BT-Drucksache 18/4856). Die schriftliche Antwort kam am 24. April 2015. Staatsminister Dr. Helge Braun nannte das Ziel der Projektgruppe „im Zuge von Ex-ante-Wirksamkeitsanalysen empirische Erkenntnisse für die Beurteilung von alternativen Lösungsansätzen zu gewinnen und damit die Wirksamkeit politischer Maßnahmen zu erhöhen“. In erster Linie sollten Beratung, Aufklärung und Information gestärkt und öffentliche Dienstleistungen aus der Nutzerperspektive verbessert und vereinfacht werden. Die Nutzung wissenschaftlicher Expertise zur Erstellung von Gesetzen, Verordnungen, Normen und Anreizen sei gängige Praxis.

Alles ganz normal und unbedenklich? Tatsächlich übernimmt die Regierung Merkel damit etwas, was beispielsweise in Amerika und Großbritannien längst zum Alltag gehört: Das sogenannte “Nudging”, der berühmte Schubs in die richtige Richtung, wobei nicht definiert wird, was genau die richtige Richtung ist und ob das von jedem so „Angeschubsten“ gleichermaßen gewünscht wird. Kritiker sehen deshalb im “Nudging” eine Art Gängelei, bei der der Staat den Bürger elegant und ohne dass die Betroffenen davon etwas merken müssen, manipulieren und bevormunden kann.

Was ist Nudging denn nun? Eine besonders kluge Art, politische Ziele zu erreichen oder doch nur Manipulation? Was wissen die Bundestagesabgeordneten darüber? „besser klartext.de“ fragte nach bei den Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises Ludwigshafen, Frankenthal, Rhein-Platz-Kreis Torbjörn Kartes (CDU) und Doris Barnett (SPD).

CDU-Bundestagesabgeordneter Torbjörn Kartes (Foto: Privat)

1. Wissen Sie von der Expertengruppe? Was ist Ihre Meinung dazu?

Torbjörn Kartes: Ja, ich weiß von der Projektgruppe „Wirksam regieren“. Und ich halte es grundsätzlich für eine sinnvolle Idee, politische Maßnahmen und Regelungen auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. Daraus kann man ableiten, was man in Zukunft anders machen kann, um noch mehr Menschen zu erreichen.

2. Welche Aufgaben genau hat diese Expertengruppe denn nun?

Torbjörn Kartes: Die Projektgruppe hat die Aufgabe, zu analysieren, wie der Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger von politischen Maßnahmen erhöht werden kann. Es geht dabei um Fragen, wie politische Ziele durch ihre konkrete Ausgestaltung am besten verwirklicht, wie ihre Sichtbarkeit erhöht oder die betreffenden Zielgruppen passgenauer angesprochen werden können. Ein Blick in den Koalitionsvertrag von 2013 lohnt sich: Die Regierung will die Wirksamkeit ihres Handelns steigern, also effizienter machen. Konkret ist davon die Rede, „die Kompetenzen und Kapazitäten der strategischen Vorausschau“ zu steigern. Dazu sollen Wirkungsanalysen und Evaluationen bestehender Gesetze genutzt werden. Vorhaben sollen „aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger“ und unter ihrer Beteiligung entwickelt werden. „Nudging“ ist deswegen in diesem Zusammenhang auch ein irreführender Begriff. Nehmen wir das Beispiel Förderprogramme: Hier werden Aspekte wie die Art, Dauer und Förderhöhe, aber auch die Sichtbarkeit von solchen Programmen untersucht. Es geht darum, welche Hürden es gibt, wenn die Politik mit einer bestimmten Maßnahme die Menschen erreichen will, und wie man sie umgehen kann. Es geht nicht darum, die Menschen zu einem gewissen Verhalten zu bewegen. Sie sollen vielmehr dazu befähigt werden, informierte Entscheidungen zu treffen.

3. Welche Erkenntnisse wurden bislang gewonnen, welche alternativen Lösungssätze gefunden?

Torbjörn Kartes: Die Projektgruppe verfolgt das Ziel, die Wirksamkeit politischer Maßnahmen zu erhöhen. Dafür müssen Maßnahmen mehr vom Bürger her gedacht werden. Deswegen werden Bürgerinnen und Bürger auch aktiv in die Arbeitsprozesse der Gruppe eingebunden. Am Anfang steht die Frage, ob auch wirklich alle Betroffenen von einer bestimmten Maßnahme profitieren. Dafür werden Verbraucher und Nutzer – eben die Bürgerinnen und Bürger – befragt. Wie nehmen sie die Maßnahme wahr, wie verständlich sind die Informationen, wie groß die Unterstützung auf Seiten der Behörden, was kann aus ihrer Sicht verbessert werden? Die Erkenntnisse werden von den Ministerien in ihrer Arbeit aufgenommen und bei der Entscheidungsfindung über die Umsetzung politischer Ziele berücksichtigt. Letztlich werden Informationen dadurch verständlicher, unnötig sperrige bürokratische Abläufe können schlanker gestaltet und somit Steuergelder gespart werden. Die Arbeitsweise der Projektgruppe wird auf den Internetseiten der Bundesregierung detailliert dargestellt. Sie möchten ein konkretes Beispiel der Arbeit der Projektgruppe? Erhöhung der Impfquote gegen Masern! Die Krankheit wird oft unterschätzt, die Impfquote ist gerade bei jüngeren Erwachsenen niedrig. In Zusammenarbeit mit dem Bundesgesundheitsministerium prüft die Projektgruppe alternative Zugänge zu Erwachsenen, wie auffällige Informationsbriefe zum Versand an die Versicherten, die Bereitstellung von Infomaterialien bei Hausärzten oder die direkte Ansprache beim Hausarztbesuch. Zur Förderung nachhaltigen Konsums diskutiert das Bundesumweltministerium zudem die Einführung eines Lebensdauerlabels für Elektrogeräte. „Wirksam regieren hat mit dem Ministerium daher eine Studie durchgeführt, in der die Situation in einem Online-Shop simuliert wurde. Das Ergebnis: Produkte mit längerer Lebensdauer wurden eher gekauft, wenn sie den gleichen Preis haben. Allerdings haben Verbraucherinnen und Verbraucher sich nicht unbedingt aufgrund einer höheren Lebensdauer für teurere Produkte entschieden. Wenn jedoch die jährlichen Gesamtkosten ebenfalls auf dem Label ausgewiesen wurden, wurde die Produktlebensdauer bei der Kaufentscheidung häufiger berücksichtigt.

4. Wie wird sichergestellt, dass diese Erkenntnisse nicht doch manipulativ eingesetzt werden?

Torbjörn Kartes: Wie gesagt: Es geht darum, politische Maßnahmen effizienter, verständlicher – einfach bürgernäher – zu gestalten.

5. Was hat der Einsatz der Expertengruppe bisher gekostet?

Torbjörn Kartes: Nach meinem Kenntnisstand beschränkt sich der Einsatz der Projektgruppe im Wesentlichen auf Personalkosten von 3,5 Planstellen. Ansonsten fallen zusätzlich projektbezogene Kosten an, die von den einzelnen Ressorts getragen werden.

 

SPD-Bundestagesabgeordnete Doris Barnett (Foto: Privat)

Doris Barnett hat die Fragen dem Bundeskanzleramt (Referat 612 – wirksam regieren / Abteilung 6 Politische Planung, Innovation und Digitalpolitik, Strategische IT-Steuerung) vorgelegt und folgende Antwort erhalten: „Zur Beantwortung der Fragen 1-3 verweisen wir auf unsere Webseite www.bundesregierung.de/wirksam-regieren, dort sind unsere Aufgaben sowie unsere konkreten Projekte im Detail beschrieben. Ebenso sind dort umfangreiche Berichte zu unseren abgeschlossenen Projekten abrufbar. Zur Frage 4 ist ebenfalls die Webseite zentral: Der Gefahr der Manipulation begegnen wir dadurch, dass wir bei unserer Arbeit in allen Belangen Transparenz herstellen. Sowohl die Themen unserer Projekte als auch das methodische Vorgehen sind offen zugänglich auf der Webseite dokumentiert und dadurch jederzeit nachvollziehbar. Zu Frage 5 bezüglich der Kosten können wir insofern keine Auskunft geben, als die Budgetverantwortung für die Projekte bei den durchführenden Ressorts liegt. Im Referat 612 – wirksam regieren selbst sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine projektspezifischen Kosten angefallen.“

Ergänzend schreibt Doris Barnett: “Bereits 2012 hat die SPD mit ihren verbraucherpolitischen Leitlinien beschlossen, die Erkenntnisse der Verbraucherverhaltensforschung zu nutzen, um wirksame verbraucherpolitische Maßnahmen zu entwickeln. Nudging als verhaltensbasierter Ansatz kann in bestimmten Problemkonstellationen eine gesetzliche Regelung wie Verbot, Steuer oder Gebot überflüssig machen. Laut Umfragen (zum Beispiel der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf in Zusammenarbeit mit dem Münster-Research-Institute aus Dezember 2016*) fühlen sich Verbraucher durch informations- und verhaltensbasierte Ansätze wesentlich weniger bevormundet als durch gesetzliche Maßnahmen. Im Hinblick auf politische Legitimität und auf gesellschaftliche Akzeptanz ist zu beachten, dass Nudges per Definition IMMER transparent und IMMER mit einer abweichenden Entscheidungsmöglichkeit für den Verbraucher eingesetzt werden müssen. Nudges sind immer fallspezifisch: Evidenzbasiert muss entschieden werden, ob eine Steuer, ein Gesetz, eine Infokampagne, ein neues Schulfach oder eben ein Nudge eingesetzt werden soll.”

* Die Studie “Das solltest du essen – Orientierung versus Bevormundung”, die der Verein “Die Lebensmittelwirtschaft”  in Kooperation mit Professor Dr. Peter
Kenning von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf durchgeführt hat, bietet eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme, ob und wie stark Verbraucher in Deutschland derzeit eine Bevormundung empfinden . 1000 Befragte haben im August 2016 für die erste deutschlandweite Studie zum Thema „Bevormundung“ Rede und
Antwort gestanden. Die vollständige Ergebnispräsentation und den Fragebogen zu dieser Studie zum Download gibt es hier: Studie

Weitere Artikel zum Thema “Nudging”:

Nudge Teil I: Nur ein Schubs in die richtige Richtung? hier

Nudge Teil III: Ausführliche Besprechung des Buches von Richard Thaler und Cass Sunstein: Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt hier

 

error: Content is protected !!