Zu viele Nachlässigkeiten

Zu viele Nachlässigkeiten
Kritik zum Tatort Dresden „Die Zeit ist gekommen“
ARD/MDR Tatort “Die Zeit ist gekommen”: Gemeinsam mit Peter Schnabel (Martin Brambach) verfolgen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) die Geschehnisse im Kinderheim. (Foto: MDR/W&B Television/Michael Kotschi)
Die Kommissarinnen Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) befinden sich gerade unterwegs, als sie die Nachricht von Louis Bürgers Flucht erreicht. (Foto: MDR/W&B Television/Michael Kotschi)

War es Nachlässigkeit? Oder doch die Überzeugung, dass der Zuschauer es nicht merkt? Wie kann ein und dasselbe Fluchtauto am Ende des Tatorts „Die Zeit ist gekommen“ – ohne Möglichkeit zum Austausch – zwei verschiedene Nummernschilder haben, an der Tankstelle gut sichtbar “TF” und kurze Zeit später im Feld dann “DD”? Derart grobe Fehler dürften eigentlich bei einem Tatort nicht passieren. Das und einige offene Fragen, etwa woher Louis Bürger (Max Riemelt) überhaupt das Auto zur Flucht und Klebeband und Schnur zum Fesseln seines Entführungsopfers Nico (Emil Belton) hatte, trübten den Eindruck der an sich guten Geschichte der Drehbuchautoren Stefanie Veith und Michael Comtesse doch erheblich. Auch die Durchschaubarkeit der Tathintergründe und die entsprechend nachlässigen Ermittlungen des Ausgangsmordes nahmen der Geschichte sehr viel Dynamik. So blieb am Ende nur eine Geiselnahme fast schon aus Versehen, die den Dresdner Kommissariatsleiter Peter Schnabel (Martin Brambach) und die immer noch sehr auf Distanz bedachten Kommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) weit mehr interessierten als der Fall selbst. Immerhin führte dieser Tatort den Zuschauern sehr deutlich vor Augen, was es für einen vermeintlich Verdächtigen heißt, wenn sich die Polizei auf ihn als Täter einschießt, weitere Spuren gar nicht mehr verfolgt, sondern ohne Rücksicht auf Verluste versucht, ihren Verdächtigen zu überführen. Für den armen Louis Bürger, den Gorniak und Winkler sich anhand weniger fragwürdiger Indizien als Mörder seines Nachbarn auserkoren hatten, war das offenbar nicht der erste Fall von Justizirrtum. Schon einmal will er zu Unrecht verurteilt worden sein. Fest entschlossen nicht noch einmal für ein Verbrechen ins Gefängnis zu gehen, das er nicht begangen hat, hilft ihm seine Frau Anna (großartige Katia Fellin) aus der Untersuchungshaft zu entkommen. Mit ihrem zwölfjährigen Sohn Tim (Claude Heinrich), der in einem Kinderheim untergebracht ist, wollen sie nach Kroatien fliehen und dort ein neues Leben beginnen. Doch im Kinderheim treffen die drei auf ein Großaufgebot an Polizei, das geradezu unfähig permanent für weitere Eskalation sorgt, völlig unnötig! Genauso unnötig wie die äußerst grobe Verhaftung Louis Bürgers am Ende seiner Flucht. Zwar hatte er sich nun doch einer Geiselnahme mit Waffengewalt schuldig gemacht, doch konnte man mit ihm und seiner Familie nur Mitleid haben. Und wofür die Zeit denn nun gekommen war, ließ sich auch nicht unbedingt erkennen. War es die Zeit für Louis und seine Familie zu fliehen oder die Zeit für Annas Schwägerin, Tim endgültig von Jugendamt zugesprochen zu bekommen? War es die Zeit für Annas Bruder, seiner Eifersucht freien Lauf zu lassen oder die Zeit für das bis an die Zähne bewaffnete Sondereinsatzkommando, die Geiseln nach langem Zögern doch mit Gewalt aus den Händen der Geiselnehmer zu befreien? Wer weiß?

Die vielen kleinen und großen Nachlässigkeiten jedenfalls reduzierten die grundsätzlich interessante Geschichte leider nur auf Mittelmaß. Dazu kamen einige Längen und wieder einmal viel zu viel Brutalität, die leicht hätte vermieden werden können. /sis

Während der Großteil der Heimkinder in Sicherheit gebracht wird, nähern sich Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) dem Ort der Geiselnahme – einige Kinder befinden sich noch im Gebäude. (Foto: MDR/W&B Television/Michael Kotschi)

Psychothriller mit hohem Gruselfaktor

Psychothriller mit hohem Gruselfaktor
Kritik zum Tatort Dresden „Das Nest“
ARD/MDR Tatort “Das Nest”: Das neue Dresdner Tatort-Team v.l.: Karin Gorniak (Karin Hanczewski), Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) und Leonie “Leo” Winkler (Cornelia Gröschel), (Foto: MDR/Wiedemann und Berg/Daniela Incoronato)

Logisch geht es nicht zu in diesem Tatort aus Dresden mit dem Titel „Das Nest“ aus der Feder des erst kürzlich mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Drehbuchautors Erol Yesilkava. Gleich zum Auftakt passiert ein schwerer Unfall und die offenbar unverletzte Fahrerin läuft einfach weg, mitten in der Nacht auf einer Straße im Nirgendwo. Sie marschiert zufällig genau in das verlassene Hotel, in dem eine Anzahl präparierter Leichen als fröhliche Gästerunde drapiert ist. Menschen, die offenbar niemand vermisst in einer Umgebung, die nicht so leicht zu finden ist! Gleich anschließend versucht die Polizei den Mörder zu stellen, indem sie Oberkommissarin Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) als neue und völlig unerfahrene Kollegin an der Seite von Oberkommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczewski) ganz allein in besagtem Hotel auf den Massenmörder warten lässt. Gorniak wird bei dieser Aktion von dem Täter mit einem Messer schwer verletzt, das SEK schaut untätig zu und Kollegin Winkler wird statt suspendiert auch noch hoch gelobt. Damit nicht genug, zwei Monate nach diesen Ereignissen wird einem potenziell Verdächtigen das Messer mit dem Blut von Gorniak untergeschoben, zwei Monate, in denen der wahre Täter Christian Mertens (Benjamin Sadler), ein intelligenter Chirurg, besagte Tatwaffe nicht etwa gereinigt und entsorgt, sondern schlicht in einer Plastiktüte verpackt samt Blut aufbewahrt hat. Wozu? In einer weiteren Szene trägt eben dieser Christian Mertens seine bereits erwachsene, schwer übergewichtige Tochter wie ein Fliegengewicht quer durchs Haus und auch seine Frau Nadine (Anja Schneider) kommt nicht auf die Idee, dass es mit ihrem wiederholt plötzlichen Tiefschlaf nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann. Und zu guter Letzt hat der Täter für all den Irrsinn nur eine Erklärung: Er will töten, das ist seine Natur. Komisch nur, dass er nicht schon früher aufgefallen ist. Ein schlüssiges Motiv fehlt ebenso wie die Erläuterung, warum er die Leichen konserviert und zur Schau stellt. Für wen?

Mit Logik hatte dieser Tatort also absolut gar nichts zu tun, dafür aber viel mit Psychoterror. Der Massenmörder kannte keine Gnade und machte aus seinen Mordgelüsten keinen Hehl. Auch die neue Kollegin legte leicht profilneurotische Züge an den Tag, war mehr darauf bedacht, ihrem Chef Peter Schnabel (Martin Brambach) und dem ehrgeizigen Vater Otto Winkler (Uwe Preuss) zu gefallen, statt ihrer Partnerin beizustehen. Und selbst Karin Gorniak war am Ende so von Hass und Abscheu erfüllt, dass sie den Täter am liebsten abgeschlachtet hätte. Kein Krimi also, sondern ein astreiner Psychothriller, der mit einem hohen Gruselfaktor die fehlende Spannung aber mehr als wett machte. Es bleibt zu hoffen, dass die „Neue“ sich noch ins Dresdner Team einfindet und nicht der Zickenkrieg zwischen Winkler und Gorniak künftig den Tatort aus Dresden bestimmt.  

Ganz nebenbei kann „Das Nest“ aber wunderbar als Lehrstück für angehende Drehbuchautoren dienen, enthält dieser Tatort doch den kompletten Bauplan für einen gelungenen Film. Sämtliche Wendepunkte sitzen genau da, wo sie zu sitzen haben, der Höhepunkt in der Mitte wird schön herausgearbeitet mit der Enttarnung des Täters und von da an geht es lehrbuchmäßig bergab bis zum unvermeidlichen Showdown am Ende. So klar erkennbar sind die einzelnen Bestandteile, aus denen ein Film gestrickt wird, nur sehr selten. /sis

Karin Gorniak ist voller Hass und Abscheu für den Täter. Das Ende des Films bleibt offen, ob Gorniak und ihre neue Partnerin Leonie Winkler den gestellten Massenmörder aus Notwehr erschießen oder ihn doch gezielt hinrichten. (Foto: MDR/Wiedemann und Berg)
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