Ein Filmkunstwerk vielleicht, aber gewiss kein Tatort!

Besprechung des Tatorts aus Luzern: Die Musik stirbt zuletzt
ARD Tatort: Die Musik stirbt zuletzt: Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) ermitteln im Kultur- und Kongresszentrum Luzern. (Foto: ARD Egeto/SRF/Hugofilm)

Die Kritik überschlägt sich mit Superlativen für den ersten Tatort nach der Sommerpause 2018 aus der Schweiz mit dem Titel „Die Musik stirbt zuletzt“. Grund der Euphorie: Der Film wurde in einem „Take“ gedreht, ohne Schnitt, quasi wie ein Theaterstück. In der Tat handelt es sich hier um ein echtes Filmkunstwerk, das Regisseur Dani Levy und insbesondere seinem Kameramann Filip Zumbrunn gelungen ist. Aber war es auch ein guter Tatort?

Geschmäcker sind bekanntlich verschieden und vielen Menschen wird ganz einfach schlecht, wenn sich vor ihren Augen über lange Zeit ohne Pause alles hin- und herbewegt. Ohne Schnitt bleibt die Kamera eben immer in Bewegung, hetzt hinter den Schauspielern und Statisten her, von denen deshalb auch über den größten Teil des Films nur die Rücken zu sehen sind – mit der Folge, dass für den Zuschauer Dialoge schwer zu verstehen waren und das analog fehlende Mienenspiel keine Stimmungen übermittelte. Dabei war die Story gar nicht schlecht und hätte mit einem professionellen Schnitt gewiss einen spannenden Tatort ergeben: Bei einem von dem reichen Schweizer Walter Loving (Hans Hollmann) organisierten Benefizkonzert wollen die Geschwister Pianistin Miriam Goldstein (Teresa Harder) und Klarinettist Vincent Goldstein (Patrick Elias) Lovings Vergangenheit als sogenannter Intermediär vor dem Publikum ausbreiten. Loving hat während der NS-Zeit jüdischen Familien gegen viel Geld die Flucht ermöglicht, was aber nicht in jedem Fall gelang, wie bei der Mutter der Goldstein-Geschwister. Ob sie sich selbst umgebracht hat oder ermordet wurde, bleibt genauso offen, wie manch anderer Aspekt der Geschichte. Vincent Goldstein jedenfalls wird zu Beginn des Konzertes vergiftet. Und das ruft endlich die Luzerner Ermittler Liz Ritschard (Delia Mayer) und Reto Flückiger (Stefan Gubser) auf den Plan. Da es keinen Szenenwechsel gibt, greifen die Ermittler zwangsläufig nicht ins Geschehen ein, laufen vielmehr hin und wieder durchs Bild und versorgen den Zuschauer bei der Gelegenheit mit gewonnenen Erkenntnissen. Was man sonst noch wissen muss, übermittelt ein ominöser Erzähler (Andri Schenardi), der quasi immer dann den Führer spielt, wenn Szenen sich eben doch nicht so nahtlos von einer in die nächste fügen wollen. Und um dieser düsteren Gestalt im filmischen Geschehen eine Daseinsberechtigung einzuräumen, entpuppt sie sich als Sohn des reichen Loving, der sowohl den Klarinettisten als auch seine Stiefmutter in spe, zugleich seine Geliebte, und zu guter Letzt auch noch seinen Vater und sich selbst vergiftet. Ritschard im schicken Abendkleid und Flückiger im Fußballdress waren da genauso überflüssig wie das Heer an Statisten, das den Konzertsaal des zugegeben imposanten Drehorts – das Kultur- und Kongresszentrum Luzern – bevölkerte. Und auch vom eigens engagierten Jewish Chamber Orchestra Munich war nicht viel zu hören. Die einzig tröstliche Erkenntnis des Abends: Die Musik stirbt zum Glück nie, egal was Drehbuchautoren und Regisseure sich auch einfallen lassen! /sis

 

2 Gedanken zu „Ein Filmkunstwerk vielleicht, aber gewiss kein Tatort!

  • 6. August 2018 um 16:55 Uhr
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    Oft passiert es mir nicht, dass ich einen Tatort nicht sehen kann. Nachdem ich aber mit allen Rezensionen der Tatorte bei “besser Klartext” konform gehe, denke ich, dass ich nichts versäumt habe. Wo bleibt der Tatort der spannend und fesselnd ist., bei dem man mit fiebern kann. Wo man keine Psychologie studiert haben muss, keine Gedanken lesen braucht und bei dem man der Handlung auch tatsächlich folgen kann. Ausgefeilte Polizeiarbeit mit Kriminalistik und glaub- oder unglaubwürdige Zeugen, ganz ohne privates Hintergrund Geschehen der Ermittler. Lange, lange ist es her. Aber man soll die Hoffnung nicht verlieren. Deshalb bleibe ich dem Tatort treu.

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