Zwei Würstchen im Schlafrock

Zwei Würstchen im Schlafrock
Kritik zum Tatort Münster „Rhythm and Love“
ARD/WDR Tatort “Rhythm and Love”: Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl, links) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers, rechts) ermitteln in einer Bauwagenkolonie, in der auch Alpakas gehalten werden. (Foto: WDR/Martin Valentin Menke)
Bei Tee, Keksen und Rum gestehen sich Silke Haller (ChrisTine Urspruch) und Mirko Schrader (Björn Meyer) ihre jeweiligen Lügen. (Foto: WDR/Martin Valentin Menke)

Tatort Münster ist immer sehenswert – so auch die neueste Folge mit dem Titel „Rhythm and Love“, in der Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) erstmals seine Unzulänglichkeiten beweint. Doch nicht nur er kämpft mit den Tücken des neuen Falls, auch Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) gerät an seine Grenzen, weil Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) einmal mehr nichts von Thiels Verdächtigungen hält. So sitzen Thiel und Boerne im Versagensschmerz vereint auf dem Seziertisch und geben sich die Kante. Gemeinsam kommen sie zur Ansicht, sie seien „kleine Würstchen“, ja sogar Würstchen im Schlafrock. So viel Selbstkritik ist man aus Münster nicht gewohnt. In diesem Zusammenhang erscheint das unsägliche „Allesdichtmachen-Video” von Jan Josef Liefers in einem ganz anderen Licht. Und so verwundert es nicht, dass die Figur Boerne plötzlich mit den Aussagen Liefers gleichgesetzt wurde, obwohl beide sogar nichts miteinander zu tun haben. Leider kann man da nur sagen. Denn ausgerechnet in diesem Fall muss der Professor gehörig Federn lassen und kommt zu der Erkenntnis, dass er „seine eigene Inkompetenz eben wegen seiner Inkompetenz“ nicht erkennen kann.

Nachdem Thiel und Boerne also in Selbstmitleid baden, übernehmen Thiels Assistent Mirko Schrader (Björn Meyer) und Boerne-Assistentin Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch) das Geschehen und stellten den Mörder von Maik Koslowski,

In seinem Element: Herbert “Vadder” Thiel (Claus D. Clausnitzer, rechts) beliefert auf dem Erlen-Hof “Rasta-Mann” (Stefan Gorski, links) mit Ware aus eigenem Anbau. (Foto: WDR/Martin Valentin Menke)

einem Verfechter freier Liebe in einer Bauwagenkolonie mit dem schönen Namen Erlen-Hof und dem Pfarrer Tobias Flügge (großartiger Nikolai Kinski). Dabei verbindet Schrader und Haller nicht etwa das Interesse am Fall, sondern jeweils ein Fehler mit Folgen. Alberich hat eine wichtige Spur verschlammt, Schrader sich den Zugang zur Polizei mit einer Lüge erschlichen. Am Ende stehen sie dem Mörder gegenüber – und kommen natürlich beide heil aus der Sache heraus.

Als Milieu für den neuen Fall aus Münster hat sich Drehbuchautorin Elke Schuch eine recht skurrile, fast schon sektenartige Gemeinschaft ausgesucht. Die Gruppe hat sich nicht nur freier Liebe, sondern auch der Natur verschrieben. Die Mitglieder pflegen gleich mehrere Liebesbeziehungen untereinander, leben in Bauwagen, bestellen das Feld, halten Gänse und Alpakas. Dieser Lebensstil lockt auch andere Interessenten an, darunter Pfarrer Flügge und der Münsteraner Polizeipressesprecher Johannes Hagen (August Wittgenstein). Während Thiel schon bald dem Pressesprecher nachjagt, sieht sich Boerne obendrein einem Plagiatsvorwurf ausgesetzt. Nur „Vaddern“ Herbert Thiel (Claus D. Clausnitzer) ist im Erlen-Hof in seinem Element: Er darf undercover ermitteln und dabei seinen eigenen Geschäften nachgehen. Denn die Freikörperkultur-Fans lieben nicht nur die Liebe, ihre Tiere und die Natur, sondern auch einen gepflegten Joint. Das ist genau Vadderns Ding!

Der Münsteraner Tatort ist bekannt für seinen feinsinnigen Humor. Diese Erwartung wurde auch mit dem neuen Fall nicht enttäuscht. Spannung gab es eher nicht, dafür aber äußerst interessante Charaktere mit Tiefgang. Die Geschichte hatte einiges zu bieten und so kann man dem Tatort „Rhythm and Love“ durchaus großartiges Unterhaltungspotenzial bescheinigen. Gerne mehr davon! /sis

Schon beim letzten Tatort aus Münster mit dem Titel “Es lebe der König” standen andere Krimi-Elemente im Vordergrund – Spannung war weniger wichtig.

ARD/WDR Tatort “Es lebe der König”: Eine Leiche in Ritterrüstung, das sahen selbst Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers, links) , Silke Haller (ChrisTine Urspruch) und Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) noch nie auf einem Seziertisch. (Foto: WDR/Thomas Kost)

Münster war schon besser!

Münster war schon besser!
Kritik zum Tatort Münster „Es lebe der König!“
ARD/WDR Tatort “Es lebe der König!” Eine Leiche in Ritterrüstung, das sahen selbst Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers, links) , Silke Haller (ChrisTine Urspruch) und Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) noch nie auf einem Seziertisch. (Foto: WDR/Thomas Kost)
Das lässt Boerne sich natürlich nicht entgehen: Silke Haller (ChrisTine Urspruch) hilft ihm dabei, die Ritterrüstung anzulegen. (Foto: WDR/Thomas Kost)

Der Tatort Münster ist immer mit viel Humor gespickt, das kennt und mag der Zuschauer. Dennoch ließen Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Pathologe Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) bisher nie die nötige Ernsthaftigkeit bei der Arbeit und vor allem auch den Respekt vor den Opfern vermissen. Im neuesten Tatort „Es lebe der König!“ aus der Feder von Benjamin Hessler allerdings ging es nur noch um Klamauk, teils wirklich recht lustig, teils aber auch einfach nur flach. Thiels Äußeres war schon immer eher leger, jetzt aber kam er nicht nur mit ausgeleierter Kleidung, sondern auch mit wucherndem Bart und ungeschnittenen Haaren daher, kein Anblick, der seine Zeugen und Verdächtigen großartig beeindruckt hätte, eher im Gegenteil. Boerne hingegen zeigte sich wie immer geschniegelt und gebügelt, aber eben doch mehr als sonst zu Übertreibungen aufgelegt. Übertrieben gebärdete sich auch Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann), die ihren Kollegen Lutz Söltenfuss (Christian Hockenbrink) wegen seiner offensichtlichen Abneigung gegen Zigarettenrauch gerne als Komplizen der verdächtigen Familie Radtke und des Drogenbarons Hugo Draak (Paul Faßnacht) gesehen hätte. Eigentlich fehlte es der gesamten Geschichte an Tiefgang: Der Kirmeskönig Radtke erpresst sich eine altehrwürdige Burg und will dort mit seiner Familie künftig Mittelalterspiele abhalten. Doch dann wird er in seiner Ritterrüstung im Burggraben tot aufgefunden. Natürlich kann Boerne nicht umhin, die Rüstung selbst anzuprobieren – natürlich nur um zu beweisen, dass Ritter Radtke beim Ankleiden einen Helfer gehabt haben muss. Ansonsten aber deutet alles auf Tod durch Ertrinken hin. Da sich Staatanwalt Söltenfuss auffällig für den Fall interessiert und auch noch ein gesuchter Drogenboss involviert zu sein scheint, nehmen Thiel und Boerne die Familie des Toten genauer unter die Lupe. Die Ermittlungen gipfeln in einer doch eher lächerlichen Observation der Burg samt Festgästem durch das gesamte Team inklusive Staatsanwältin und Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch). Bei so viel Klamauk konnten auch der überraschende Ausgang mit Verwicklung des LKA und die unerwartete Enttarnung des Mörders, dessen Motiv obendrein nur Mitleid war, die Story nicht mehr retten.

Nicht spannende Verwicklungen standen im Mittelpunkt, sondern Boernes Hang zur Besserwisserei, Frau Klemms Abneigung gegenüber Nichtrauchern und die unumstößliche Grundgesetztreue von Thiels neuem Assistenten Mirko Schrader (Björn Meyer), der mit seinen großspurigen Staatsrechtskenntnissen die Ermittlungen eher bremst als sie voranbringt. Man hätte sich eine junge, dynamische Assistentin für Thiel gewünscht, die dem alternden Kommissar etwas mehr Schwung verleiht, statt seine Bemühungen zusätzlich abzuwürgen. Dazu reicht schon Boerne. Noch ein Besserwisser wäre nicht nötig gewesen, auch wenn er guten Kaffee kochen kann. /sis

Gespräch in der Mittagspause – mit Blick über Münster: Staatsanwalt Lutz Söltenfuss (Christian Hockenbrink) mit seiner Kollegin Wilhelmine Klemm (Mechthild Grossmann). (Foto: WDR/Thomas Kost)

Ungemein spannend und unterhaltsam

Ungemein spannend und unterhaltsam
Kritik zum Tatort Münster „Limbus“
ARD/WDR Tatort “Limbus”: Silke Haller (Christine Urspruch, links), Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann, 2.v.l.) und Frank Thiel (Axel Prahl, 2.v.r.) verlassen das Restaurant und verabschieden Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers, rechts), der einen dreimonatigen Urlaub nimmt. Seiner Urlaubsvertretung soll Silke Haller die Wohnungsschlüssel von Boerne übergeben. (WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin Valentin Menke)
 Boerne (Jan Josef Liefers, rechts) versucht, zu Silke Haller (Christine Urspruch, links) durchzudringen, die ihn aber nicht sehen kann.
(Foto: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin Valentin Menke)

Das ist schon ein ganz besonderer Tatort aus Münster. Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) landet nach einen Autounfall in der Vorhölle (Limbus), büxt aber immer wieder aus, um Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und seiner Mitarbeiterin Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch) bei den Ermittlungen über die Ursache des Unfalls auf die richtige Spur zu bringen. Dabei wird er immer wieder vom Wärter der Vorhölle, der – oh Wunder – genauso aussieht wie Thiel, aber penetrant bürokratisch agiert und überhaupt keinen Spaß versteht, eingefangen und zurückgebracht. Interessanterweise hat die Vorhölle einen Ausgang mitten in Münster! Das klingt auf den ersten Blick nach viel Klamauk und tatsächlich stört Boerne „den natürlichen Lauf der Dinge“ als Geist genauso nervig wie sonst auch. Der Kern und der Ablauf der Geschichte von Magnus Vattrodt, grandios umgesetzt von Max Zähle, sind aber höchst interessant und ungemein spannend.

Boerne ist eigentlich auf dem Weg in einen längeren Urlaub, um ein Buch über den Tod zu schreiben, als ihn sein Vertreter Dr. Jens Jacoby (Hans Löw), der sich rasch als gemeiner Hochstapler entpuppt, auf offener Straße mit einer Insulin-Spritze fahruntüchtig macht und dadurch den Unfall verursacht. Thiels Bauchgefühl, dass an dem Unfall etwas nicht stimmt, wovon Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) natürlich erst einmal nichts wissen will, und Alberichs Gespür für die Anwesenheit von Boernes Geist führen letztlich zu Boernes Rettung in letzter Minute. Dazwischen wird der arme Professor immer wieder mit der Vorhölle konfrontiert, einer typisch deutschen Version mit Formularen für jede Eventualität inklusive Widerspruch, in der man ganz ordentlich eine Nummer ziehen und dann geduldig bis ewig warten muss, bis man an der Reihe ist. In der Vorhölle hat auch Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) ihren letzten Auftritt. Sie begegnet Boerne ein letztes Mal, ehe es für sie „nach oben“ geht, während der Professor etwas später 229 Etagen nach unten geschickt wird.

Auch wenn man anfänglich der Vorhöllen-Geschichte etwas skeptisch gegenüberstehen mag, im Verlauf der Ereignisse wird eine ungeheure Spannung aufgebaut, der man sich kaum entziehen kann. Dazu die wie immer grandiosen Sprüche, das großartige Zusammenspiel des Münsteraner Teams, das herzige letzte Zusammentreffen mit Nadeshda und Boernes Widerwille, sich mit seinen charakterlichen Schwächen auseinanderzusetzen, machen den Tatort „Limbus“ außergewöhnlich unterhaltsam. Bitte mehr davon! /sis

 Boerne (Jan Josef Liefers, rechts) findet sich im Limbus – der Vorhölle – wieder. Der Herr, der hier das Sagen hat, sieht Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) zum Verwechseln ähnlich, ist aber ein Bürokrat, wie er im Buche steht. (Foto: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin Valtentin Menke)

Nicht der beste Tatort aus Münster!

Nicht der beste Tatort aus Münster!
Kritik zum Tatort Münster „Väterchen Frost“
ARD/WDR Tatort “Väterchen Frost”: Die Heldin dieser Tatort-Folge aus Münster war zweifelsohne Kommissarin Nadeshda Krustenstern (Friederike Kempter, links) hier mit der wie immer recht herrischen Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann, rechts). (Foto: WDR/Martin Valentin Menke)
Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl, links), Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers, Mitte) und Silke Haller (ChrisTine Urspruch, rechts) hoffen auf dem Friedhof neue Erkenntnisse zu gewinnen. (Foto: WDR/Martin Valentin Menke)

Das war sicher nicht der beste Tatort aus Münster, obwohl auch diesmal das beste aller Autorenteams – nämlich Jan Hinter und Stephan Cantz – für das Drehbuch verantwortlich zeichnen. Woran lag es? Die Geschichte an sich war gut, keine Frage. Spannung fehlte aber ganz, auch wenn Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) in Hochform waren. Ursache für die Schwäche war wohl die Tatsache, dass Thiel und Boerne genauso wie Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann), Boernes Assistentin Silke Haller (ChrisTine Urspruch) und Herbert Thiel (Claus D. Clausnitzer) allesamt eher eine untergeordnete Nebenrolle spielten. Die wahre Heldin der Geschichte war Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter). Das ist an sich natürlich durchaus in Ordnung, doch genau hier begingen die Autoren den Fehler, die romantische Schwärmerei zwischen Nadeshda und ihrem Entführer Artjom Sascha (Alexander Gersak) viel zu früh beginnen zu lassen. Das nahm dem Fall die Dynamik, dem Zuschauer das Mitfiebern um die entführte Kommissarin und dann recht rasch auch noch den Spaß am Mitraten. Viel zu schnell waren die Hintergründe um den eigentlichen Killer Jörn Weig (großartiger David Bennent) und die Juwelierin Frau Lang (Heike Trinker) zu erahnen. Wenig überzeugend war dann auch noch der wegen Grippewelle unterbrochene Prozess, wobei die Grippewelle fortan in der gesamten Geschichte nicht mehr vorkam. So überschwänglich eingeführt, hätte man mehr aus diesem Umstand erwartet.

Wie immer beim Münsteraner Tatort waren einige Pointen gut gesetzt, das Zusammenspiel zwischen Thiel und Boerne wirkte perfekt, auch wenn von den sonst üblichen Kappeleien diesmal kaum etwas zu spüren war. Weihnachtsharmonie? Vielleicht! Aber gewiss nicht nötig! /sis

Auf zum Weihnachtsmarkt: Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann, Mitte) überredet Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl, links) und Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers, rechts) noch zu einem Glas Glühwein – oder besser: Sie befiehlt es ihnen. (Foto: WDR/Martin Valentin Menke)

Ein guter Krimi kommt auch ohne Gewalt aus

Ein guter Krimi kommt auch ohne Gewalt aus
Kritik zum Tatort Münster „Lakritz“
ARD/WDR Tatort “Lakritz”: Riecht verdächtig? Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers, l) und Frank Thiel (Axel Prahl, r) untersuchen eine Dose Lakritz im Haus des Opfers. (Foto: WDR/Willi Weber)
Silke Haller (ChrisTine Urspruch, l) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers, r) sind sich einig: Das Todesopfer, Marktmeister Wagner riecht nach tödlicher Blausäure. (Foto: WDR/Willi Weber)

Das war endlich wieder ein Tatort, wie ihn sich Krimifreunde wünschen. Münster mit dem unvergleichlichen Ermittlerduo Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Gerichtsmediziner Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) ist in der Tatort-Reihe immer ein Garant für Erfolg und so enttäuschte auch die neueste Folge mit dem Titel „Lakritz“ nicht. Vielmehr verwob Drehbuchautor Thorsten Wettcke lehrbuchmäßig anfangs scheinbar zusammenhanglose Erzählstränge am Ende zu einer dichten, gut nachvollziehbaren Geschichte, die nur zwei Fragen offen ließ: Wie kam der Täter an das tödlich Gift und wie konnte er die Lakritze des Konkurrenten in der Wohnung des Opfers mit dem Gift präparieren? Das war die einzige Schwäche dieses Tatorts, der wie immer aus Münster mit sehr viel niveauvollem Humor daherkam. Es ging nur um die Geschichte, die keinerlei Spezialeffekte benötigte, keine Gewalt, keine Schießereien, ja sogar die sonst obligate Verfolgungsjagd konnte entfallen. Einfach großartig. Es gab zwar nicht viel Spannung, dafür aber konnte der Zuschauer von der ersten bis zur letzten Minute mitraten, wer denn nun den Marktmeister Wagner getötet hatte, wobei noch lobend zu erwähnen wäre, dass der wahre Täter bereits früh in die Geschichte eingeführt und bis zum Schluss geschickt getarnt wurde. Das ist Krimi, wie man ihn öfter sehen möchte. Auch ein paar Überraschungen hatte die Geschichte, die Teile aus Professor Boernes Jugend in Rückblenden erzählte, zu bieten. So kam Thiel plötzlich als Gesundheitsapostel daher, verbat sich sämtliche Schlemmereien und entwickelte sogar sportliche Ambitionen. Thiel war joggen – ob die Erdbebenwarte da wohl leichte bis mittelschwere Erschütterungen registriert hat? Natürlich hielt die Phase nicht lange an, am Ende des Films schwenkte Thiel wieder genüßlich eine Wurst und Boerne kam mit einer Flasche edlen Rotweins daher. Neu aber waren die teils innigen Freundschaftsbekundungen der sonst eher von einander genervten Paarung. Eine weitere Überraschung war Boernes plötzlicher Anfall von heftiger Zuneigung für seine „kleine“ Assistentin Alberich alias Silke Haller (ChrisTine Ursprung) und Staatsanwältin Klemms (Mechthild Großmanns) nicht ganz legales Verlangen, kompromittierendes Material namhafter Münsteraner Bürger in ihrem privaten Archiv aufzubewahren. Ausgerechnet die sonst so untadelige Staatsanwältin. Eine weitere angenehme Überraschung war die Rückkehr von Thiels Assistentin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter), die in der letzten Folge aus Münster schmerzlich vermisst worden war. Und zuguter letzt überraschte auch Thiels “Vaddern” Herbert (Claus D. Clausnitzer) in dieser Geschichte mit seiner persönlichen Weiterentwicklung vom gewöhnlichen “Kiffer” zum selbsternannten “Schamanen”. Köstlich!

Das Team aus Münster hat auch mit der neuesten Folge bewiesen, dass der Tatort gar keine filmischen Experimente braucht, dass Krimi und Humor durchaus zusammenpassen, solange die Komik in pointierte Dialoge eingebettet ist und nicht nur groben Klamauk referiert. Und dieser Tator unter der Regie von Randa Chahoud hat eindrucksvoll bewiesen, dass ein guter Krimi auch ganz ohne Gewalt auskommen kann. Weiter so! /sis

Stöbern im Keller nach Spuren aus Boernes Kinderheit: Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) und Frank Thiel (Axel Prahl) wühlen sich durch alte Kisten. (Foto: WDR/Willi Weber)

Spannung trifft Humor

Spannung trifft Humor
Kritik zum Tatort Münster „Spieglein, Spieglein“
ARD/WDR Tatort “Spieglein, Spieglein”: Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers, l), Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl, vorn), Silke Haller (ChrisTine Urspruch) und Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann, r) sind entsetzt, dass sie Schuld am Tod ihrer Doppergänger sein sollen. (Foto: WDR/Thomas Kost)

Kaum zu glauben aber wahr, der neue Tatort aus Münster „Spieglein, Spieglein“ wusste wieder zu überzeugen, auch wenn die Kritiken im Vorfeld eher gegenteiliges voraussagten. Natürlich kann es nur Fantasie sein, wenn in der nordrhein-westfälischen Domstadt Münster unter etwas mehr als 300.000 Einwohnern gleich fünf Doppelgänger ausgemacht werden. Dennoch handelte es sich um eine kluge Geschichte mit viel Tempo gepaart mit Spannung und dem ganz besonderen Humor, ohne dabei die Ernsthaftigkeit einer Mordermittlung zu vernachlässigen. Das können eben nur Thiel (Axel Prahl) und Professor Boerne (Jan Josef Liefers). Die Charaktere blieben sich selbst treu und verloren auch angesichts der skurrilen Geschehnisse nicht den Respekt vor ihrer Arbeit, was leider nicht alle Tatort-Ermittlerteams von sich behaupten können. Auch wenn es ein paar Schwächen gab. So war Thiels Assistentin Nadeshda Krusenstern zwar beurlaubt – weil Schauspielerin Friederike Kempter ihr erstes Kind bekommen hat und sich während der Dreharbeiten noch in Mutterschutz befand -, trotzdem war sie an den Ermittlungen rund um den 14. Fall „Wolfsstunde“ mit dem Sexualmörder Sascha Kröger (Arnd Klawitter) beteiligt, auf den diese Folge aufbaute. Mithin hätte logischerweise auch sie Ziel des Racheaktes sein müssen. Für alle Münsteraner Protagonisten hat Krögers Verlobte Birgit Brückner (Kathrin Angerer) Doppelgänger gesucht und gefunden, neben Thiel und Boerne eben auch für Staatsanwältin Klemm (Mechthild Großmann), Boernes Assistentin Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch) und sogar Thiels Vater Herbert (Claus D. Clausnitzer), nur für Nadeshda nicht! Und als Thiel seinen Vater ermordet glaubte – in dieser Szene ganz ausgezeichnet gespielt von Axel Prahl -, hätte er eigentlich schon von fern erkennen müssen, dass es sich am Tatort nicht um das Taxi seines Vaters handelte.

Kleine Schönheitsfehler, die den Gesamteindruck indes nicht trüben können. Die Geschichte von Drehbuchautor Benjamin Hessler war schlüssig und die Mörderin handelte mit durchaus nachvollziehbaren Motiven, Grundvoraussetzung für einen guten Krimi. Dazu kommen mit dem selbstverliebten Boerne und dem eher zurückhaltend eitlen Thiel zwei großartige Charaktere, die in dieser Konstellation ganz einfach nicht zu übertreffen sind. Der Tatort aus Münster war deshalb wieder ein wahres Vergnügen für alle Krimifreunde, das gerne wiederholt werden darf. /sis

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