Intervallfasten befreit die Zellen von molekularem Schrott

Intervallfasten befreit die Zellen von molekularem Schrott
Im Gespräch mit Molekularbiologe Slaven Stekovic von der Universität Graz
Wer abnehmen will muss auf die Ernährung achten. Intervallfasten allein reicht nicht auf dem Weg zum Traumgewicht.

Was ist daran an den grandiosen Schlagzeilen über die sagenhaften Gewichtsverluste beim Intervallfasten? Was macht diese Ernährungsmethode so viel besser als andere Diäten? Diese und einige andere Fragen hat “besser-klartext.de” Molekularbiologe Slaven Stekovic von der Universität Graz gestellt. Stekovic hat im Forschungsteam von Professor Frank Madeo mitgearbeitet, der bekannt ist für seine Studien über die Auswirkungen von Intervallfasten auf den Menschen.

Herr Stekovic, kann es überhaupt sein, dass man bei völlig unverändertem Essverhalten allein durch Intervallfasten etliche Kilo die Woche verliert? Das hört sich fast so an, als ob die alte Weisheit – wer mehr Kalorien aufnimmt, als er verbraucht, bekommt auf Dauer Gewichtsprobleme – beim Intervallfasten keine Gültigkeit mehr hat. Das kann doch nicht sein, oder?

Slaven Stekovic: Regelmäßige Fastenintervalle verändern unseren Stoffwechsel eindeutig, vor allem auf der zellulären Ebene. Dadurch werden unterschiedliche Mechanismen in der Zelle eingeschaltet, unter anderem auch die Autophagie – ein zelluläres “Recycling”-Programm, das dafür sorgt, dass defekte Moleküle und Organellen (zum Beispiel alte Proteine oder nicht-funktionierende Mitochondrien) aus der Zelle entfernt werden. Dadurch wird der Zelle über einen alternativen Weg die Energie zur Verfügung gestellt und als positiver Nebeneffekt wird die Zelle von dem “molekularen Schrott” befreit. Gerade das Zweite hat einen positiven Effekt auf die Funktion verschiedener Zellen und wurde in unterschiedlichen Organismen und mit Hilfe von mehreren Methoden mit Langlebigkeit in Verbindung gesetzt. Gewichtsreduktion ist beim Intervallfasten nur ein zusätzlicher Nebeneffekt, zumindest aus der Sicht eines Alters- und Zellforschers. Ob Gewichtsreduktion tatsächlich nur durch die Essenspausen oder durch dadurch verursachte aber experimentell nicht bestätigte Kalorienreduktion entsteht, ist aus den meisten Studien nicht wirklich ersichtlich. Kalorieneinnahme und -verbrauch sind immer noch gültig als Richtlinie für die Erhaltung oder Regulation des Körpergewichts. Allerdings muss man betonen, dass unser Lebensstil, inklusive unsere Essensgewohnheiten und gerade verschiedene Formen des Fastens und Kalorienreduktion, die metabolische Rate im Körper verändern können. 

Was ist denn beim Intervallfasten anders, vielleicht besser als bei anderen Ernährungsmethoden? Man muss doch in den Essensintervallen auch auf ausgewogene Ernährung achten mit allen Vitaminen und Mineralstoffen. Das ist bei keiner Diät anders.

Slaven Stekovic: Richtig! Was die Einnahme der essentiellen Mikro- und Makronährstoffen betrifft, sind verschiedene Fastenmethoden gleich wie andere diätetische Eingriffe. Es soll immer darauf geachtet werden, dass der Körper ausreichend Vitamine, Mineralien und andere gesundheitsrelevante Stoffe bekommt. Die Vorteile des Fastens liegen eher im Bereich der menschlichen Psychologie und unserer molekularen Regulation. Kontinuierliche Restriktionen verschiedener Nahrungsmittel und strikte Regulation der Nahrungsaufnahme verlangen sehr viel Disziplin. Dadurch ist es schwierig, eine sehr spezifische Diät langfristig umzusetzen. Diese werden daher eher als akute Eingriffe in unsere Ernährung verwendet. Intervallfasten lässt sich gut mit einer ausgeglichenen Ernährung kombinieren und wird sehr schnell zu einer Gewohnheit. Deswegen behaupten viele “Faster”, dass Intervallfasten “keine Diät, sondern ein Lebensstil” ist. Anders als bei vielen anderen Eingriffen in unsere Ernährung beeinflusst das Intervallfasten unser Sozialleben nur marginal, da die Ernährungsänderung nur in bestimmten zeitlichen Intervallen und nicht kontinuierlich praktiziert wird. 

Abgesehen von den sozialen Aspekten des Intervallfastens scheint ein regelmäßiger Nahrungsverzicht synchron mit unserer Biologie zu sein. Gerade in den letzten Jahrzehnten kamen einige bahnbrechende Ergebnisse aus dem Bereich der Chronobiologie, die sich mit periodischen Veränderungen in den biologischen Systemen auseinandersetzt. Für eine dieser Entdeckungen wurde sogar der Nobelpreis für Medizin und Physiologie in 2017 verliehen. Gleich wie bei der Lichtexposition scheint das Timing der Nahrungsaufnahme eine große Rolle in der Regulation verschiedener Gene zu spielen. So zeigte Professor Satchidananda Panda vom Salk Institut for Biological Studies, La Jolla, USA, dass Intervallfasten und Lichtexposition einige gemeinsame Genfamilien in den Zellen aktivieren können. Diese rhythmischen Veränderungen in unseren Zellen und unserem Körper können großen Einfluss auf das Risiko für verschiedene Erkrankungen haben und interessanterweise sind einige dieser Veränderungen auch mit Langlebigkeit und Methoden zur Lebensverlängerung in Verbindung zu setzen. Dieser Bereich der Biologie ist allerdings sehr jung und die nächsten Jahrzehnten werden uns helfen, einen tieferen Einblick in die zeitliche Regulation unserer Biologie zu bekommen.

Welche weiteren positiven Auswirkungen außer einer Gewichtsregulierung sind denn beim Intervallfasten zu erwarten?

Slaven Stekovic: Wie schon erwähnt, schaltet das Fasten die Autophagie ein. Dieser Prozess sorgt dafür, dass unsere Zellen den “molekularen Schrott” abbauen und aus alternativen Quellen Energie gewonnen wird. Die Erforschung dieses Prozesses wurde auch in 2016 mit dem Nobelpreis für Medizin und Physiologie ausgezeichnet. Die Wirkungen der Autophagieeinschaltung haben vor allem einen Effekt auf die zelluläre Langlebigkeit und Funktion. So kann durch die Einschaltung der Autophagie durch das Fasten oder verschiedene Naturstoffe (zum Beispiel Resveratrol, Spermidin, Rapamycin) die zelluläre Lebensspanne und unter bestimmten Umständen auch die Lebensspanne verschiedener Organismen verlängert werden. Die Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf Menschen wird gerade erforscht und in den nächsten zwei bis drei Jahren werden wir mehr über die Rolle der Autophagie bei der Lebensverlängerung wissen. Einschaltung der Autophagie steht auch in Verbindung mit der Risikosenkung für Herz- und Demenzerkrankungen, da intrazelluläre Ablagerungen dadurch beseitigt werden und die Zellfunktion länger erhalten bleibt. Fasten scheint auch bei Depressionen und Multiple Sklerose eine positive Wirkung zu haben. Weitere Studien dazu sind allerdings notwendig, bis wir wirklich genauer wissen, wie und unter welchen Bedingungen das Fasten hier eine Rolle spielt. 

Spielt die Dauer des Fastenintervalls eine Rolle und wenn ja, welche Intervalle empfiehlt die Ernährungsforscher? Was ist für den Körper besser: 16:8 oder 5/2 oder ein anderer Zeitrahmen?

Slaven Stekovic: Wir wissen es noch nicht genau, welcher zeitliche Abstand zwischen den Mahlzeiten für den Körper am besten geeignet ist. Das hängt stark von anderen Lebensgewohnheiten ab und sehr wahrscheinlich von unseren Genen. Neben den 16:8 und 5/2 Methoden gibt es zum Beispiel die sogenannte ADF (Alternate Day Fasting) Methode, in Österreich und Bayern bekannter als 10in2. Diese Methode wurde auch im Rahmen einer unserer Studien untersucht. Dabei handelt es sich um einen zweitägigen Zyklen von einem Fastentag und einem Esstag. Wir hoffen, dass wir im Laufe dieses Jahres die Ergebnisse dieser Studie veröffentlichen können.

Wie lange kann man Intervallfasten? Wochen, Monate, Jahre? Was ist noch gesund?

Slaven Stekovic: Diese Frage lässt sich noch nicht präzise beantworten. Grundsätzlich konnte die Wissenschaft noch keine Beweise liefern, die einen negativen Einfluss des Intervallfastens bestätigen konnten. Es ist eher wahrscheinlich, dass Intervallfasten langfristig positive Effekte auf die Biologie der Säugetiere und somit der Menschen haben kann, wie manche Studien von Professor Valter D. Longo (University of Southern California) und Rafael D. Cabo (National Institute on Aging) zeigen.

Es gibt eine Studie, die im Intervallfasten auch Risiken sieht: „Forscher der Universität von Sao Paulo in Brasilien haben beim jährlichen Treffen der European Society of Endocrinology in Barcelona eine neue Studie über die Auswirkungen des Intervallfastens präsentiert. In einem Experiment an Ratten fanden die Wissenschaftler heraus, dass Intervallfasten zwar zu Gewichtsverlust führen, allerdings auch der Bauchspeicheldrüse schaden und die Funktion des Hormons Insulin, das den Blutzucker reguliert, beinträchtigen kann, was wiederum zu Diabetes führen könnte.“  Wie stehen Sie dazu? Wie ist die Studienlage, gibt es neue Erkenntnisse?

Slaven Stekovic: Diese Studie wurde noch nicht veröffentlicht (es handelt sich nur um einen Abstract von einer Konferenz). Daher kann ich diese Ergebnisse noch nicht kommentieren. Je nach der Methode (Form des Intervallfastens, Zusammensetzung der Nahrung, Alter der Tiere) und durchgeführten Messungen können diese Ergebnisse für Menschen mehr oder weniger relevant sein. Grundsätzlich benötigen wir mehr Studien an Modellorganismen und vorsichtig durchgeführte klinische Studien, um die Effekte des Fastens auf unsere Biologie und Alterungsprozesse zu verstehen.

Was sollte auf jeden Fall vor dem Fastenbeginn beachtet werden?

Slaven Stekovic: Wer auf jeden Fall nicht fasten sollte, sind Kinder und Schwangere. Dies wird nicht oft genug betont, aber während des Wachstums des Körpers, ist es essenziell, ausreichend Nährstoffe zur Verfügung zu haben. Daher sollte das Intervallfasten in der Regel vor dem 25. Lebensjahr nicht empfohlen werden. Grundsätzlich ist es aber wichtiger, während als auch vor dem Fasten gewisse Sachen zu beachten. Zum Beispiel sollte man auf ausreichende Flüssigkeitsaufnahme und ausreichend Bewegung achten. Eine ausgewogene Ernährung ist sehr wichtig, denn der Körper bekommt nicht laufend die Möglichkeit, verschiedene Stoffe aufzunehmen. Aus praktischen Gründen ist es einfacher, unter der Woche zu fasten als am Wochenende, da wir unter der Woche mit anderen Sachen beschäftigt sind und den Heißhunger dadurch leichter überstehen. 

Vielen Dank für das Gespräch! /sis

Slaven Stekovic betreibt einen eigenen Blog (stekovic.com), auf dem er über seine Forschungen zu Langlebigkeit und Alter berichtet.

Mehr über die “InterFAST” Studie von Professor Madeo gibt es unter http://www.naturalrhythmeating.org/.  

Die Ergebnisse der Studie über ADF (Alternate Day Fasting), von der Slaven Stekovic spricht, liegen inzwischen vor und wurde unter https://www.cell.com/cell-metabolism/fulltext/S1550-4131(19)30429-2 veröffentlicht.

Bericht über einen Selbstversuch mit der Methode 16:8 “Intervallfasten – gut, aber keine Wunderwaffe

Intervallfasten – gut, aber keine Wunderwaffe

Intervallfasten – gut, aber keine Wunderwaffe

Intervallfasten ist ein Schlagwort unserer Zeit. Einem Jungbrunnen gleich werden dieser Ernährungsmethode geradezu magische Kräfte zugeschrieben. Von grandiosen Gewichtsabnahmen ist die Rede, von verjüngter Haut bis hin zu mehr Bewegungsfreude, auch bei nicht mehr ganz so jungen Menschen. Auf unzähligen Seiten im Netz wird von echten, aber leider auch vielen selbsternannten Ernährungs- und Gesundheitsexperten von der großartigen Wirkung des Intervallfastens geschwärmt. Was ist dran an der Wunderwaffe Intervallfasten? Hält die Methode was sie verspricht?

Ein Selbstversuch über acht Monate mit der 16:8-Methode, also 16 Stunden fasten, acht Stunden essen, spricht in der Tat für das Intervallfasten. In den 16 Fastenstunden werden keine Kalorien aufgenommen, es gibt nur Wasser oder Tee und am Morgen eine Tasse Kaffee, aber ohne Zucker und Milch selbstverständlich. Mit den anderen Intervallen, beispielsweise zwei Tage fasten bei maximal 500 Kalorien, fünf Tage essen was man will, liegen keine eigenen Erfahrungen vor, sie werden deshalb hier nicht berücksichtigt. Man kann aber anhand der Berichte davon ausgehen, dass sich bei ihnen kaum andere Wirkungen zeigen. Bei der 16:8-Methode jedenfalls nimmt man tatsächlich ab, allerdings in winzig kleinen Schritten, dafür aber stetig, Gramm für Gramm. Aber leider nicht durch das Intervallfasten alleine. Vielmehr muss man in den acht Essensstunden sehr wohl darauf achten, was und vor allen Dingen wieviel man isst. Denn auch hier gilt ganz klar, wer mehr „Energie“ zu sich nimmt, als er verbraucht, hat ein Problem, da hilft auch Intervallfasten nicht. Auch die so hoch gelobte „Flexibilität des Zeitrahmens“ hat ihre Tücken. Es ist nämlich nicht wirklich egal, ob man heute von 20 bis 12 Uhr und am nächsten Tag von 18 bis 10 Uhr fastet. Denn: Der innere Schweinehund muss jeden Tag aufs Neue überwunden werden, wenn man sich nicht an die einmal festgelegte Zeitspanne hält. Nach dem Motto „Kein Problem, esse ich morgen eben später“ geht es nur mit sehr viel mehr Disziplin, als wenn man stur jeden Tag die gleichen Zeiten beibehält und zwar tatsächlich auf die Minute genau. Gegessen wird um 12, nicht 5 Minuten und auch nicht zwei Minuten vorher, punkt 12, fertig! Wer das nicht schafft, tut sich mit wechselnden Zeiten vermutlich noch viel schwerer. Natürlich kann man auch einmal den festgelegten Zeitrahmen verschieben, etwa bei Festen, Einladungen und sonstigen wichtigen Ereignissen. Nur sollte man das lieber nicht zu häufig tun. Die Versuchung wird sonst jeden Tag größer und die Ausnahme dann rasch zur Regel.

Kommen wir zum Positiven am Intervallfasten, natürlich ohne auf die wissenschaftlich noch nicht nachgewiesenen Auswirkungen auf allerlei schwere Krankheiten einzugehen. Das kann ohnehin niemals Thema eines Selbstversuches sein. Wer krank ist, geht zum Arzt und nicht ins Internet! Auch wenn man allein durch das zeitlich begrenzte tägliche Fasten kein Gramm an Gewicht verliert, sind die körperlichen und psychischen Auswirkungen dennoch beachtlich. Zu diesen kleinen aber sehr angenehmen Veränderungen zählt beispielsweise eine Regulierung des gesamten Verdauungssystems mit allen damit in Zusammenhang stehenden positiven Einflüssen auf das körperliche Wohlbefinden. Man fühlt sich insgesamt fitter, lebendiger und eine gehörige Portion mobiler. Und selbstverständlich wird die Nahrungsaufnahme bewusster. Man stopft nicht mehr achtlos irgendetwas in sich hinein. Und man freut sich auf die erste Mahlzeit nach der Fastenperiode, wählt das, was man isst mit sehr viel Bedacht und genießt es wie ein Fünf-Sterne-Menü, auch wenn es sich nur um einen ganz profanen Teller Linsensuppe handelt.

Gerade für ältere Menschen kann Intervallfasten – so es der Arzt erlaubt – tatsächlich zum ersehnten Jungbrunnen werden. Nein, die Falten und grauen Haare verschwinden nicht, aber man hat wieder mehr Energie und damit das Bedürfnis etwas zu tun. Auch Dinge, die einem in letzter Zeit vielleicht zu beschwerlich waren oder zu denen man keine Lust mehr hatte. Und ehrlich gesagt, wenn nur die Hälfte dessen zutrifft, was dem Intervallfasten nachgesagt wird, dann ist es auf jeden Fall einen Versuch wert! /sis

Interview mit Molekularbiologe Slaven Stekovic: “Intervallfasten befreit die Zellen von molekularem Schrott

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