Hundeerziehung ohne Stress für Mensch und Tier (Teil III)

Missverständnisse beherrschen den Alltag

Wölfe müssen auf der Jagd zusammenarbeiten. Verletzungen zum Beispiel wegen Kämpfen um die Rudelführerschaft würden das ganze Rudel schwächen. Foto: Vincent Boulanger/Pixabay)
Wölfe müssen auf der Jagd zusammenarbeiten. Verletzungen zum Beispiel wegen Kämpfen um die Rudelführerschaft würden das ganze Rudel schwächen. (Foto: Vincent Boulanger/Pixabay

 

Ging es in den ersten beiden Teilen der Reihe um Lern- und ungeeignete Erziehungsmethoden, wollen wir uns im dritten Teil mit den Missverständnissen beschäftigen, die uns den Alltag mit unseren Hunden schwer machen. Wenn Erziehung nicht ordentlich stattgefunden hat und das Verständnis für den Hund fehlt, dann kommen die Tiere nicht selten ins Tierheim mit dem Argument: Der Hund ist aggressiv, er bedroht oder beißt gar die Familienmitglieder. „Der Hund ist dominant“, heißt es dann meist! Er will den Menschen beherrschen, ihn unterordnen. Das machen alle Hunde so, sie wollen im “Rudel bestimmen”. Wenn diese Überlegung stimmt, dann hieße das: Jeder Hund steht morgens auf, um zu schauen, ob er inzwischen die Herrschaft übernehmen kann! Und das ist natürlich ein völliger Unsinn. Nie hat es im Verhältnis Mensch/Hund je ein größeres Missverständnis gegeben als mit Blick auf die so genannte Dominanz. In diesem Zusammenhang wird dann gerne auf den Alphawolf im Wolfsrudel verwiesen. Aber: In dem Moment, in dem der Alphawolf sein Rudel mit Dominanz beherrschen muss, verliert er auch schon! Der Alphawolf ist souverän und niemals dominant! Im Wolfsrudel gilt das Prinzip des “Überlebens”. Überleben kann ein Rudel nur dann, wenn es gemeinsam – also mit allen verfügbaren Kräften – jagen kann. Streitigkeiten im Rudel mit Dominanz auszuräumen, hieße eine Unmenge Energie zu vergeuden, Energie, die zur Jagd gebraucht wird. Auf den Hund gebracht heißt das wiederum: Wenn Herrchen und Frauchen ihren Hund nur mit Dominanz beherrschen, braucht der Hund nur auf eine Schwäche zu warten, um den “Alpha” abzusetzen! Einen Hund dominieren zu wollen, ist mithin auch mit Blick auf das in diesem Zusammenhang gern zitierte Wolfsrudelverhalten absolut falsch. Dazu ein Tatsachenbericht: Ein Hundetrainer rühmte sich lange Zeit, alle Hunde zu “dominieren”! Mit Strenge herrschte er über die Tiere, mit Strenge und unbedingtem Verlangen nach Gehorsam erzog er sie. Die Hunde ließen sich das über einen langen Zeitraum widerstandslos gefallen. Bis der Trainer eines Tages mit einer Grippe auf den Trainingsplatz kam. Einer der Hunde griff ihn an! Er hatte die “Schwäche” des “Alphas” erkannt und ihn abgesetzt! Dieser Trainer ist nie mehr auf einen Trainingsplatz gegangen. Gut so! Und hier sind wir wieder an dem Punkt, den wir schon einmal hatten: Es kann immer etwas passieren! Man steckt nicht im Kopf seines Hundes. Wenn wir also weiter unsere Hunde auf den unzähligen Hundeplätzen und in Hundeschulen mit dem Ziel der “Dominanz” erziehen, dann schaffen wir uns die Monster, die Menschen angreifen letztlich selbst. Wer den Hund mit Dominanz behandelt, verliert seine Souveränität. Und wer seine Souveränität verliert, dessen Alpha-Position ist schon angekratzt! Der Hund braucht nur noch auf die Schwäche zu warten!

Ein Alphaproblem hat auch jeder “Wachhund”. Sie schaffen sich einen Hund an, der Sie bewachen soll. Dann müssen Sie ihm auch die berühmt-berüchtigte “Alpha-Position” in Ihrem Leben einräumen. Denn: In einem Wolfsrudel verteidigt nur ein einziger Hund eventuell attackierte andere Rudelmitglieder: der Alpha! Wenn Sie Ihrem Hund diese Alpha-Position nicht einräumen, dann müssen Sie ihn verteidigen. Wenn Sie also auf der Straße einem anderen Hund begegnen, der Ihren Hund angreift, dann müssen Sie dazwischen gehen und Ihren Hund verteidigen! Verlangen Sie, dass Ihr Hund Sie beschützt, dann können Sie nicht die Nummer eins im Rudel sein! Wenn Sie die Nummer eins sein wollen, dann müssen Sie auch die Aufgaben der Nummer eins übernehmen! Das sind die typischen Missverständnisse zwischen Mensch und Hund, die nicht selten in Aggressionen münden.

 Der Hund spricht nicht unsere Sprache!

Ein Husky muss laufen, jeden Tag! (Foto: StockSnap/Pixaby)

Die Hauptprobleme mit den Hunden entstehen, weil sie zu wenig Auslauf haben. Hier muss man den eingangs in Zusammenhang mit der Auswahl des Tieres näher beleuchteten Aspekt des “Lebenssinns des Hundes” im Auge haben. Ein Husky muss laufen! Und ein Hund muss beschäftigt werden! Man kann nicht erwarten, dass er den ganzen Tag friedlich in der Ecke liegt, bis man selbst Lust und Laune verspürt, ein paar Schritte mit ihm um den Block zu trollen! Und Probleme entstehen, weil wir die Körpersprache der Hunde nicht beherrschen. Der Hund aber “liest” den Menschen. Wenn nun Stimmlage und Körpersprache nicht zusammenpassen, dann kommt es zwangsläufig zu Konfliktsituationen, die natürlich beileibe nicht immer besonders ernsthaft ausfallen müssen. Also: Hunde lesen unsere Körpersignale ganz exakt. Beispiel: Der Hund soll zu uns kommen, er ist uns vielleicht beim Spaziergang zu weit weggelaufen. Wir brüllen mit lauter Stimme und gestikulieren mit den Arm: Kommst du jetzt endlich her! Der Hund hört unsere durch die Lautstärke und Aufregung hohe Stimme und versteht: “Das machst du aber gut! Mach weiter!” Die hohe Stimme bedeutet für ihn etwas Positives! “Alles in Ordnung mein Junge, renn nur weiter!” Das Gestikulieren mit den Armen und die Nervosität wertet er aber als negativ: Mann, denkt er, ist Frauchen wütend, da bleib ich doch lieber weg! Noch besser wird es, wenn wir nun hinter dem Hund herrennen. Wir schreien laut “kommst du her!” und rennen los. Der Hund denkt: Tolles Spiel! Mal sehen, ob sie mich kriegt! Das “Sen der Hundeerziehung” ist aber: Tief Luft holen und immer die Ruhe bewahren!

Dass Hunde sehr feine Antennen für Stimmungen haben, weiß jeder, der einen Hund besitzt. Er spürt jede noch so kleine Aufregung. Ein klassisches Beispiel dafür ist die bereits erwähnte Begegnung mit einem anderen Hund: Der Hund wird die Aufregung, Befürchtung, Nervosität, was auch immer, die Frauchen oder Herrchen schon lange vor der eigentlichen Begegnung ausstrahlen spüren, er empfindet diese Aufregung als “Bedrohung”. Und wird gleichfalls nervös! Wenn Sie jetzt auch noch anfangen zu flüstern, haben Sie schon verloren: Hunde (und Wölfe) sind nur aus zwei Gründen ganz leise: Beute oder Feind in der Nähe! Entsprechend hoch ist die Aufmerksamkeit des Hundes, wenn Herrchen oder Frauchen mit leisen Tönen kommen! Deshalb gilt: Sich selbst und die Signale, die man dem Hund übermittelt, genau kontrollieren und mit Blick auf das Hundeverständnis abstimmen.

Aggressionsauslöser finden und vermeiden

Wer von seinem Hund beschützt werden will, muss ihm auch die Rolle des Beschützers lassen. (Foto: Pehjakroon/Pixabay)

Auf den Alltag übertragen bedeutet dies: Es gilt Aggressionsauslöser zu finden und in der Folge zu meiden. Wenn der Hund also beim Spaziergang auf andere Hunde mit Aggression reagiert, ist es besser, die Begegnung zu vermeiden. Aggressionsauslöser können nun unterschiedlichster Art sein. Sie können auf den beispielhaft aufgeführten und zahlreichen anderen Missverständnissen basieren. Der Hund hat nicht gelernt, dem Menschen zu vertrauen, er ist nicht “erzogen”, er wurde mit Gewalt “erzogen” oder er zeigt rassespezifische Verhaltensprobleme. Hier sind wir also wieder beim Zuchtziel. Ist das Zuchtziel Schutzhund, Wachhund, dann habe ich einen Alpha-Hund. Will ich diese Position, habe ich ein Problem. Jagdhund: Er rennt nach allem, was sich bewegt. Hütehund: Er hat einen ausgeprägten “Schutztrieb”, und so weiter und so weiter. Also muss jeder Hund in erster Linie nach seinen rassespezifischen Merkmalen eingeordnet werden. Auch gab und gibt es bei bestimmten Rassen in der Zucht Probleme: Man erinnere sich in diesem Zusammenhang an die Golden Retriever-Wut. Damit kann man einen Teil der möglichen Aggressionsauslöser schon festschreiben. Dann muss das Verhalten des Tieres beobachtet werden. Nicht gewünschtes Verhalten muss anhand geeigneter, dem Tier entsprechenden Trainingsmethoden abtrainiert werden. Und das mit Ruhe und Geduld!

Häufiger Auslöser von Aggressionen sind auch nicht erkannte Schmerzen. Man kennt das Phänomen von den Jagdhunden: Wenn sich ein Jagdhund während der Jagd verletzt, rennt er so lange der Beute hinterher, bis er sie endgültig hat. Erst dann bricht er zusammen und schreit vor Schmerzen. Der Grund ist ein von der Natur vorgegebener. Die Aggression schüttet im Gehirn das gleiche Hormon aus, wie beim schnellen Hinterherhetzen etwa hinter einer Beute. Dieses Hormon dämpft den Schmerz. Wenn also ein Hund urplötzlich “aggressiv” reagiert und dann nicht selten seine eigenen Familienmitglieder angreift, dann kann das auch auf einen Schmerz hindeuten. Bekannt ist hier beispielsweise der Fall eines Rottweilers: Er griff sein Frauchen völlig unvermittelt nach einem langen Spaziergang an. Der Hund lag müde auf dem Flur. Als sein Frauchen an ihm vorbeigehen wollte, sprang er auf und biss sie in den Arm. Die Frau ließ ihren Hund nicht einschläfern, wie ein bekannter Schlagerstar, sondern brachte ihn zum Tierarzt. Der fand heraus, dass der Hund an einer Hüftgelenksfehlstellung litt. Der Hund wurde operiert und kuriert! Hüftgelenksdysplasie gerne beim Schäferhund, Probleme der Hunde mit Flachnasen, Zahnprobleme und Kopfprobleme bei Hunden mit schmalgezüchtetem Kopf – Dobermann -, übersteigertes Gehör beim Berner Sennenhund, all das sind schon “rassespezifische” Probleme, die bei Aggressionen immer mit ins Kalkül gezogen werden müssen. Auf Aggression gezüchtet werden zum Beispiel sogar die ach so niedlichen West-Highland-Terrier, die einst dazu gebraucht wurden, um Kaninchen aus ihren Bauten zu holen. Wer weiß das aber, wenn er die hübschen kleinen weißen Kerlchen in der Hundefutter-Werbung durch die Wohnung flitzen sieht! Nun kann man einen “wild gewordenen Westie” leicht beherrschen. Einen Rottweiler, Schäferhund, Dobermann oder Mastiff dagegen lässt sich nicht so schnell wieder zur Raison bringen. Aggressionsauslöser zu finden und zu meiden ist da sicher die bessere Lösung. Bleibt noch zu erwähnen, dass mit jedem Aggressionsschub natürlich die Hemmschwelle beim Tier sinkt. Auch hier ist das “Vermeiden” die bessere Lösung als das gewaltsame Beenden einer dann bereits bestehenden Aggressionssituation.

Körpersignale beachten

Die Rasse eines Hundes hat viel mit seinem instinktiven Verhalten zu tun. (Foto: JamesQube/Pixabay)

Aggressionen vermeiden kann man auch durch die ausgesendeten Körpersignale. Zum einen erkennt man an den Signalen des Hundes, in welcher Stimmung er sich befindet. Ein aggressiver Hund stellt das Nackenhaar! Wenn Hunde sich begegnen, sind sehr schön die einzelnen Beschwichtigungssignale zu beobachten: Die Natur hat dem Hund ein ganzes Repertoire an möglichen Signalen mitgegeben, die ihm helfen, einen echten Kampf zu vermeiden. Das gilt im Übrigen auch für die Wölfe. Stellen Sie sich vor, die Kerle würden sich bei ihren Streitereien permanent verletzen, dann wäre wieder der Jagderfolg und damit das Überleben des ganzen Rudels gefährdet. Gehen Hunde frontal aufeinander zu, ist der Kampf vorprogrammiert. Geht einer der Hunde in Schlangenlinien, signalisiert er dem anderen: Ich tu Dir nichts, ich will mal gucken, wer du bist. Interessant in diesem Zusammenhang: Die Kopfstellung. Nicht nur das frontale Aufeinanderzugehen wird vermieden, sondern auch das direkte “Aug um Aug!” Einer der beiden legt den Kopf schief! Diese und zahlreiche andere Signale kann sich auch der Mensch im Umgang mit dem Hund zunutze machen. Ich habe eingangs bereits erwähnt, nie mit der flachen, offenen Hand auf einen Hund zugehen, sondern ihm den Handrücken bieten. Nie dem Hund direkt in die Augen schauen, den Kopf ein wenig schräg halten. Auf die Stimme achten: ruhige, hohe Stimme heißt “alles klar”, tiefe, drohende Stimme “lass das!” Leise Töne bedeuten “Feind oder Beute in der Nähe”. Laute Stimme: “Weiter so”. Es gibt also mit Hilfe der Körpersprache eine ganze Reihe von Möglichkeiten, um sich auch einem fremden Hund gegenüber einigermaßen ungefährdet nähern zu können. Man muss diese Signale aber kennen! Es gibt ausgezeichnete Fachliteratur zum Thema Körpersprache und Ausdrucksverhalten von Hunden und Wölfen.

 

 

Kurz und bündig

Lassen Sie dem Hund seinen Distanzrahmen

Nähern Sie sich ihm mit dem Handrücken

Beobachten Sie sein Verhalten – über einen längeren Zeitraum

Beobachten Sie Ihr Verhalten

Signalisieren Sie ihm durch die Haltung Ihres Kopfes und Ihrer Stimme: Es ist alles in Ordnung.

Und denken Sie daran: Es kann immer etwas passieren. Sie stecken nicht im Kopf dieses Hundes! Wer das nicht akzeptiert, hat das Wesen des Hundes nicht verstanden!

 

Hundeerziehung ohne Stress für Mensch und Tier Teil I finden Sie hier und Teil II hier

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