Tizian – meisterliches Spiel mit Farben, Licht und Schatten

Bildnis der Clarice Strozzi, 1542, Berlin, Staatliche Museen, Gemäldegalerie (Foto: bpk / Gemäldegalerie, SMB / Christoph Schmidt)

Das Städel Museum in Frankfurt widmete sich im Mai 2019 in einer groß angelegten Sonderausstellung „Tizian und die Renaissance in Venedig“ mit über 100 Meisterwerken der venezianischen Malerei der Renaissance, darunter mehr als 20 Arbeiten Tizians, die umfangreichste Werkauswahl, die in Deutschland je zu sehen war.

Tizian, der eigentlich Tiziano Vecellio hieß, sorgte schon zu seinen Lebzeiten (1488-90 bis 1576) für Schlagzeilen. Er war ein gewiefter Geschäftsmann, der Einnahmen und Ausgaben sorgfältig notierte, stets auf der Suche nach neuen Aufträgen war, dabei sichere Einnahmequellen spektakulären vorzog und dafür gerne auch seine weniger erfahrenen Schüler einsetzte, was ihm oft genug auch schadete. Er machte selbst vor unlauterem Wettbewerb nicht halt, wenn es darum ging, einen unliebsamen Konkurrenten aus dem Rennen zu werfen. Wenn Tizian einen Auftrag erhielt, etwa für Freskenmalerei an Gebäuden oder Porträts bekannter Persönlichkeiten seiner Zeit, dann konnte es schon einmal ein paar Jahre dauern, bis das Werk fertiggestellt war, es sei denn, der Auftraggeber ließ sich zu üppigen Sonderzahlungen überreden. Tizian hatte den Vorteil, dass er in der Blütezeit der italienischen Renaissance tätig war. Es gab unzählige Künstler, wovon die große Masse nicht über Mittelmaß hinaus kam, während Tizian ein Meister seines Fachs war, ausgebildet in der renommierten Werkstatt der Gebrüder Bellini, gefördert von seiner Familie und später von Karl V. und dessen Sohn Philipp II. Als er im Alter von 86 Jahren vermutlich an der Pest starb, war er der erfolgreichste Maler Venedigs.

Wie alt Tizian wirklich geworden ist, darüber gehen die Meinungen der Historiker weit auseinander. Ein Vetter dritten Grades datierte Tizians Geburtsjahr auf 1477 (nachzulesen in Joseph A. Crowe, Leben und Werk, aus dem Jahre 1877). Tizian selbst behauptete 1571 in einem Schreiben an den spanischen König Philippe von sich, er sei ein armer alter Mann von 95 Jahren. Allerdings hat die Wissenschaft etliche Ungereimtheiten ausgemacht, manche Ereignisse in Tizians Leben wollen nicht so recht zu diesem Geburtsjahr passen. Heute vermutet man deshalb Tizians Geburtdatum zwischen 1488 und 1490. Geboren wurde er in der alpenländischen Dorfidylle von Pieve di Cadore, eine 878 Meter über dem Meeresspiegel thronende Ortschaft in der Nähe der Belluneser Dolomiten, rund eineinhalb Stunden von Venedig entfernt. Schon früh erkannte die Familie Tizians Talent – er soll eine Madonna mit Blumensaft an eine Hauswand gemalt haben, die die gesamte Nachbarschaft in helle Aufregung versetzte – und schickte ihn zu einem Onkel nach Venedig. Seine Ausbildung begann bei einem Mosaikarbeiter, später folgten Lehrjahre in der Werkstatt der berühmten Brüder Bellini.

Bildnis des Dogen Francesco Venier, 1554 – 56, Madrid, Museo Nacional Thyssen-Bornemisza (Foto: Museo Nacional Thyssen-Bornemisza. Madrid)

Von Anfang an hatte Tizian keine Probleme von anderen Künstlern das anzunehmen, was er als gut empfand. Und er war einer der ersten Künstler, der seine Arbeiten signierte. Er ist nicht nur einer der bekanntesten Künstler der venezianischen Malerei, sondern auch einer der vielfältigsten. Er malte Porträts, Landschaften, wählte sowohl mythologische als auch religiöse Themen und brachte es am Ende seines Lebens auf 646 Werke. Dabei hielt er gerne an den Formen weiblicher Schönheit fest, die er mit nur wenigen Abweichungen stets wiederholte. Charakteristisch für Tizian ist die Farbenvielfalt mit der er aufs meisterlichste umzugehen wusste. So verstand er es wie kein anderer, nahezu durchsichtige Kleiderstoffe zu malen. Sie sind so zart, dass die Haut der Trägerin darunter durchschimmert. Obendrein war er ein begnadeter Zeichner, der nicht mit Griffel oder Stift, sondern mit dem Pinsel zeichnete. Dabei machte er das Studium der Natur zur Grundlage seiner Arbeit. Anfang 1500 gab es einen Stilwandel, weg von der antiken Kunst hin zur Nachahmung der Stoffe und deren Farbenspiel. Tizian experimentierte mit Licht und Schatten und wetteiferte zum Beispiel mit Albrecht Dürer um Perfektion. Der goldrote Farbton, mit dem Tizian gerne die weiblichen Haare darstellte, wird noch heute „tizianrot“ genannt.

Nur ungern verließ der Künstler Venedig, das trotz der Wirren zahlreicher Scharmützel und Kriege seine wirtschaftliche und kulturelle Blüte erlebte. Kein Wunder also, dass Tizian es vorzog, lieber für den Dogen von Venedig zu arbeiten statt für Papst Leo X. Bis 1531 wohnte er mitten in der Stadt am Canale Grande, mietete sich dann in eine Villa im nordöstlichen Stadtteil ein, die er 1559 mit samt dem großzügigen Anwesen kaufte. Dort gab er Gesellschaften im großen Stil und nahm gerne Lob für die von ihm verschönerten Gärten an der Wasserseite entgegen.

Als Tizian am 27. August 1576 starb, war er reich und berühmt und hatte Kinder und Enkel, die in nächster Nähe wohnten. Sein Leben lang hatte er versucht, seine Angelegenheiten vorausschauend zu regeln, aber am Ende war er mit seiner Familie heillos zerstritten. Mit seinem Sohn Pomponio kommunizierte er nur noch über Anwälte. Nach seinem Tod wurde sein Haus geplündert, und seine Nachkommen führten jahrelang einen erbitterten Streit um seinen Nachlass. /sis

Madonna mit Kind, der heiligen Katharina sowie einem Hirten, (Die Madonna mit dem Kaninchen), um 1530, Paris, Musée du Louvre, Département des Peintures (Foto: bpk / RMN – Grand Palais / Michèle Bellot)

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